Astronautin erklärt, wie gefährlich ein Weltraumspaziergang ist
Der Begriff „Weltraumspaziergang“ könnte kaum irreführender sein. Denn, was nach einem gemütlichen Ausflug klingt, erfordert hartes Training, starke Nerven, viel Kraft und höchste Konzentration.
Die Crew der privaten Mission Polaris Dawn um den Milliardär Jared Isaacman will jetzt erstmals einen Weltraumspaziergang von Hobby-Astronauten durchführen. Der Start ist für die kommenden Tage geplant, wann genau war zunächst noch unklar, weil es stark wetterabhängig ist.
Am 3. Tag des Flugs sollen dann 2 Personen in etwa 700 km Höhe aussteigen und die neuen EVA-Raumanzüge im Außeneinsatz testen, die SpaceX entwickelt hat (EVA steht für „extravehicular activity“, die offizielle Bezeichnung für einen Außeneinsatz). Da es keine Luftschleuse im Raumschiff gibt, müssen alle 4 Crew-Mitglieder permanent den Anzug tragen, da sie im Raumschiff nicht geschützt sind.
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"Ich habe zuerst Erleichterung empfunden"
Die italienische ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti stieg 2022 aus der ISS aus, um unter anderem am European Robotic Arm zu arbeiten. Sie war damit die erste europäische Frau, die einen Weltraumspaziergang durchführte. Die futurezone hat bei ihr nachgefragt, welche Gefahren bei einem Space Walk lauern und wie man dafür trainiert.
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„Ich habe zuerst Erleichterung empfunden“, beschreibt sie das Gefühl direkt nach dem Aussteigen. Durch den Krieg in der Ukraine hatte sich ihr Training in Russland verkürzt. Die ISS-Modelle für ihr Training waren zudem mit Gerüsten ausgestattet, die es in der Realität nicht gibt. „Ich habe mir wirklich Gedanken gemacht, ob ich aus der Luke rauskomme, aber es hat einwandfrei geklappt.“
Training im Schwimmbecken
Das zeigt schon eine der großen Schwierigkeiten bei der Vorbereitung auf einen Space Walk. Auf der Erde kann man die Schwerelosigkeit nicht genau simulieren. Deswegen trainieren die Astronauten aller Weltraumagenturen in mindestens 10 Meter tiefen Swimmingpools. „Beim Tauchen gibt es den statischen Auftrieb, dabei schwebt man im Wasser, man wird weder nach oben noch nach unten gezogen“, erklärt Cristoforetti.
Im Raumanzug lässt sich das unter Wasser aber nicht so einfach aufrechterhalten. Dafür werden die Astronauten und Astronautinnen von Tauchern begleitet. „Sie versuchen, das mit kleinen Gewichten auszugleichen, die sie schnell an den Anzug hängen oder sie abnehmen.“
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Perfekt ausgleichen könne man die Schwerkraft aber nie. Das äußert sich bei den Bewegungen, da sich der Anzug im Pool immer wieder ausrichtet, was im All nicht der Fall ist. „Es ist aber auch schwieriger, weil man sich gegen den Wasserwiderstand bewegt. Im Weltraum hat man das nicht“, sagt die Astronautin.
So trainierte die Polaris-Dawn-Crew
Die 4 privaten Polaris-Dawn-Astronauten haben nicht in einem Pool trainiert. Sie gingen allerdings Tauchen, Bergsteigen, Fallschirmspringen, flogen Jets und führten Parabelflüge durch. Dabei fliegt ein Flugzeug eine Parabel-Form, wodurch im Innenraum für 20 bis 30 Sekunden Schwerelosigkeit simuliert wird. Mithilfe von Kränen und Gurten wurde die Crew zudem durch Raumschiff-Modelle gehoben, um ihr ein Gefühl von Schwerelosigkeit zu vermitteln.
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Allerdings ist ihre Mission auch schwer mit denen der ISS-Astronauten zu vergleichen. Obwohl nicht genau kommuniziert wurde, wie der private Space Walk aussehen soll, zeigen Animationen von SpaceX eine Person im Raumanzug, die in der geöffneten Luke steht und sich links und rechts an Handläufen festhält. Ob sie diese Position tatsächlich verlassen und wie sie gesichert sind, wurde noch nicht erklärt.
ISS-Astronauten hingegen haben immer eine Mission, z.B. eine Reparatur oder ein neues Bauteil anzubringen, wenn sie die Raumstation verlassen. Das bedeutet, sie müssen sich über Stunden entlang der ISS bewegen. Die größte Gefahr dabei: Die Verbindung zur Raumstation zu verlieren.
