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Far Cry New Dawn im Test: Die Zwillinge, die Postapokalypse und ich

Seit Far Cry 3 (2012) hat sich in der Serie nicht viel getan. Man streift durch eine offene Welt, tötet Feinde und versucht einem markant-charismatischen Bösewicht das Handwerk zu legen. Weil das genauso stumpfsinnig sein könnte, wie es klingt, webt Far Cry immer etwas Kontroverses in die Story mit ein. Begonnen hat es mit Drogen und Menschenhandel, weiter ging es mit Politik, bis Far Cry 5 mit Sekten, Rednecks und Religion endete. „Endet“ ist wörtlich zu nehmen: Das Spiel klingt mit einem Atomkrieg aus.

Far Cry New Dawn (PS4, Xbox One, PC, 35 Euro) beginnt 17 Jahre nach der nuklearen Auslöschung. Doch statt kargen, toten Landschaften gibt es einen Garten Eden. Und auch das ist wörtlich zu nehmen, wie man im Verlauf der Story merkt. Achtung: Der Absatz „Hallo Schwestern“ enthält Spoiler, die Ubisoft schon zuvor in Trailern gezeigt hat.

So schön ist Postnuklear

New Dawn ist ein Standalone-Spiel. Far Cry 5 wird nicht benötigt. Allerdings macht es einen großen Teil des Charmes von New Dawn aus, wenn man Charaktere und Landschaft von Far Cry 5 wiedererkennt. Die Handlung findet wieder in Hope County, Montana statt, zumindest in einem Teil davon. Die ganze Karte von Far Cry 5 steht nicht zur Verfügung.

Was man aber sieht, ist spektakulär. Es grünt nicht nur, es buntet. Pastellfarben überall, es leuchtet und glitzert. Sogar die lokale Fauna ist hübsch-mutiert. Anstatt ein Ödland wie in Mad Max, ist diese Postapokalypse fast schon kitschig-faszinierend, ähnlich wie im Film Annihilation.

Hallo Schwestern

Doch wo das Paradies ist, ist die Bedrohung. Diese kommt in der Form der Zwillingsschwestern Mickey und Lou. Die haben anscheinend keinen Bock auf Annihilation und stylen sich und ihre Gang im bunten Mad-Max-Stil. Damit wirken sie wie Fremdkörper in der Landschaft – wie ein Geschwür, das aus dem Garten Eden herausgeschnitten werden muss.

Die beiden haben zwar die übliche Boshaftigkeit für Far-Cry-Schurken, wirken aber recht eindimensional. Sie sind im Grunde nur das Mittel zum Zweck, um die Handlung in Richtung alter Bekannte zu lenken: New Eden und Joseph Seed. Da Ubisoft das Comeback des meiner Meinung nach besten Antagonisten in der Far-Cry-Serie in Trailern gespoilt hat (und man es sich ohnehin denken konnte), ist das keine große Überraschung.

Joseph treibt die Handlung weiter ins Religiöse. Die Metapher mit dem Apfel, den er dem Spieler zu Essen gibt, ist alles andere als unterschwellig. Natürlich lässt sich das folgende Religiös-Übernatürliche mit Mutationen, Radiation und ähnlichem erklären. Dennoch haben hier die Macher zu sehr versucht, mit dem Religions-Twist zu provozieren. Etwas subtiler hätte diesem Zweck womöglich gut getan.

Zu wenig Postapokalypse

Stattdessen hätten sie sich mehr darauf konzentrieren können, die Postapokalypse apokalyptisch zu machen. Es wirkt eher wie eine Hommage an Survival-Games und Spiele wie Fallout. Man könnte den Machern auch Faul- oder Feigheit unterstellen, weil sie das Thema nicht weit genug vorangetrieben haben.

Es gibt eigentlich nur eine postapokalyptische Waffe, den Sägeblattwerfer. Der Rest sind nur neue Looks für bekannte Waffen aus Far Cry 5 und dessen DLCs. Das ist schade, denn schließlich ist New Dawn ein Shooter: Die Waffen sind ein großer Teil des Spielerlebnis. Hier hat Ubisoft eine Chance verschenkt, mehr Post-Zivilisations-Atmosphäre zu schaffen.

