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Internet-Hype

Pinterest: Ein Bilderbuch als Social Network

Ein Netzwerk, das auf visuelle Kommunikaton setzt, eine Plattform, auf der Links zu Fotos und Videos gesammelt, ein Portal, über das Produktempfehlungen gegeben werden - Pinterest lässt sich auf unterschiedliche Weise beschreiben. Kernfunktion der Webseite ist die Möglichkeit, Bilder auf einer sprichwörtlichen Pinnwand zu sammeln und mit anderen zu teilen. Das funktioniert im Wesentlichen auf zwei Arten: User laden Bilder selber hoch, oder - und das ist die vorwiegende Variante - man stößt im Netz auf ein interessantes Foto, will sich dieses samt Link zur Ursprungsseite merken, und “pinnt” es auf seine persönliche Seite.

Übersicht und Ästhetik
Die Bedienung der Seite ist relativ unkompliziert: Man legt unterschiedliche “Boards” zu beliebigen Themen - etwa “Essen”, “Design” oder “Filme” - an und ordnet diesen die entsprechenden Bildinhalte zu. Dabei werden über einen Hinzufügen-Button (Add+) die jeweiligen Links über ein kleines Extra-Fenster, das sich öffnet, eingegeben. Pinterest holt sich das dazu gehörige Bild daraus und es erscheint auf der persönlichen Pinnwand. Werden über einen Link mehrere Bilder angeboten, kann man diese in einem kleinen Vorschaufenster durchklicken und das gewünschte Foto zum Pinnen aussuchen. Jedem Bild kann auch eine Beschreibung hinzugefügt werden. Die gepinnten Bilder können dann von anderen “re-pinnt”, also weiterverteilt, geliked und kommentiert werden. Aktivitäten im persönlichen Pinterest-Netzwerk werden in einer Spalte auf der linken Seite angezeigt - etwa XY hat ein bestimmtes Bild kommentiert oder re-pinnt.

Grundsätzlich macht die Plattform, auf der man ganz nach Vorbild von Twitter und Co anderen folgen kann, nichts revolutionär Neues, was nicht auch schon andere Webseiten bieten. Der Unterschied, und möglicherweise das langfristige Potenzial von Pinterest, findet sich dann eher in den Details: Einerseits ist die Plattform ästhetisch ansprechend, andererseits bietet sie auf Grundlage der Boards die Möglichkeit, Bilder sehr gut zu organisieren und übersichtliche Sammlungen zu erstellen.

“Der große Unterschied zu anderen sozialen Netzwerken ist die Konzentration auf visuellen Content. Das hat zwar Flickr auch schon versucht, aber vor allem Foto Hosting in den Vordergrund gestellt”, sagt Judith Denkmayr, Geschäftsführerin der Social Media Agentur Digital Affairs. Bei Pinterest sei Foto Sharing die Intention. “Der User muss also nicht selbst Content erstellen. Außerdem ist Pinterest eine für den User niederschwelligere und optisch schönere Anwendung, kombiniert mit einer guten App für Smartphones und Tablets.”

Hype oder “The next big thing”?
Obwohl Pinterest, das im Frühjahr 2010 startete, nach wie vor als Betaversion läuft, zu der man nur per Einladung Zutritt erlangt, zählt die Seite allein in den USA inzwischen zehn Millionen Nutzer im Monat. Auch hierzulande fällt die Popularität der Plattform zunehmend auf. Immer häufiger ist Pinterest im Gespräch, immer häufiger finden sich in anderen Social-Media-Kanälen Links, die auf Pinterest-Seiten verweisen, weil wieder jemand ein hübsches Bild gepinnt hat. “Momentan sieht es nach Hype aus: Jeder möchte dabei sein, um dabei zu sein - aber richtig genutzt wird Pinterest bisher wenig. Die meisten User haben noch keine eigenen Boards angelegt und teilen keinen eigenen Content”, erklärt Denkmayr.

“In den USA gibt es mit Tumblr und Posterous schon länger ähnliche Plattformen in der Nische zwischen Facebook und Twitter. Plattformen, die bessere Möglichkeiten zum Content-Sharing bieten und offener sind als Facebook”, so Denkmayr weiter. Die Genese von Aufmerksamkeit bzw. Vernetzung erfolge aber weiter über die “Reichweitenschleudern” Facebook und Twitter. “Möglicherweise ist mit Pinterest diese Entwicklung jetzt in Österreich angekommen, wo Plattformen wie Soup es zwar schon länger versuchten, aber nie wirklich breitenwirksam wurden”, sagt Denkmayr.

