Programmieren lernen: "Wir brauchen digitale Pfadfinder"
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Computerprogramme sind heute allgegenwärtig. Die Funktionsweise des Codes ist aber nur wenigen geläufig. Die Europe Code Week will das ändern. Vom 11. bis 17. Oktober finden an Schulen, in Bildungseinrichtungen und bei Unternehmen europaweit Veranstaltungen statt, die das Programmieren für möglichst viele Bevölkerungsgruppen zugänglich machen sollen. Im Vorfeld der Veranstaltung lud am Dienstagabend Österreichs "Digital Champion" Meral Akin-Hecke, die die österreichischen Aktivitäten der EU Code Week koordiniert, zu einem Round Table zum Thema "Programmieren mit Kindern" ins Zoom Kindermuseum in Wien. Dabei wurden Projekte vorgestellt und Wege gesucht, wie Kindern und Jugendlichen das Coden vermittelt werden kann.
"Verstehen wie Computer funktionieren"
Es brauche nicht notwendigerweise Computer, um Kindern die Grundlagen des Programmierens beizubringen, sagte Frances Rosamond. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Michael Fellows von der australischen Charles Darwin University hat die Computerwissenschaftlerin die Initiative Computer Science Unplugged (CS Unplugged) gestartet. "Wir wollen nicht lehren, wie man Computerprogramme schreibt. Es ist viel wichtiger zu verstehen, wie Computer funktionieren und was die Idee dahinter ist", erzählte Fellows.
CS Unplugged stellt Anleitungen für Lernaktivitäten zusammen, bei denen Computerwissenschaften spielerisch vermittelt werden. Zur Anwendungen kommen dabei Karten, Schnüre, Planen und Kreiden - aber keine Computer. Ein gleichnamiges Buch wurde bislang in 19 Sprachen übersetzt und steht auf der Website der Initiative auch in deutscher Sprache (PDF) zum Download bereit.
Turtle Art
Initiativen, die Kindern das Programmieren näher bringen, gibt es auch in Österreich. So veranstaltet etwa die Österreichische Computer Gesellschaft (OCG) am 18. August den Turtle Art Day Austria. Kinder ab acht Jahren können dabei mit einfachen Programmierfunktionen verschiedene Objekte am Computer zeichnen. Dabei kommt Turtle, eine aus Logo entwickelte Programmiersprache zum Einsatz. "Kinder nehmen sofort etwas mit nach Hause und können es den Eltern zeigen", sagte Johann Stockinger von der OCG.
Catrobat: Apps selber bauen
Die von Grazer Studenten gegründete Initiative catrobat stellt mit pocketcode eine App zur Verfügung, die es Kindern und Teenagern ermöglicht, selbst Smartphone- und Tablet-Anwendungen zu erstellen. Dazu sei keinerlei Vorwissen notwendig", erklärt Matthias Müller von dem Projekt, das von Hunderten Freiwilligen getragen wird.
Man würde pocketcode auch gerne an Schulen präsentieren, sagt Müller. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass viele Teenager, wenn sie das Programm erst einmal probiert haben, sich auch weiterhin damit beschäftigen. "Es ist eine Möglichkeit Kinder zum Programmieren zu bekommen."
Programmiercamp im Burgenland
Auch im burgenländischen Oslip findet im August ein Programmiercamp für Jugendliche statt. Code 14 richtet sich an 10- bis 14-Jährige und will den Teenagern Grundlagen von Javascript vermitteln. In anderen Ländern sei Programmieren fester Bestandteil des Lehrplans in Schulen, sagt Code 14-Initiator Franz Knipp. Wer die Welt verstehen wolle, müsse über Programmierkenntnisse verfügen. "Jeder sollte die Möglichkeit haben, sich ein Bild davon zu machen."
Das Programmiercamp ist bereits ausgebucht. "Wenn es ein Angebot gibt, kommen die Leute auch", sagte Knipp. Viele Teilnehmer würden aus dem kleinen burgenländischen Ort selbst stammen. Wie viel die Eltern für das Hineinschnüffeln ihrer Kinder in die Welt des Programmierens bezahlen, überlässt Knipp ihnen: "Sie sollen das bezahlen, was es ihnen wert ist. Ich sehe es als eine Investition in die Zukunft der Kinder und der Gesellschaft."
