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Peter Glaser: Zukunftsreich

Das Ende der Plakate

Das Plakat wird nur noch als eine sentimentale Erinnerung wiederkehren, momentlang, wenn ein kurzes Standbild im Fluß der bewegten Bilder erscheint. In den Megametropolen von Science Fiction-Filmen sind diese übergroßen Monitore seit langem Inbilder der Zukunft.

Das Plakat, das große Film-Still aus Papier, beginnt nun zu beschleunigen – und damit auch zu verschwinden. Wir können immer mehr Hybridformen sehen, Plakate am Band. In bereits bildschirmähnlichen, flachen Glaskästen am Straßenrand werden verschiedene Plakatmotive über Umlenkrollen im Wechsel an uns vorbeigeführt. Nur noch kurz hält das Bild an, schon entrollt sich das nächste Motiv. Der zunehmende Drang zur Bewegung ist dem Plakat anzumerken. Andere Systeme arbeiten nach dem Jalousieprinzip mit lamellenschmalen Bildstreifen, die kippen und ein jeweils neues Plakat ergeben. Und je mehr es sich bewegt, desto weniger Plakat ist es noch.

Eine neue, lichtdurchströmte Großstadt
In Bahnhofshallen, Stadien und den Showrooms von Weltmarken ist der nächste Schritt bereits vollzogen. Riesige Flachbildschirme, Wandteppiche aus Leuchtdioden, ersetzen das Plakat. Die hypnotische Besänftigung des Fernsehens strahlt von hier, leicht wie Blütenstaub in die kathedralischen Großräume der modernen Welt.

Mit dem Schwinden des Plakats wandelt sich das Gefühl, von unbewegten Bildern umgeben zu sein, an denen sich Menschen und Fahrzeuge vorbeibewegen, in das Gefühl, in eine neue, lichtdurchströmte Großstadt zu gelangen. Verlieren wir etwas mit dem Plakat? Es verschwindet das stillstehende, überdimensionale Bild. Die großen, aus Teilen zusammengesetzten Fotografien, die speziell gemacht wurden, um aus der Entfernung gesehen zu werden, nicht aus der Nähe. Je näher man einer Plakatwand kommt, desto grotesker wirken die riesenhaften Abbildungen. Noch werden die Plakate groß und größer, inzwischen überziehen sie gelegentlich ganze Hochhäuser. Aber das, womit sie eigentlich werben, ihre unbewegte, feststehende Ruhe, wird zur Nostalgie.

Die Physik der Verführung
Die klassische Art, ein Plakat zu betrachten, war das Vorbeifahren. Eine Plakatwandreihe ist ein stehender Film, an dem wir als eine Art umgekehrter Projektor vorbeieilen. Sich ganz nahe vor einem Plakat aufzuhalten, am Gehsteig vor einer Plakatwand, vor einer Litfaßsäule, in einem plakatbestückten Buswartehäuschen, verschaffte einem Einblicke in die Physik der Verführung. Das hochvergrößerte Bild erwies sich bei näherem Hinsehen als ein Gewirr von Farbquanten, die Rasterpunkte des Vierfarbdrucks. Wir sahen Falten und Klebekanten, manchmal ein Meteorschweif von Vogelkot, glitzernde Tröpfchen von Lindenharz auf einem großen Bild mit dem schäbigen Charme einer Kulisse. Wir sahen: der grandiose Gestus des Plakats ist – Theater.

Die Unzulänglichkeiten der analogen Welt
Mit dem fließenden elektronischen Bild auf den großen Monitorwänden werden wir ein paar Dinge verlieren: Übermalungen, wild Drüberplakatiertes, verrutschte und abgefetzte Plakatteile – die Unzulänglichkeiten der analogen Welt. Das große elektronische Bild strömt gleichförmig, von keinerlei Klebekanten begrenzt. Und die teuren Monitorwände sind außer Reichweite. An sie können wir nicht mehr so nahe herantreten wie an die robusten Plakatwände. Das Bild bleibt nun in der Entfernung, für die es vorgesehen war. Hoch oben, weit weg, distant.

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Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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