Kampfjet der Zukunft: Air Force steht wieder bei Null
Der NGAD (Next Generation Air Dominance) sollte der Kampfjet der Zukunft werden. Als erster Flieger der 6. Generation sollte er die Luftherrschaft (Air Dominance) der USA weltweit sichern.
Dass daraus möglicherweise nichts wird, zeichnete sich bereits ab. Die Air Force legte das Projekt heuer auf Eis und sprach davon, dass es viel zu teuer sei. Man müsse überdenken, welche Features man wirklich will.
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Jetzt werden diese Überlegungen noch konkreter und damit wird es sehr ernst für die Zukunft von NGAD. Dies geht aus den Aussagen des stellvertretenden Generalstabschefs der Air Force, James Slife, hervor.
Luftherrschaft auch ohne NGAD erreichbar
Im Rahmen der DefenseNews Konferenz, die diese Woche in den USA stattfindet, sprach er über den aktuellen Stand des NGAD-Projekts, berichtet twz. Die Aussagen lassen darauf schließen, dass man statt einem teuren Stealth-Fighter lieber günstigere Stealth-Drohnen entwickeln will.
„Im Hinblick auf unsere Anforderung an NGAD gehen wir zurück zum Start und beginnen von vorne. Wir hinterfragen, was wir mit NGAD überhaupt erreichen wollen. Wollen wir die Luftherrschaft erreichen oder wollen wir einen bemannten Kampf-Jet der 6. Generation bauen? Das ist nicht zwangsläufig dasselbe. Ich weiß nicht, wie wir die Luftherrschaft in umkämpften Gebieten erreichen wollen. Es könnte einen Jet der 6. Generation involvieren, oder auch nicht. Wir gehen jetzt mal zurück und schauen uns alles von Anfang an.“
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Zwischen den Zeilen heißt das: Luftherrschaft ja, aber nicht mit einem bemannten Kampfjet der 6. Generation. Slife führt weiter aus: „Die Technologie hat sich viel schneller entwickelt als wir zu dem Zeitpunkt angenommen hatten, an dem das NGAD-Konzept aufgestellt wurde.“ Auch das spricht dafür, dass die Air Force, statt eines optional bemannten Stealth-Fighters der 6. Generation, jetzt mit einem komplett unbemannten Jet liebäugelt, weil die KI-Entwicklung große Fortschritte gemacht hat.
Was ist NGAD?
NGAD ist ein bemannter, einsitziger Stealth-Fighter der 6. Generation. Details zum Programm sind immer noch geheim. Inoffiziell bewerben sich die Rüstungskonzerne Boeing Defense und Lockheed Martin um den Auftrag. Offiziell ist bekannt, dass Northrop Grumman 2023 freiwillig die Bewerbung zurückgezogen hat.
Details zu NGAD sind noch vage. Bekannt ist, dass der Flieger ein adaptives Triebwerk haben soll, das Verbrauch und Flugverhalten automatisch optimiert. Außerdem soll NGAD eng mit KI-gesteuerten Wingman-Drohnen zusammenarbeiten können.
6. Generation
Würde die Air Force ihren Zeitplan einhalten, wäre NGAD weltweit das erste Kampfflugzeug der 6. Generation im Dienst. Zu den noch lose definierten Fähigkeiten eines Gen-6-Fliegers gehören:
- Tarnkappeneigenschaften und interner Waffenschacht
- Für Luftkämpfe und Bodenangriffe geeignet
- Geeignet für elektronische Kriegsführung
- Erweiterte Datenübertragungsfähigkeiten für das vernetzte Schlachtfeld und Datenübertragung direkt zu Satelliten
- Kann optional ferngesteuert und mindestens teilautonom mittels KI agieren
- Helm-Display ist mit Außenkameras verbunden, damit der Pilot „durch das Flugzeug“ durchschauen kann und so eine 360-Grad-Rundumsicht hat
- Adaptives Triebwerk
- Erweiterte Gegenmaßnahmen, wie Jammer, Infrarot-Blender und optional Energiewaffen – etwa um anfliegende Raketen per Laser zu zerstören
Keine Pension für die F-22 in Sicht
Andrew Hunter, der bei der Air Force für Beschaffung, Technologie und Logistik zuständig ist, teilt die Meinung von Slife bei der Konferenz: „Unsere Herangehensweise ist: Es wird nicht eine einzelne Plattform sein, die uns die Luftherrschaft sichert. Es ist eine gesamte Streitkraft. Und wir haben etliche Dinge in unserer Streitkraft, die auch in den nächsten Dekaden noch da sein werden. Wir haben die F-35. Wir haben die F-15EX. Wir haben die F-22. Also müssen wir überlegen: Was fehlt uns in Zukunft, welche Fähigkeiten brauchen wir noch, damit die Streitkraft die Schlagkraft hat, die sie benötigt?“
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Hier ist interessant, dass Hunter auch die F-22 genannt hat. Der Stealth-Fighter, der 2005 bei der Air Force in Dienst gestellt wurde, sollte eigentlich von NGAD abgelöst werden.
