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Far Cry 5 im Test: Hipster findet zu Gott, Bär zu Cheesburgern

Joseph Seed hat einen Man Bun, gepflegten Bart, Tattoos und eine gelbe Retro-Sonnenbrille: Er ist ein Hipster. Er ist auch durchaus charismatisch (für einen Hipster) und erzählt nicht ständig von seinem Fixie, der neuen tollen Vegan-Brunch-Chill-out-Lounge und gibt auch keine Tipps, wo man die coolsten Turnbeutel kaufen kann. Dafür muss man sich aber auf lange Gespräche über Gott einstellen, Hasspredigten, Entführung, Gehirnwäsche, Folter, Mord und Totschlag. Willkommen in Hope County, Montana.

Der halb-charismatische, halb-verrückte Bösewicht ist seit Far Cry 3 das Trademark der Shooter-Reihe und Far Cry 5 (PS4, Xbox One, PC) hält daran fest. Auch sonst werden Far-Cry-Veteranen viel Vertrautes in dem Shooter finden. Heißt das,  Ubisoft hat das Versprechen gebrochen, die „Ubisoft-Formel“ aufzulockern? Muss man wieder im Halb-Stunden-Takt Funktürme raufklettern und ständig dieselben Missionen machen? Nein, nein und jein.

Organisch statt Wiederholung

Die nervige Funkturmkletterei, um die Karte aufzudecken, entfällt. Stattdessen fährt, fliegt oder läuft man einfach durch Hope County, Montana, um die Karte aufzudecken und markante Punkte zu finden. Durch Gespräche mit Zivilisten, Verbündeten oder dem Finden von herumliegenden Dokumenten, werden ebenfalls interessante Punkte aufgedeckt oder Missionen hinzugefügt. Auch wo es was zu jagen gibt wird nicht durch einen Funkturm aufgedeckt, sondern durch Wildwechselschilder, an denen man vorbeiläuft.

Dadurch fühlt sich das Game organischer und dynamischer an. Bei FC3 und 4 war es wie das Abklappern einer Checkliste: Turm raufklettern, Gebiet aufdecken, Außenposten erobern, Nebenaufgaben machen, jagen, Storymission machen und das Ganze von vorne. Jetzt ist es eher ein: „Da geht es zum Missionsziel… oh, da gibt’s was zu zerstören! Hey, hier ist ein schöner Platz zum Fischen. Dort kann ich ein Prepper-Versteck finden. Stuntrennen! Welche Mission wollte ich denn eigentlich gerade machen?“

Abwechslung und Entführung

Die Umstellung vom vertrauten Schema auf das neue Gefühl von Freiheit dauert nach dem Tutorial vielleicht ein oder zwei Stunden, dann ist man voll in der neuen, offenen Welt und genießt diese. Die Missionen und Aufgaben sind abwechslungsreich. Natürlich läuft es immer darauf hinaus Feinde zu erschießen, aber das Umfeld rundherum sorgt dafür, dass es nicht zu fad wird.

Ganz wird die alte Ubisoft-Formel aber nicht aufgegeben: Außenposten werden immer noch befreit, Tiere immer noch gehäutet und Perks immer noch freigeschaltet. Was mich wirklich stört, ist das wiederholende Schema in jedem der Gebiete, die von Joseph Seeds engsten Vertrauten kontrolliert werden. Ab einer gewissen Stufe des erreichten Widerstands wird man gefangen genommen, um ein „Gespräch“ mit den Kontrolleuren zu führen.

Das passiert mehrmals in jedem Gebiet und kann nicht verhindert werden. In einem Fall wurde ich von einem Betäubungspfeil getroffen, während ich in ca. 500 Metern Höhe in einem Hubschrauber geflogen bin, um entführt zu werden. Einmal ist was Neues, zweimal ist ok, drei bis vier Mal pro Gebiet entführt zu werden (ohne etwas dagegen tun zu können) ist fad. Außerdem finden viele dieser Konfrontationen nur mit den Handlagern von Joseph Seed statt. Die sind zwar auch mäßig verrückt, irgendwie fühle ich mich aber abgespeist, wenn ich, obwohl ich die Hälfte seines Kults erschossen, gesprengt und abgebrannt habe, nur mit den Generälen palavern darf, anstatt dem Oberboss.

