© Screenshot

USA

Kongresswahlkampf im Social Web

"Freund", schreibt "Organizing for America" am Vorabend der Kongresswahl und im Namen Barack Obamas, "diese Bewegung hat sich noch nie davor gescheut zu kämpfen - wir fangen auch jetzt nicht damit an." Ein paar Zeilen weiter steht: "Du musst unbedingt drei deiner Freunde dazu bringen, so zu wählen wie du."

Die Nachricht ist 847 Worte lang - viel zu lang, wie viele Anhänger monieren. Dass sich in letzter Zeit immer wieder Marketingsprech in die regelmäßig ausgeschickten E-Mails mischt, kommt auch nicht gut an. "Ich lese das Zeug schon lange nicht mehr", schreibt einer, dem konkrete Tipps fehlen, damit er die Ärmeln aufkrempeln und die politische Botschaft unter die Leute bringen kann. Vorbei scheinen die Zeiten, als sich das Wahlvolk alleine durch E-Mails mit dem Absender "Michelle Obama" entzücken ließ.

2008 war noch alles anders, es war erste Wahl der neuen Zeit. Die Demokraten schienen Twitter geradezu in Richtung Mainstream zu bewegen. Was der Demokrat Howard Dean erstmals beim Präsidentschaftswahl 2004 versuchte, eine Basisbewegung über das Internet aufzubauen, perfektionierte Obamas Team: das Geld, das über die neuen Kanäle hereinkam, übertraf die kühnsten Erwartungen. Die Botschaft des "Change" verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Über Twitter erreichte Obama die Desktops und Smartphones von 112.000 Followern, seine Facebook-Seite hatte am Tag der Wahl zwei Mio. Fans. Sein Gegner John McCain brachte es gerade einmal auf ein Drittel davon.

Wer hat die meisten Freunde?

Doch Wirtschaftskrise und Arbeitslosenrate setzen Obamas Beliebtheit zu. Nur noch 47 Prozent sind mit seiner Amtsführung einverstanden. Daran scheinen derzeit auch 15 Mio. Facebook-Fans und 5,7 Mio. Twitter-Follower nichts zu ändern. Gleichzeitig ist die Bedeutung des Social Web unbestritten. Laut Zahlen des "E-Voter Institute2 sind drei von fünf US-Amerikanern, die sich für politisch engagiert halten, Mitglieder eines sozialen Netzwerks. 70 Prozent davon gehen heute voraussichtlich zur Wahl.

Größter Wermutstropfen für die Demokraten ist, dass die Gegenseite dazugelernt hat. Acht der zehn beliebtesten Twitter-Konten am Capitol Hill gehören inzwischen Republikanern. Die Führung hat Senator McCain inne, gefolgt vom Fraktionsführer im Repräsentantenhaus, John Boehner, und Senator James DeMint aus South Carolina. Als einzige Demokratin schafft es die kalifornische Senatorin Barbara Boxer unter die besten Zehn, so ein Report der Agentur Burson-Marsteller vom September. In Summe bringen es die Senatskandidaten der Grand Old Party auf 1,4 Mio. Facebook-Freunde und eine halbe Million Twitter-Follower. Die demokratischen Anwärter liegen mit einer Gefolgschaft von 300.000 (Facebook) und 90.000 (Twitter) abgeschlagen dahinter. Nicht nur bei absoluten Zahlen, sondern auch bei Status-Updates und Beliebtheitssteigerung im Social Web - letztere wird vor allem bei Kongressabgeordneten deutlich - sichern sich die Republikaner die Führung. Nicht mit eingerechnet ist dabei allerdings Obamas Fangemeinde im Web.


Nähe zum Wähler
Ist die Lehre aus Obamas Sieg vor zwei Jahren, dass eine größere Web-Gefolgschaft automatisch politischen Vorsprung bedeutet? Zunächst wird ein erfolgreicher Auftritt im Social Web mit direkterer Demokratie in Zusammenhang gebracht wird und damit der Möglichkeit, eine Beziehung zum Wähler aufzubauen. Justin Amash etwa, ein republikanischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus von Michigan, begann zunächst bloß die Ergebnisse aller Abstimmungen auf seiner Facebook-Page zu veröffentlichen. Als er anfing, seine eigenen Entscheidungen zu erläutern, entwickelte sich daraus ein fruchtbarer Dialog mit den Wählern. Seine Kandidatur für den Kongress kündigte Amash seinen Fans schließlich auf Facebook an. Sein Erfolgsgeheimnis: alles, was unter seinem Namen gepostet werde, stamme auch wirklich von ihm selbst, sagt Amash.

Je persönlicher das Web wird, desto schwieriger gerät es auch, Strategien zu wiederholen. So vertreiben die Demokraten zwar über iTunes zwei Apps für das iPad, darin wird allerdings kaum ein Mehrwert erkannt: Bei einer Technologie einfach nur dabei zu sein, genügt nicht mehr. Beliebt hingegen ist die iPhone App "Official Organizing for America", die speziell für demokratische Wahlkampfhelfer entwickelt wurde, die von Tür zu Tür ziehen.
Als lohnend für die Republikaner erweisen sich indes, nicht wie vielleicht vermutet volkstümlich-provokante Tweets von Publikumsmagneten wie Sarah Palin, sondern die Entschlüsse, den lokalen politischen Organisationen freiere Hand zu lassen - Web-Kampagnen inklusive. Die Folge: die Leute haben den Eindruck, richtig mitgestalten zu können.

Anfällig für Manipulation
Die nahezu Echtzeit-Kommunikation auf Twitter hat auch ihre Tücken, darunter die Anfälligkeit für Manipulation. Der Informatiker Filippo Menczer von der Indiana University entwickelt gemeinsam mit Kollegen mehrerer Unis die Software "Truthy", die verdächtigen Mustern bei Twitter auf die Spur kommen soll. Entdeckt wurden dabei zuletzt mehrere automatisierte Twitter-Konten, die Tweets republikanischer Politiker zitierten, ohne jedoch eigene Nachrichten zu verfassen. Ähnlich wurde auch bei Angriffen gegenüber politischen Opponenten verfahren. Das vermutete Ziel, bestimmte Themen bei Google ganz vorne zu reihen, gelang laut Menczer jedenfalls.

Am Wahldienstag mischt ein weiterer Dienst des Social Web beim Geschehen mit, das geobasierte Foursquare. Wer sich bei einem von über 108.000 Wahllokalen eincheckt und dabei den Textschnipsel "#ivoted" hinzufügt, bekommt die virtuelle Plakette "I Voted" verliehen. Auf der Site http://elections.foursquare.com sind Visualisierungen über den aktuellen Stand der eincheckenden Wählerschaft zu sehen. Für Foursquare ist der 2. November eine erste wichtige Belastungsprobe für ein System, das im Herbst 2012 der Präsidentschaftswahl standhalten soll.

(Alexandra Riegler)

iPhone-App ruft zum Wahlgang auf
iPad-App der Demokraten

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Kommentare