Sugar: Süsses Lernen
Die beste Art zu lernen, sei sich aktiv mit Dingen zu beschäftigen, sagte Christoph Derndorfer von OLPC Austria (One Laptop Per Child) . Die Initiative hinter dem "100-Dollar-Laptop", der mittlerweile an drei Millionen Jugendliche weltweit verteilt wurde, hat auch die Software-Plattform Sugar entwickelt. In der interaktiven Lernumgebung finden sich auch Programmiertools. Coding sei ein Mittel, um Dinge zu erledigen, sagt Derndorfer. "Programmieren macht das Leben leichter."
Das Mädchen-Buben-Problem
Zur Sprache kamen bei dem Round-Table auch das Geschlechterverhältnis bei Programmierern. Dass der männliche Anteil in der Branche überwiegt, ist nicht zu übersehen. Auch Workshops für Kinder und Jugendliche ziehen weit mehr Buben als Mädchen an.
Man müsse eben sehr früh beginnen, meinte Derndorfer. Mädchen seien nicht weniger neugierig als Jungs. Erst später geschehe offenbar etwas in der Gesellschaft, das den Fokus verschiebe. "Wenn man früh genug beginnt, ist es kein Problem." Kinder müssen so früh wie möglich Coding-Kenntnisse erlernen, sagt auch CS-Unplugged-Initiator Fellows. "Wir fangen bereits mit vier Jahren an."
Es sei wichtig eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Mädchen wohlfühlen, meinte die Game Designerin Sabine Harrer. Wenn man das einzige Mädchen in einer Gruppe sei, falle dies auf und werde auch angesprochen. "Das ist der Kern des Problems."
Das Lehrer-Motivationsproblem
Deutlich wurde bei der Diskussionsrunde, dass das heimische Bildungssystem eher nicht dafür geeignet ist, Kindern das Programmieren näher zu bringen oder ihnen gar Lust darauf zu machen. Es sei schwierig Lehrer zu motivieren, meinte OCG-Vertreter Stockinger. Mit dieser Einschätzung blieb er nicht alleine. Die Hemmschwelle bei den Lehrern, entsprechende Angebote zu erarbeiten sei groß, hieß es aus dem Publikum. "Die Lehrer kennen sich selbst zu wenig aus."
Lösungen dafür wären etwa der niederschwellige Einstieg in die Thematik, bei dem nur Grundkonzepte vermittelt werden und analytisches und algorithmisches Denken auf Alltagsprobleme angewandt werde, schlug Stockinger vor. Dies könnte etwa in Verbindung mit kreativen Fächern umgesetzt werden. Man könne 200 Stunden lang versuchen Lehrer zu motivieren, oder eben gleich direkt an die Kids rangehen, meinte hingegen OLPC-Vertreter Derndorfer.
Das Nachhaltigkeitsproblem
Bei außerschulischen Initiativen stellt sich wiederum das Problem der Nachhaltigkeit. Es fehle an Infrastruktur und auch an Leuten, die dabei helfen, das Gelernte zu festigen und für Fragen zur Verfügung stehen. Derndorfer berichtete etwa von einem Lehrer in Uruguay, der im Rahmen des OLPC-Projekts Jugendlichen einen Nachmittag in der Woche bei Programmierfragen zur Seite stand. Mit Erfolg. Die Kids gewannen zahlreiche Preise, erzählte der OLPC-Mitarbeiter: "Schon eine Person kann viel verändern." In Österreich wären etwa Bibliotheken ein geeigneter Ort für solche Tutorien. Allerdings müssten kompetente Betreuer gefunden werden, was wiederum finanzielle Fragen aufwirft. Auch dafür könnten Lösungen gefunden werden, meinte Derndorfer unter Verweis auf die Pfadfinder. Die gebe es in jedem Kaff auf der ganzen Welt: "Das ist es was wir brauchen: digitale Pfadfinder."
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