Hab‘ nichts Besseres vor

Dadurch ergibt sich folgendes Problem: Die drei Hanseln vom Oberhansel lenken ab. Joseph Seed kann als Bösewicht nicht sein volles Potenzial ausschöpfen. Zudem kommt hinzu, dass die Spielfigur keine eigene Story hat. Bei Far Cry 3 und 4 wusste man wer man war, warum man dort war und weshalb man den Feind bekämpfen musste. Bei Far Cry 5 kann man zwar erstmals aussuchen, ob man eine Frau oder einen Mann spielt, sowie Hautfarbe, Frisur und Kleidung wählen, dafür ist man aber stumm.

Das nimmt zu viel von der Handlung weg. Es fühlt sich zu sehr wie eine „falscher Ort, falscher Zeit“-Situation an, die man eigentlich jederzeit beenden könnte (und man direkt am Anfang des Spiels auch kann, Far Cry 4 lässt grüßen). Man bleibt halt, weil man als Hilfssheriff gerade nichts Besseres zu tun hat und den Abenteuerspielplatz genießt.

Redneck-Romantik

Es war eine gute Entscheidung von Ubisoft, Far Cry 5 nicht in den Anden, Afrika oder irgendwo im Dschungel spielen zu lassen, sondern in Montana, USA. Der fiktive Ort Hope County strahlt Redneck-Romantik aus und ist eine abwechslungsreiche Mischung aus Farmland, Wildnis und sporadischer Zivilisation.

Wenn man durch die Wälder läuft, mit dem Hubschrauber fliegt oder mit dem Lkw durch die Straßen brettert, merkt man auch nach mehr als zehn Stunden Spielzeit immer noch, wie groß Hope County ist. Auf der Kartenansicht wirkt es irgendwie klein und gestaucht aber bewegt man sich einmal von Punkt A zu Punkt B, wird man sich der beachtlichen Größe bewusst.

Hinzu kommt die Liebe zum Detail. Das Scaling wirkt authentisch, also wo Tunnel sind, wie weit Farmen, Felder und Dörfer voneinander entfernt sind, etc. Statt Händler die im Nichts stehen kann man mit umherziehenden Jägern handeln. Die wenigen Menschen von außerhalb, die sich nach Hope County verirren, sie Wanderer und Camper, die eigentlich die Natur genießen wollten.

Schwerbewaffnete Sandler

Nicht ganz so stimmig sind die Feinde. Der Kult mit dem Namen „Project at Eden’s Gate“ ist die Sekte, die Joseph Seed kontrolliert. Ihre Standardwaffe ist ein vollautomatisches Sturmgewehr mit teuren Anbauteilen. Als Raketenwerfer kommt öfters mal eine ebenso teure amerikanische Version des RPG-7 zum Einsatz. Dann gibt noch Hightech-Compound-Bögen, leichte Maschinengewehre und stationierte 50er Maschinengewehre, die regelmäßig zum Einsatz kommen.

Angezogen sind sie aber fast immer wie Penner. Ich versteh schon, dass die langen, ungepflegten Haare und Bärte sowie die schmutzigen und löchrigen Pullover und Hemden vermitteln sollen, dass der Kult seine Leute aus den bildungsfernen Schichten rekrutiert. Aber wir alle wissen, dass Rednecks ihre Camokleidung lieben. Und wenn man jedem Hinterwäldler ein 2000 US-Dollar Marken-Sturmgewehr in die Hand drückt, anstatt eines 400 US-Dollar billigen AR15 aus dem nächsten Supermarkt, wären wohl die 50 US-Dollar pro Person für einen billigen Tarnanzug in Woodland-Camo auch drin gewesen. Just sayin‘.