Immer festhalten, "sonst ist man weg"
„Man muss sich immer festhalten, entweder mit der Hand oder mit einem Karabinerhaken“, sagt Cristoforetti. Das ist vor allem beim russischen Orlan-Anzug wichtig, den sie bei ihrem Außeneinsatz trug. „Die NASA-Anzüge haben einen Sicherheitsdraht, der sich ausrollt, bei den Russen gibt es das nicht. Da muss man ein bisschen mehr aufpassen, dass die Sicherheitshaken auch wirklich fest verankert sind, sonst ist man weg.“
Dafür befestigt man den Anzug immer mit 2 Karabinerhaken an der ISS. Bewegt man sich, hängt man einen Haken aus, befestigt ihn an anderer Stelle und kann dann den 2. Haken nachziehen.
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„Die Raumstation kann niemandem nachfliegen“, sagt sie. Das betonte auch Hervé Stevenin, der das EVA-Training der ESA leitet, bei einem Besuch der futurezone im ESA-Astronautenzentrum in Köln. „Das Wichtigste ist die Sicherheit, denn es sind immer nur 2 Menschen draußen. Sie können sich nur gegenseitig retten.“
Nichts verlieren
Für die ISS-Astronauten ist es zudem wichtig, dass sie bei einem Außeneinsatz nichts verlieren. Schwebt das Werkzeug, das sie für Reparaturen benutzen, davon, können sie zum einen nicht weiterarbeiten. Das heißt, es muss erst wieder Nachschub mit einem Versorgungschiff nach oben geschickt werden, was spätere Missionen verzögert.
Es ist aber nicht der einzige Grund, warum es zum Problem werden kann. „Das verlorene Werkzeug wird dann in einen eigenen Orbit eintreten und kommt mit hoher Geschwindigkeit zurück. So gefährdet man sich und seine Kollegen“, sagt Stevenin.
Den Anzug schützen
Außerhalb der Raumstation ist das einzige, das die Astronauten schützt, ihr Anzug. Deswegen sollte man sorgfältig auf ihn achten. „Man muss aufpassen, was man anfasst. Einige Oberflächen sind kontaminiert und das will man nicht mit in die Station bringen“, sagt Stevenin. Zudem könnten die Handschuhe an scharfen Kanten beschädigt werden.
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Auch der Anzug selbst könnte eine Fehlfunktion haben, etwa einen Druckabfall. „Wenn der Anzug einen technischen Fehler hat, gibt es einen Alarm. Dafür trainiert man Prozeduren, um entweder das Problem selbst zu lösen oder schnell wieder reinzukommen“, beschreibt Cristoforetti.
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"Man hat keine Zeit, beeindruckt zu sein"
Dass es so viele Dinge zu beachten gibt, sorgt auch dafür, dass man sich voll und ganz auf die Situation konzentriert, sagt die Astronautin. „Man hat eigentlich keine Zeit, beeindruckt zu sein und darüber nachzudenken, das kommt im Nachhinein. In dem Moment ist man zu 100 Prozent konzentriert, es geht darum: Was macht meine Hand, was macht die andere Hand, was ist der nächste Schritt. Das ist alles so anstrengend. Man kommt nicht raus und guckt erstmals die Landschaft an.“
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Die Situation könnte durchaus beängstigend sein: Man hängt in 400 km Höhe außen an einer Raumstation, die mit 28.800 km/h um die Erde rast. Deswegen ist es schwer, sich zu orientieren, denn die Umgebung ändert sich schnell. Oben und unten existiert nicht. Nachts sieht man nur, was eine kleine Stirnlampe direkt vor einem beleuchtet, der Rest ist Dunkelheit. „Das ist unser Beruf. Viele von uns kommen aus dem Militär. Man ist es gewohnt, sich auf das Jetzt zu konzentrieren“, beschreibt Cristoforetti, wie man mit diesem Druck umgeht.
Die Mission von Polaris Dawn
Die Polaris-Dawn-Crew wartet derzeit in Quarantäne auf günstige Wetterbedingungen. Eine Falcon-9-Rakete wird die Crew-Dragon-Kapsel ins All bringen. Neben dem EVA-Test werden dann auch medizinische Experimente durchgeführt.
Außerdem wird erstmals laserbasierte Satellitenkommunikation mit Starlink getestet, die für Mond- und Mars-Mission nötig sind. Zudem soll zum Teil durch den Van-Allen-Gürtel (Strahlungsgürtel) geflogen werden. Mit einem Abstand zur Erde von 1.400 km soll die Raumkapsel einen eigenen Rekord aufstellen.
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