In Anlehnung an Survival-Games werden Ressourcen statt Geld gesammelt. Anstatt eine Waffe zu kaufen, wird sie jetzt „gebaut“, was im Grunde genau dasselbe ist. Ob die Währung jetzt US-Dollar oder Titan und Platinen sind, macht keinen Unterschied. Auch die Fauna hätte ruhig noch mehr mutiert sein können.

Macht immer noch Spaß

Trotzdem ist New Dawn immer noch Far Cry. Und wenn die seit 2012 bekannte Formel nicht funktionieren würde, würde Ubisoft diese Games nicht mehr machen. Am meisten Spaß macht das Spiel in der ersten Hälfte, wenn man noch schwache Waffen und wenig Upgrades hat. Man durchstreift die Landschaft und saugt das neue Alte in sich ein. Man findet Rohstoffe, durchsucht Ruinen und plündert Prepper-Verstecke, die mit abwechslungsreichen Rätseln oder Herausforderungen verbunden sind.

Dabei hilft es, dass die Handlung sehr geradlinig ist. Man weiß immer, was man tun sollte, was gerade vor geht und was man nicht tun will, weil man lieber die Gegend erkundet. Es hat also was Gutes, dass Mickey und Lou relativ simpel gestrickt sind und den Spieler nicht ständig entführen, unter Drogen setzen oder umprogrammieren wollen (buh Far Cry 5, buh!).

Noch besser wird es, wenn man New Dawn von Beginn an mit einem Freund im Online-Koop-Modus spielt. Abgesehen vom Tutorial lässt sich das gesamte Game zu zweit bewältigen. Am besten wählt man dazu den höchsten Schwierigkeitsgrad, weil man dann ohne Teamwork, zumindest in der ersten Spielhälfte, kaum Chancen auf Überleben hat.

Langspielwert

Auch wenn die Haupthandlung relativ bald erledigt ist (mit furchtbar schlechten Boss-Kämpfen), gibt es Gründe weiterzuspielen. Eroberte Außenposten können beliebig oft zurückgesetzt werden. Das Zurücksetzen steigert den Schwierigkeitsgrad in mehreren Stufen. Abgesehen von den Rohstoffen, die es als Belohnung gibt, können durch das Befreien der Außenposten neue Outfits freigeschaltet werden. Das motiviert zum wiederholten Spielen. Wie schon bei Far Cry 5 gilt, egal ob alleine oder zu zweit: Ballern macht Spaß, aber schleichen ist am effektivsten.

Das eigentliche Highlight sind die Expeditionen. Hier wird man zu Levels gebracht, die abseits von Hope County liegen. Dazu gehören ua. die Absturzstelle der ISS, Alcatraz, ein Flugzeugträger, ein überwucherter Vergnügungspark und ein Level, in denen man auf die Spuren von Sam Fisher geht. Auch diese Levels sind in mehreren Schwierigkeitsstufen spielbar. Die höchste fügt Zufallselemente hinzu, damit das mehrmalige Spielen nicht zu einfach wird. Diese Expeditionen können ebenfalls zusammen mit einem Freund im Koop-Modus bewältigt werden.

Fazit

Mir gefällt Ubisofts Vision der Postapokalypse. Allerdings hätte New Dawn weiter gehen können. So wirkt das Game manchmal nur wie ein neuer Anstrich für ein altes Spiel – da wäre mehr drin gewesen. Dass die Sekten-Handlung aus Far Cry 5 in New Dawn zur Schöpfungs-Story wird, ist eigentlich eine grandiose Idee. Sie hätte aber subtiler umgesetzt werden müssen, um zu sickern. Stattdessen kriegt man sie so dezent präsentiert, als ob man einen Kübel Wasser über den Kopf geschüttet bekommt. Es wird zu plump versucht, zu provozieren.

Dennoch ist New Dawn schön zu spielen. Wer die Far-Cry-Serie mag, weiß was ihn oder sie erwartet. Besonders im Koop-Modus ist es wieder ein angenehmer Zeitvertreib. New Dawn ist ein Fall von: Auf die geistige Wunschliste setzen und kaufen (und ein Freund zum Kauf überreden), sobald es das Game bei einer Rabattaktion günstiger gibt.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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Gregor Gruber

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