Abgesehen davon sind die Gegner ein guter Mix aus Nahkampf, Tieren, Fernkampf, in Fahrzeugen, Flugzeugen, mit verschiedenen Looks und ein paar Spezialeinheiten pro Gebiet. Wie immer lassen sich viele Missionen schleichend oder leise erledigen. In den meisten Fällen ist das die einfachere Variante, anstatt drauf loszustürmen.

Ein Trio mit zwei Fäusten

Damit auch das Stürmen gelingen kann, kann man sich Hilfe holen. In bestimmten Missionen (meist die besten Missionen im Game) kann man Charakteren helfen, die zu Verbündeten mit speziellen Fähigkeiten werden. Bis zu zwei von ihnen kann man fast immer mitnehmen, außer in den „ich werde zum x-ten-Mal entführt“-Missionen. So kriegt man etwa Unterstützung von einer toternsten Bogenschützin auf Rachefeldzug oder einem Bro mit Raketenwerfer, für den einfach alles brotastisch und ein riesiges Abenteuer ist.

Meine liebsten Verbündeten sind die drei Tiere. Die reden zwar nicht besonders viel, dafür kann man sie aber streicheln. Mit meinem Hund Boomer und dem Bären Cheesburger (heißt so, weil er von Besuchern der Wildstation mit Cheesburgern gefüttert wurde, bis er Diabetes bekommen hat) habe ich den Großteil von Hope County befreit – ein Trio mit zwei Fäusten, dafür aber vielen Zähnen. Die KI der Begleiter ist zwar manchmal nicht ganz auf der Höhe (speziell der Raketenwerfer-Bro), aber beim Wiederbeleben, nachdem man einen tödlichen Treffer eingesteckt hat, sind sie sehr verlässlich (auch die Tiere).

Alternativ kann man Far Cry 5 online auch mit einem Freund spielen. Es ist, abgesehen vom Tutorial, die ganze Kampagne spielbar. Allerdings werden abgeschlossene Missionen und Story-Fortschritte nur für den Host gezählt. Geld, gekaufte Waffen und Herausforderungen (zum Freischalten von Perk-Punkten) werden auch für den Gast gespeichert. Das Nichtsynchronisieren des Missionsfortschritts für die Einzelspielerkampagne hat auch etwas Gutes: Man hat einen Grund, mit seinem Buddy das Spiel zwei Mal durchzuspielen.

Ist auch das erledigt, gibt es noch den Far Cry Arcade-Modus. Hier können eigene Levels erstellt, geteilt und die von anderen Mitspielern gespielt werden – solo oder Multiplayer. Im Gegensatz zum normalen Game können hier verschiedene Modifikationen in den Levels aktiv sein. Und wer brav Arcade spielt, erhält Geld und Perk-Punkte, die im Einzelspieler-Modus genutzt werden können.

Fazit

Rein vom Gameplay her hat Ubisoft mit Far Cry 5 Besserung versprochen und diese auch geliefert. Es macht Spaß die Umgebung zu erkunden. Ich kann mich freier bewegen und es ist keine Strafe mehr von Punkt A zu Punkt B kommen, sondern ein Abenteuer. Das Verbündeten-System ist ein nettes Upgrade und Coop ist immer gut. Man muss sich aber klar sein, dass es immer noch Far Cry ist: Und das heißt nun mal Bösewichte erschießen, auch wenn das abwechslungsreicher gestaltet ist als bei den Vorgänger-Spielen.

Gepatzt hat Ubisoft bei der Story. Joseph Seed kann nicht sein volles Potenzial ausspielen. Die stumme, namenlose Spielfigur wirkt eher wie eine Söldnerin, die aus Langeweile den Kult zerschlagen will, anstatt wie eine ehrenbare Heldin, die die Bevölkerung von Hope County aus den Fängen der Sekte befreien will. An manchen Punkten in der Story dachte ich mir, dass es interessanter wäre auf der Seite von Joseph Seed zu kämpfen, statt gegen ihn.

Wer Far Cry 3 und 4 mochte, wird auch mit Teil 5 Spaß haben. Wer die Vorgänger nicht gespielt hat und Lust auf einen gelungenen Open-World-Shooter hat: Auf nach Montana. Grüßt den Hipster von mir.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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Gregor Gruber

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