USA

Wahlkampfauftakt im Facebook-Hauptquartier

In seiner Inszenierung lässt sich der Live Stream kaum von einer TV-Sendung unterscheiden: erbaulich patriotische Musik zur Einstimmung, verkabelte Secret Service-Leute, die ihre Blicke durchs Publikum schweifen lassen und eine Bühne, die aussieht wie bei jenem entscheidenden Fernseh-Town Hall Meeting, dem sich Barack Obama und John McCain im letzten Wahlkampf stellten.

Bis zur Präsidentschaftswahl im Herbst 2012 sind noch 525 Tage Zeit, dennoch ist Obama schon jetzt im „campaigning mode“. Über das neuartige Format eines Town Hall Meetings, abgehalten im kalifornischen Hauptquartier von Facebook und live ins Web übertragen, soll die junge Wählerschaft schon früh mobilisiert werden. Unter dem Titel „Geteilte Verantwortung und geteilter Erfolg“ will Obama Lösungen für die angeschlagene Wirtschaft diskutieren - zwei Tage, nachdem die Ratingagentur Standard & Poor den USA einen Warnschuss wegen ihrer angeknacksten Kreditwürdigkeit vor den Bug setzte.

Fragen können über ein Formular auf der Website des Weißen Hauses übermittelt oder direkt auf der Facebook-Wall des Events gepostet werden. Das Weiße Haus nutzte die Gelegenheit auch gleich, um mehr Fans für seine Facebook-Page zu rekrutieren: wer sich zur Veranstaltung anmelden wollte, wurde zuerst auf den Like-Button der White House-Page verwiesen. Nur ein Link im Kleingedruckten führte direkt zur Event-Page.

Geplänkel ohne Sakko
Die Veranstaltung beginnt zehn Minuten verspätet, als Mark Zuckerberg - herausgeputzt mit Sakko und Krawatte - ins Auditorium spaziert und bekennt: „Sorry, ich bin ziemlich nervös. Der Präsident ist da.“ Kurz danach betritt Obama die Bühne, ruft kurz „hey“ in die begeisterte Menge und stellt sich mit den Worten vor: „Ich bin der Typ, der Mark dazu brachte, Sakko und Krawatte zu tragen“.

Obama lobt Facebook als Plattform, die einen Wählerdiskurs ermöglicht, der nicht nur in eine Richtung ginge. Es ist einer von mehreren Kommentaren, in denen sich der Präsident zu Facebook bekennt. Zwischen den Zeilen schwingt das Werben um die Macht des 600 Mio. User-Netzwerkes mit. Auch als er andeutet, dass sowohl „das Format als auch das Unternehmen ideal seien, um den Diskurs fortzusetzen“.

Schuldenberg und Pensionierungswelle
Obamas Antworten beim Town Hall Meeting berühren eine Reihe an Themen: die Rezession - „die schlimmste seit der Großen Depression“; altertümliche Prozesse im Krankenversicherungssystems - „sie verwenden immer noch Clipboards!“; den brach liegenden Immobilienmarkt - „Die Zeiten, als sich ein Haus ganz einfach ohne Anzahlung kaufen ließ, sind wahrscheinlich vorbei“.

Zumeist aber geht es um die Eindämmung des Schuldenberges. Auf Zuckerbergs erste Frage, was sich nun alles wegkürzen ließe, holt Obama bis zu den Ursprüngen der Misere aus: die enormen Ausgaben für den Irakkrieg gebündelt mit den Steuerzuckerln der Bush-Ära. Beides hätte den unter Clintons erwirtschafteten Überschuss nur so dahinschmelzen lassen. Heute stehen die USA vor einem Scherbenhaufen: zu den angesammelten Schulden kommt die Pensionierungswelle der Babyboomer und damit steigende Kosten für die Krankenversicherung Medicare und das Gesundheitsfürsorgeprogramm Medicaid.

Bei den Beispielen, was sich streichen lässt, wählt Obama Themen, mit denen er das Silicon Valley-Publikum schnell in der Tasche hat, darunter Ausgaben für das Verteidigungsministerium. 400 Milliarden. Dollar wurden bereits eingespart, weitere 400 Milliarden. könnten folgen.

Höhere Steuerlast für Reiche
Die einzig schärfere Frage an Obama kommt von einem Facebook-Mitarbeiter im Publikum, der wissen will, ob der Präsident den Gegenvorschlag zu seinem Budget, den sogenannten „Path to Prosperity“ des republikanischen Kongressabgeordneten Paul Ryan, für mutig hält und ob jetzt die richtige Zeit für solche „Verwegenheit“ sei. Obama verweist darauf, dass ohne Steuerreform (Ryan sieht keine vor) andere wichtige Bereiche daran glauben müssten. Es gäbe dann beispielsweise 75 Prozent weniger Geld für Alternativenergie, ein Viertel weniger für Bildung, ein Drittel weniger für Verkehr. „Ich nehme an, dass sich das mutig nennen lässt. Ich nenne es kurzsichtig“, entgegnet der Präsident.

Allen voran versucht Obama seine Budgetrede von letzter Woche zu verkaufen: dass Leute, die so viel Geld verdienen wie er selbst, ruhig mehr Steuer bezahlen sollten. „Und offen gesagt auch du“, erklärt Obama in Richtung Zuckerberg, der antwortet: „I‘m cool with that.“ Zur Beruhigung setzt Obama noch nach: Wer sich an Clinton-Zeiten erinnere, wisse, dass die Wirtschaft damals trotz höherer Steuern brummte und auch reiche Leute noch reicher wurden. „Aber wie sage ich das jetzt diplomatisch: da waren die meisten hier ja noch in Windeln“, so Obama.

Nur begrenzte Interaktion
Die schiere Menge an Fragen, die auf Facebook gepostet wurden, aber unbeantwortet blieben, dazu Obamas ausladende Antworten und das begrenzte Zeitbudget, halten die gefühlte Interaktivität des Town Hall Meetings in Grenzen. Weil kritische Fragen weitgehend fehlen, erläutert Obama weitgehend sein Regierungsprogramm. Der Auftritt des Präsidenten im Facebook-Hauptquartier wird zu einer Art Heimspiel. Und Zuckerberg wirkt wie sein größter Fan. Gleichzeitig kann Obama auch keine echte Aufbruchsbotschaft vermitteln. Zu bekannt sind die Inhalte, zu überlegt seine Formulierungen. Erst ganz am Ende kommt, wenngleich nur sehr vorsichtig, „Yes, We Can“-Stimmung auf: „Es gibt da draußen kein Problem, das wir nicht gemeinsam lösen könnten“, sagt Obama. Aber auch diese Botschaft ist nicht neu.

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