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Peter Glaser: Zukunftsreich

Computer und Gott

Früher stand die Zuständigkeit des Vatikan als moralische Instanz in Technologiefragen außer Frage. So schrieb der deutsche Raumfahrtpionier Eugen Sänger 1958 in seinem Buch „Raumfahrt – technische Überwindung des Krieges": „Die Frage nach dem Sinn solcher Unternehmen hat Papst Pius XII. im Herbst 1956 gegenüber Teilnehmern des Internationalen Astronautischen Kongresses in Rom mit der offiziellen Erklärung beantwortet: ,Der Herrgott, der ins Menschenherz den unersättlichen Wunsch nach Wissen legte, hatte nicht die Absicht, dem Eroberungsdrang des Menschen eine Grenze zu setzen.`"

Beicht-App „Confession"
„Das kann man nicht", antwortete der Kölner Erzbischof Meisner 2010 auf die Frage, ob man auch online beichten könne. „Das muss von Angesicht zu Angesicht sein." Aber im 21. Jahrhundert ändern sich die Dinge schnell. Inzwischen gibt es eine römisch-katholische Beicht-App namens „Confession", die vom amerikanischen Klerus abgesegnet ist.

Für die Apple-Fans unter den Computerfreunden hat die Glaubensfrage als ironisches Spiel begonnen, mit den sogenannten Mac-Evangelisten, mit der jährlichen Bergpredigt von Steve Jobs auf der Developers Conference in San Francisco und mit der kultischen Verehrung der Gerätschaft. Inzwischen hat sich ein leiser Ernst eingeschlichen. Viele glauben nun wirklich an Apple.

Leistungsfähigere Version des Katholizismus
In dem Dokumentarfilm „Sans Soleil" von Chris Marker kommentiert ein Erzähler eine Ausstellung von Schätzen aus dem Vatikanmuseum, die hinter Panzerglas in einem Großkaufhaus in Tokio gezeigt wurden. Er vermeinte, in den Augen der Besucher einen Glanz wie von Industriespionage wahrzunehmen und vermutete, dass die Japaner bald mit einer leistungsfähigeren und billigeren Version des Katholizismus rauskommen würden. Es war aber nicht Japan, von wo die moderne Erweckung ausging, es war Cupertino. Dort steht das Hauptquartier von Apple.

Sieht man einen Menschen vor einem Bildschirm sitzen und computerisieren, stellt sich sofort auch das Bild eines andächtig vor einem Hausaltar innehaltenden Menschen ein. Computern ist alles andere als harmlos, es ist Kult im dramatischen Sinn. Nur aus den Tiefen des Spirituellen kann eine solche Inbrunst und fanatische Motivation kommen, wie man sie an Compternutzern wahrnehmen kann. Nirgendwo sonst, außer vielleicht bei Marienerscheinungen oder der Steuerhinterziehung, ist eine so unbedingte Bereitschaft, eine so schmerzliche Verzückung zu beobachten. Wie illuminierte Beichtvorrichtungen stehen die Geräte vor uns oder liegen in unserer Hand. Unfähig und starr haben die althergebrachten Kirchen in den zurückliegenden Jahrzehnten die geradezu fantastische Andachtsbereitschaft der Computermenschheit verschenkt.

Tablets und Gottesurteile
Dass da etwas ist, das über`s Profane Hinausführt, sieht man sogar an den YouTube-Videos mit neuen Apple-Produkten. Während herkömmliche Tiervideos hardwareunabhängig waren, sind etwa die iPad-Clips mit Katzen, Hunden und Papageien, die mit dem Tablettrechner spielen, fundamental anders. Auf den ersten Blick scheinen sie zu zeigen, zu welchen Intelligenzleistungen das Gerät ein Lebewesen anregen kann. Aber worum es geht, ist, dass Tiere unbestechlich sind. In Wirklichkeit handelt es sich bei den Videos um Rezensionen mit der Anmutung von Gottesurteilen.

Eva und die Schlange vor dem Apple Store
1977 schuf der Grafikdesigner Rob Janoff das Apple-Logo, wie wir es heute kennen – die Kontur eines angebissenen Apfels. Mit dem Biß wollte Janoff eigentlich nur verhindern, dass man den Apfel mit einem Paradeiser verwechselt. Im Englischen verleitet das fehlende Apfelstück zu einem Wortspiel: beißen - to bite - klingt genauso wie Byte. Aber es war eine andere, biblische Anspielung, die schließlich die Oberhand gewann: Der angebissene Apfel symbolisiere die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis, zu deren Genuss Adam und Eva von der Schlange verlockt wurden. (Von einem Apfel steht übrigens nichts in der Bibel, das angebliche Paradiesobst geht auf einen Übersetzungsfehler zurück: das lateinische Wort „malum" kann sowohl „böse" bedeuten, als auch „Apfelbaum"). Mit der Zähmung von Schlangen hat man bei Apple gleichfalls Erfahrung – gemeint sind die endlosen Warteschlangen, die tagelang friedlich vor den Apple Stores dieses Planeten ausharren, wenn es wieder einmal etwas Neues in Schachteln gibt.

Apostolische Systemadministratorin
„So wie die Apostel mit den Mitteln ihrer Zeit gleichsam die ersten Reporter waren, so stellt sich uns heute die Aufgabe, die neuen Technologien als Instrumente der Verkündigung anzusehen und zu nutzen", so Erzbischof Meisner.

Untersuchungen des amerikanischen Marketingexperte Martin Lindstrom mit bildgebenden Verfahren ergaben, dass der Anblick gängiger Markenlogos bei Konsumenten die gleichen Hirnaktivitäten auslöst wie bei Nonnen, die man bittet, an Gott zu denken. Eine von ihnen, die amerikanische Schwester Judith Zoebelein, ist päpstliche Internet-Chefexpertin und hat die ersten Server im Keller des Apostolischen Palasts eingerichtet. Die Webserver heißen nach dem Erzengel der Verkündung „Gabriel", der Firewall nach dem Wächter-Engel „Michael" und das vatikanische Intranet „Raphael" – auch Raphael arbeitet stets im Geheimen.

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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