Keine Superhelden, aber außergewöhnlich: So wird man Astronaut*in
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Sie gehen an Orte, die nur wenige Menschen mit eigenen Augen gesehen haben, halten extremen Belastungen stand, sind in sämtlichen Naturwissenschaften bewandert und leben den Traum von Tausenden, die von der Erde sehnsüchtig in den Nachthimmel blicken: Nur ungefähr 550 Menschen waren bisher überhaupt im Weltraum und sind damit Astronaut*innen. Ein Ziel, das für viele unerreichbar scheint.
"Das sind nicht alles Superhelden, sondern normale Menschen, die Außergewöhnliches leisten. Die Voraussetzungen sind gar nicht so hoch – die Herausforderungen im Beruf sind hoch, aber das kann man lernen", sagt Dagmar Boos, Leiterin des Zentrums für Personalkompetenz und -politik bei der ESA, im Gespräch mit der futurezone. Die ESA sucht derzeit neue Anwärter*innen für den Beruf.
Dem letzten Aufruf 2008 folgten 8.400 Bewerber*innen. Nur 7 von ihnen schafften es in den aktuellen Astronaut*innen-Korps. Einem Aufruf der NASA kamen im vergangenen Jahr 12.000 Bewerber*innen nach. Trotzdem sagt Boos: "Man sollte davor keine Angst haben. Man kann nichts falsch machen und sollte seinen Traum verfolgen."
Wichtigste Fähigkeit: Soziale Kompetenz
Erfüllt man die Grundvoraussetzung geht das Auswahlverfahren los. Über 18 Monate hinweg finden 6 Auswahlrunden mit Fachgesprächen, sowie medizinischen, körperlichen und psychometrischen Tests statt. Besonders wichtig ist dabei die soziale Kompetenz. "Auf der ISS lebt man mit einem kleinen Team auf engstem Raum zusammen. Man ist aufeinander und auf die Menschen am Boden angewiesen. Wir brauchen Leute, die auch in schwierigen Situationen gemeinsam Lösungen finden können", erklärt Boos.
Doch nicht nur das Zusammensein kann an den Nerven zehren, sondern auch die Isolation. Die Missionen auf der ISS dauern oft mehrere Monate lang. Der deutsche Astronaut Alexander Gerst absolvierte etwa zwei Langzeitmissionen und war insgesamt 362 Tage im All. In dieser Zeit muss man auf Familie und Freunde verzichten können.
"So eine Situation ist nicht einfach. Wir sehen ja gerade während der Pandemie, wie schwierig es einerseits ist, isoliert zu sein und andererseits auf engstem Raum mit anderen zu leben und zu arbeiten. Das wird von Astronaut*innen verlangt. Sie können allerdings nicht mal eben zuhause anrufen", beschreibt Boos die herausfordernde Situation. Daher werde die soziale Kompetenz und mentale Belastbarkeit sehr intensiv während des Auswahlverfahrens getestet.
Theorie und Action
Nach der Auswahl beginnt das einjährige Basistraining. Das ist so konzipiert, dass alle Astronaut*innen mit den gleichen Voraussetzungen und Kenntnissen auf die ISS kommen. Das Jahresprogramm hat es in sich: Pilotenschein, Tauchschein, Training in der Schwerelosigkeit, Theorie in Physik, Robotik und Maschinenbau und Sprachenlernen. "Das ist sehr intensiv. Man muss schon Freude am Lernen und Üben haben, aber das macht auch Spaß", erklärt Boos.
Das kann auch Suzanna Randall bestätigen. Die Astrophysikerin hat gerade ihr Basistraining beendet. Überraschend war für sie, wie viel Wissen man sich tatsächlich aneignen muss: "Man stellt sich das immer so actionreich vor, aber ein Großteil besteht aus Theorie", sagt sie im Gespräch mit der futurezone.
Sie liebt vor allem das Fliegen: "Das tollste Erlebnis war es, in den Parabelflügen die Schwerkraft zu erleben", erinnert sie sich. Dabei fliegt ein Flugzeug quasi im Zick-Zack steil auf- und abwärts. Während der Übergänge von Steig- zu Sinkflug schwebt man.
Allround-Talente
Nach Tests, Übungen und Basistraining folgt: noch mehr Training. Denn mit den gewonnenen Grundvoraussetzungen müssen sich die Astronaut*innen dann auf ihre Expedition vorbereiten. "Was Astronaut*innen ausmacht ist, dass sie oft Allround-Talente sind", erklärt Randall. Dazu gehört es etwa, Forschungsexperimente perfekt auf der ISS durchführen zu können. Momentan befindet sich die NASA-Astronautin Kate Rubins auf der ISS, wo sie Salat und Rettich anpflanzt, erntet und zur Untersuchung auf die Erde schickt. In ihrer ersten Mission 2016 führe die Biologin die erste DNA-Sequenzierung in der Schwerelosigkeit durch.
Sind Berufsastronaut*innen gerade nicht im Training oder im All, übernehmen sie Aufgaben am Boden, wie die Kommunikation mit den Astronaut*innen auf der ISS. Bei der ESA stehen die Chancen sehr gut, dass man nach abgeschlossener Ausbildung auf jeden Fall ins All fliegen kann. Doch das weltweit wachsende Interesse an der Raumfahrt und zusätzliche Transportmöglichkeiten durch Privatunternehmen wie SpaceX könnte künftig weit mehr Astronaut*innen erfordern.
Neue Wege, Astronaut*in zu werden
Suzanna Randall hat einen neuen Weg gewählt, um ihren Traum vom Weltraum wahr werden zu lassen. Denn neben Agenturen wie ESA, NASA oder Roskosmos beginnen vereinzelt auch private Organisationen und Projekte, Ausbildungen anzubieten. Randall ist eine von zwei Trainees bei "Die Astronautin". Die gemeinnützige Stiftung will die erste deutsche Frau ins All bringen. Diese Öffnung des Astronaut*innenberufs begrüßt Randall. "Es ist ein neuer Weg, der immer leichter zugänglich wird. Wir trainieren auf eine einmalige Mission und kehren dann wieder in unsere Berufe zurück", so die Astrophysikerin.
Dafür hatte man auf die Unterstützung der deutschen Bundesregierung gehofft, um die 50 Millionen US-Dollar für ein Ticket aufzubringen, doch die bliebt bisher aus. Um die Mission zu finanzieren, bietet die Stiftung ihre Zeit auf der ISS für kommerzielle Forschung an. Ein Projekt soll gemeinsam mit dem deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) durchgeführt werden. Dabei wird untersucht, wie sich die Augen in der Schwerelosigkeit verändern.
Mädchen und Frauen begeistern
Ein weiteres Ziel der Stiftung ist es, Frauen und Mädchen stärker für naturwissenschaftliche und technische Studiengänge zu begeistern. Dafür wird Bildungsarbeit geleistet, um Vorbilder zu schaffen. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Insa Thiele-Eich hat Randall dafür kürzlich das Kinderbuch "Unser Weg ins Weltall" veröffentlicht.
Auch die ESA appelliert verstärkt an Frauen, sich zu bewerben und reagiert auf die steigende Zahl an Expeditionen mit einer Neuerung. Neben den Berufsastronaut*innen wird auch ein Reserve-Team ausgewählt und ausgebildet. Nach erfolgreichem Basistraining kehren sie in ihre Berufe zurück und bleiben auf Abruf bereit, sollte sich ein Missionsplatz öffnen.
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