Traffic-Lieferant
Noch ist nicht ganz klar, wie Pinterest langfristig Geld verdienen will. Werbung gibt es auf der Seite bislang nicht. Allerdings, so ein Bericht von The Atlantic, hat das Start-up bereits jetzt Partnerschaften mit Unternehmen wie SkimLinks, einer Affiliate-Marketing-Firma, die jeden Link, der auf Pinterest gepostet wird, scannt und jene ausfiltert, die auf eine Händlerseite mit Affiliate-Programm gehen. Dabei schneidet Pinterest dann einen bestimmten Anteil an den Erlösen, die über den Link erzeugt werden, mit. Dies hat allerdings auch schon zu Kritik geführt, da die Plattform die Nutzer nirgendwo darüber in Kenntnis setzt, dass die geposteten Links anhand von eingebetteten Codes getrackt werden.

Tatsächlich sollen Retail-Seiten mittlerweile stark von der Bilder-Plattform profitieren. Laut jüngsten Erhebungen generiert Pinterest bereits mehr Traffic als Google+, YouTube, Reddit oder Twitter. “Besonders profitieren sicher E-Commerce Anbieter, bei denen mehr Traffic auf der Seite in den meisten Fällen auch mehr Conversion (Kaufhandlung/Newsletterabonnent etc.) bedeutet”, meint Denkmayr. Dabei gehe es vor allem um bestimmte Produktgruppen, die auf Pinterest besonders stark angenommen werden. “Allen voran scheint auf Pinterest die ‘Foodie-Community’ ihr Zuhause gefunden zu haben, es werden also schöne Fotos von Lebensmittel mit oder ohne Rezept gepostet. Auch Luxusartikel wie Designerschmuck und -kleider finden begeisterte Repinner”, so Denkmayr. Darüber hinaus sind aber auch Bereiche wie das Heimwerken sehr populär. So finden sich sehr viele Bilder zu Möbeln, Einrichtung und Vintage.

“Aufgrund der Themen kristallisiert sich eine eher weibliche Zielgruppe heraus”, ergänzt die Social-Media-Expertin. Jede Form von Segmentierung auf Themen, Alter, Geschlecht, usw. sei für Marketingabteilungen interessant. Die Möglichkeiten, Traffic zu generieren sowie für Visual Branding seien derzeit auf Pinterest sehr gut. “Solange die User bleiben, ist also auch ein Marketingeffekt zu erwarten - in welchen Ausmaß kann aber niemand sagen.”

Unklarheiten beim Urheberrecht
Wie so oft in der Online-Welt herrschen auch bei Pinterest einige Unklarheiten zum Thema Urheberrecht. In den Nutzungsbedingungen wird nur darauf aufmerksam gemacht, dass Rechteinhaber Copyright-Verletzungen melden können bzw. wie sie das können. Die Nutzer wiederum sind dazu angehalten, keine Bilder ohne Quellenangabe zu verbreiten. Inwiefern sie mit dem Verbreiten von fremden Fotos möglicherweise doch Urheberrechte verletzen könnten, ist nicht näher ausgewiesen. So bleibt auch abzuwarten, wie Fotografen und Blogger künftig reagieren werden, wenn sich ihre Werke mit der steigenden Beliebtheit der Plattform zunehmend auf Pinterest wiederfinden und darüber weiterverbreitet werden. Denn einerseits können diese - wie auch die Retailer - von zusätzlichem Traffic auf ihren Seiten profitieren. Gleichzeitig ist damit zu rechnen, dass manche zu Mittel der Abmahnung greifen werden, wenn sie ihre Fotografien - ungefragt und unausgewiesen - in den Boards der begeisterten Pinner wiederfinden.

Was noch fehlt
Abgesehen davon, dass Pinterest trotz immenser Nutzerzahlen nach wie vor noch gar nicht frei zugänglich ist, gibt es auch aus technischer Sicht noch einiges zu verbessern. Was bei der Nutzung relativ schnell auffällt, ist die schlechte Suche. Die Plattform bietet keinerlei Möglichkeiten, Suchkriterien zu definieren bzw. die Suche zu verfeinern. Die einzige Option ist ein Suchfenster, in dem ein Begriff eingegeben werden kann, der dann mehr oder weniger brauchbare Ergebnisse liefert. Auch die Suche nach anderen Nutzern verläuft nach demselben Prinzip über dasselbe Eingabefeld.

Hinzu kommt, dass Pinterest noch keine offizielle Android-App herausgebracht hat. Damit fällt für einen großen Teil der User die Möglichkeit weg, Bilder auch mobil und unterwegs zu pinnen.

Wenn es der Plattform gelingt, derlei Kinderkrankheiten möglichst rasch auszukurieren und sie auch nach der ersten Hype-Welle noch genug User in ihren Bann zieht, dann ist in Zukunft mit einem ernstzunehmenden neuen Player in der Social-Media-Welt zu rechnen: Ein soziales Netzwerk, das in erster Linie auf non-verbale Kommunikation setzt, im Gegensatz zu Twitter, Facebook und YouTube tatsächlich so etwas wie Ruhe ausstrahlt und dem alten Spruch genüge tut: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

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Claudia Zettel

ClaudiaZettel

futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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