Dass das möglicherweise nichts wird, zeichnete sich schon im Juli ab. Der Chef des Air Force Air Combat Commands sagte damals, dass es aktuell keinen Zeitplan gebe, um die F-22 in Rente zu schicken.
Mehr Flexibilität statt individueller Problemlösungen
„Ich weiß, welche Mission wir als Air Force erfüllen müssen. Ich weiß aber nicht, ob wir dazu ein Flugzeug bauen müssen. Wir müssen ein System bauen, dass diese Mission erfüllt. Unsere Herangehensweise wird Flexibilität priorisieren, anstatt überspezifisch bestimmte Probleme anzugehen“, sagt Slife.
Zwar sollte NGAD ein universeller Stealth-Fighter sein, der sowohl für den Luftkampf als auch Angriffe auf Bodenziele eingesetzt werden kann. Allerdings wurde in dem Anforderungsprofil die optionale Bemannung festgelegt und die Fähigkeit, dass der Pilot vom Cockpit aus Begleitdrohnen Befehle geben kann. Beides ist schon sehr spezifisch in Anbetracht dessen, dass es diese Begleitdrohnen noch nicht mal gibt.
Fokus auf das Drohnenprogramm CCA
Die werden gerade im Rahmen des Programms CCA (Collaborative Combat Aircraft) entwickelt. In Phase 1 arbeiten General Atomics und Anduril an Drohnen, die auf den Luftkampf spezialisiert sind und auch als Loyal Wingmen dienen sollen – also etwa menschlichen Piloten in ihren Flugzeugen Begleitschutz geben.
„Wir fragen uns: Wie soll Phase 2 aussehen? Man sollte nicht mutmaßen, dass es nur eine Evolution von Phase 1 ist. Sie könnte für völlig andere Missionen gedacht sein. Es könnte auch eine völlig andere Art von Flugzeug sein“, sagt Hunter.
Die Air Force könnte also planen, den NGAD-Kampfjet zu streichen und stattdessen den Fokus auf die Phase-2-Drohnen von CCA zu legen. Womöglich könnten hierfür Designideen und Konzepte aufgegriffen werden, die für NGAD gedacht waren.
„Wir haben ein paar Ideen, was Phase 2 benötigt, um Teil der Streitkraft zu werden, die die Luftherrschaft sichert“, sagt Hunter. Um diese Ideen umzusetzen, will die Air Force kleineren Unternehmen eine Chance geben, statt nur den üblichen Big Playern der Rüstungsindustrie. Sollte die Idee eines kleinen Unternehmens gut sein, könnte die Air Force größere Konzerne miteinbeziehen, um die Massenproduktion zu ermöglichen.
Schlechte Aussichten für NGAD
Derzeit deutet alles darauf hin, dass der Stealth-Fighter der 6. Generation gestrichen wird, oder zumindest für etliche Jahre verschoben. Möglicherweise geht die Air Force davon aus, dass KI weit genug fortgeschritten sein wird, um menschliche Piloten völlig zu ersetzen, wenn es Zeit wird, die F-22s und F-35s auszutauschen. In diesem Fall wäre es klüger, schon jetzt mehr Fokus auf die Drohnenentwicklung zu legen. Das wiederum spricht für die Theorie, dass CCA Phase 2 das NGAD-Projekt ersetzen wird.
Sollte die Entwicklung von KI oder Drohnen-Kampfjets zu lange dauern, dürfte die Air Force einen Backup-Plan haben. Ende August wurde erstmals ein Konzept für einen leichten Stealth-Fighter gezeigt. Das Flugzeug ähnelt einer verkleinerten F-35 und könnte als Überbrückung gedacht sein, sollten zu viele F-22 und F-35 nicht mehr flugbereit sein, bis Drohnen vollständig ihre Aufgaben übernehmen können.
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Der leichte Stealth-Fighter wäre vermutlich etwas günstiger als eine F-35, die um die 70 Millionen US-Dollar pro Stück kostet. Und das wiederum wäre viel günstiger als der NGAD, dessen Stückpreis von der Air Force auf 240 bis 300 Millionen US-Dollar geschätzt wurde.
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