Das World Wide Werb
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Die Zukunft des Internets spielt sich am Rand ab. Bevorzugt an den Bildschirmrändern wuseln die Anzeigen von Google, Facebook und Co., auf denen die Milliardenprofite der digitalen Wirtschaft fußen. Google hat gerade einen Gewinn von 2,9 Milliarden Dollar für das letzte Quartal gemeldet. Bei Facebook weiß man nicht so genau, möchte aber unter allen Umständen ganz vorne mitmischen, schon mal nur, um die Aktionäre über den Flop beim Börsengang hinwegzutrösten – was dazu führt, dass nun immer öfter immer absurder zusammengeschusterte Anzeigenschnipsel auftauchen („Nicht Klicken, Schatz hie. Nicht bis zu 15 minutes to Kopieren Methode, die ich benutze").
Aber auch zu viel erfolgreiche Werbung ist nicht mehr erfolgreich, zu aufdringliche Werbung auch nicht. „Es muß wehtun, dann wirkt`s" – das Werber-Prinzip aus dem Papierzeitalter funktioniert online nicht mehr, da man dem Schmerz ganz leicht ausweichen kann. Ein Hase-und-Igel-Rennen ist im Gang. Schon bei der TV-Werbung kann man studieren, wie die stete Fluchtbewegung der Medienkonsumenten vor dem Werbedruck von immer neuen Versuchen der Werber gekontert werden, die rasch verfliegende Aufmerksamkeit wieder einzufangen.
Die Nutzerschaft rüstet mit Werbeblockern
Nun wächst der Online-Werbemarkt, und zwar rasant. 2010 übrtrafen die Werbeausgaben in Deutschland erstmals die Zeitungswerbung. Die Online-Marketer versuchen Gewöhnungseffekten bei der omnipräsenten Banner-Werbung mit neuen Formaten entgegenzuwirken. Nun okkupieren hochformatige Anzeigen den ganzen Bildschirmseitenrand im sogenannten „Skyscraper"-Format, vor beliebten YouTube-Clips laufen erst Werbetrailer, die sich auch nicht mehr so einfach wegklicken lassen und „PopUnder"-Anzeigen schieben sich verstohlen hinter geöffnete Fenster. Die Nutzerschaft rüstet mit Werbeblockern auf. Anzeigenvermarkter wie der Gigant Google versuchen den Ball flach zu halten und das heikle Thema zu meiden. „Wer Werbung unbedingt wegblenden will, der wird schließlich auch nicht draufklicken, wenn man sie ihm aufzwingt", sagt Google-Sprecher Stefan Keuchel.
Onlinewerbung – der Sündenfall
Dass es im Internet weitaus schwieriger ist, Werbung zu treiben als in der altgedienten Plakatwandwelt, hat mit der Geschichte des Netzes zu tun. Das Internet ist das erste Massenmedium, das nicht in einem kommerziellen Zusammenhang entstanden ist, sondern aus der akademischen Welt kommt. Und in der herrscht, von dem Wunsch nach wissenschaftlicher Unabhängigkeit getragen, eine nichtkommerzielle Grundhaltung. Wer es in der Netzfrühzeit wagte, die User mit Reklame zu behelligen, musste sich auf einiges gefasst machen. Als das amerikanische Anwaltsbüro Canter & Siegel am 12. April 1994 das Netz mit einer Spamflut für eine „Green Card Lottery" überschwemmte, waren die Reaktionen so heftig, dass der Mailserver des zuständigen Providers mehrfach zusammenbrach. Der norwegische Programmierer Arnt Gulbrandsen schrieb eigens einen „Chancelbot", der die Werbebotschaften aufspürte und löschte.
Mancher Marketing-Verantwortliche ist der Ansicht, dass diejenigen, die Adblocker einsetzen, die Spielregeln des Netzes missachten, nämlich dass hochwertige Inhalte kostenlos zur Verfügung gestellt werden – finanziert durch Werbung. Aber auch wenn sie öfter eingefordert wird: eine solche Vereinbarung mit Werbetreibenden, die Konsumenten verflichtet, sich Werbung anzusehen und dafür etwas gratis im Internet zu bekommen, gibt es nicht. Stattdessen nimmt der Werbedruck insgesamt zu. Im Stadtbild wachsen Großflächenplakate an Baugerüsten auf Hochhaushöhe, die Bewohner sehen die Außenwelt dann oft monatelang nur durch einen gigantischen Schleier. Immer mehr an Außenwerbung gerät in Bewegung, Rollplakate in Schaukästen wechseln alle paar Sekunden. Auch auf Fußböden ist nun gelegentlich schon Werbung zu finden.
Werbung Spezialfall der allgemeinen Informationsflut
Aber Werbung ist nichts weiter als ein Spezialfall der allgemeinen Informationsflut. Die Regulierung des Überangebots funktioniert ähnlich wie bei der Nahrungsaufnahme. Ist der Mensch informationssatt, stellt sich bei weiterer Zufuhr ein Völlegefühl ein. Ignoranz ist eines der stärksten Hilfsmittel in einer Informationsgesellschaft. Die Menschen des 21. Jahrhunderts haben einen an globalen Nachrichten, Filmen und Werbung geschulten Geschmack ausgebildet, dem eine weltoffene Auffassung von Kultur entspricht – Pop. Ihr schnellstes Medium, neben der Mode, ist die Werbung. Hintergrundwissen aus der Werbewelt trägt heute mit dazu bei, der Werbung den Anruch der Hinterfotzigkeit zu nehmen. Informierte Konsumenten spielen das Spiel „Wie wollt ihr uns diese Woche wieder einseifen?" mit viel mehr Spaß – und jeder weiß, was gespielt wird. Und ohne Werbung würde uns ein umfassendes kulturelles Zeichensystem fehlen.
Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.
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