© Matthias Balk, apa

Gastkommentar

Der US-Wirtschaftsspionage den Boden entziehen

Vor mehr als einem Jahrzehnt haben US-Nachrichtendienste und die ins gemeinsame Boot geholten verbündeten Organisationen aus Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada unter dem Codenamen "Echelon" nicht nur militärische Kommunikation, sondern auch private sowie kommerzielle Informationen abgehört. Im Jahr 2001 bezeichnete ein eigens einberufener Ausschuss des Europäischen Parlaments das Vorgehen des Geheimdienstes, nämlich europäische Technologieunternehmen befreundeter Staaten auszuspionieren, als untragbar.

Die "Echelon"-Vorgänge wurden von James Woolsey, einem ehemaligen Direktor der CIA, dadurch gerechtfertigt, dass europäische Unternehmen eine ‚nationale Kultur‘ der Bestechung hätten, wenn es um die Vergabe von Großaufträgen im internationalen Handel ginge. Der Vertreter der Central Intelligence Agency ging sogar noch einen entlarvenden Schritt weiter: „Es wäre Ressourcenverschwendung der Nachrichtendienste, würde man aus Spionage gewonnene Erkenntnisse von kommerziellem Nutzen nicht an amerikanische Unternehmen weitergeben.“

Die Amerikaner haben PRISM auch dazu benutzt, um sich im Vorfeld der Unterzeichnung der "Transatlantic Trade and Investment Partnership" (TTIP) in eine bessere Verhandlungsposition zu bringen. Neben Tariffragen geht es bei dem Abkommen auch um die Beseitigung von Barrieren in Bezug auf technische Vorschriften und Marktzulassungsbedingungen. Es liegt auf der Hand, dass bei einem täglichen Güteraustausch zwischen den USA und Europa in Höhe von rund zwei Milliarden Euro die Durchsetzung eigener Interessen gravierende wirtschaftliche Vorteile bringt.

Die Wirtschaftsspionage wird konsequenterweise auch in der rechtlichen Grundlage für das Spähprogramm "Tempora" des General Communications Headquarter, dem "Intelligence Service Act" von 1994, ganz explizit als ein wichtiger Teilgrund für die Durchführung von Geheimdienstaktivitäten genannt. Neben der Gewährleistung von Sicherheit, der Bekämpfung von Terror und organisiertem Verbrechen wird wirtschaftliches Wohlergehen ausdrücklich angestrebt. Wird diese Aufgabenstellung offensiv angegangen, dann bedeutet dies nichts anderes als gezielte Wirtschaftsspionage.

Die Wirtschaftsspionage wurde digitalisiert

Was jetzt in der Wirtschaftsspionage online passiert, etwa die gigantische Sammlung von Meta-Daten von Sendern sowie Empfängern von E-Mails oder Daten über Flug- und Kontoverbindungen, erlaubt den Daten-Mineuren die Erstellung von exakten Unternehmensprofilen. Diese intime Kenntnis von Marktkonkurrenten lässt sich für eigene Geschäftsbeziehungen nutzen.

Vielfach ist es dabei gar nicht erforderlich, auf die lokale IT-Infrastruktur von Unternehmen zuzugreifen und die Informationen direkt dort abzuschöpfen. Die Daten werden einfach an zentralen Knoten des Internets geklaut, wodurch die Spurensicherung bei den betroffenen Firmen erheblich erschwert wird. Der Großteil internationaler Internet-Hubs befindet sich auf amerikanischem Staatsgebiet. Die Briten wiederum nutzen die Gelegenheit, die terrestrischen Tiefseekabel, die über den Atlantik führen, anzuzapfen. Die Wirtschaftsspionage ist im digitalen Zeitalter angekommen.

Deutsches Know-how hoch im Kurs

Insbesondere deutsches Industrie- und Technologie Know-how steht bei den "friendly" Intelligence Services hoch im Kurs. Kein anderes europäisches Land wurde in jüngster Vergangenheit dermaßen intensiv gehackt wie Deutschland. Eine Studie zur Industriespionage 2012 von ‚Corporate Trust‘ beziffert den Gesamtschaden für die deutsche Wirtschaft im Berichtsjahr auf 4,2 Milliarden Euro. Gegenüber der Studie aus 2007 ergibt das einen Anstieg um knapp 50 Prozent oder unvorstellbare 2,8 Milliarden Euro.

Industriespionage wird den Amerikanern und Briten dadurch erleichtert, dass ihre größten Unternehmen der Informations- und Kommunikationsbranche durch gesetzliche Ermächtigung jederzeit von den Nachrichtendiensten zur Herausgabe von Kundendaten gezwungen werden können. Jüngstes Beispiel Verizon: Die NSA konnte mit einem geheimen Gerichtsbeschluss Millionen Benutzerkonten ausspionieren. Nicht-Amerikaner haben bei solchen Anordnungen keinerlei Rechts- und Datenschutz.

Nachdem Whistleblower Edward Snowden die Vorgänge bei PRISM an die Öffentlichkeit gespielt hat, haben selbst langjährige Insider der amerikanischen Informationsindustrie ihr Vertrauen in die eigene Branche verloren. Der frühere Chief Privacy Adviser (Chefberater für Datenschutzangelegenheiten) von Microsoft, Caspar Bowden, verzichtet heute auf die Nutzung von Programmen seines ehemaligen Arbeitgebers und setzt nur noch Open Source Software ein, deren Programmcode geprüft werden kann.

Wenn es um die Wertschöpfung aus IKT für amerikanische Unternehmen geht, werden die Spionage-Aktivitäten auch gezielt durch Unternehmenskäufe flankiert. Zuerst werden europäische Unternehmen durch Auskundschaften von sensiblen Technologiedaten und Zukunftsplänen strategisch geschwächt und schlussendlich zu einem Schleuderpreis aufgekauft und vom Markt genommen. Das beste Beispiel ist meiner Meinung nach Nokia. Das einstige finnische Paradeunternehmen mit einem bezifferten Marktwert von 260 Milliarden Euro hat als letzten Ausweg seine Mobilfunksparte um 5,4 Milliarden Euro an Microsoft verkauft.

EADS und Galileo als Vorbilder

Die Zeit ist meiner Ansicht nach also reif, jetzt mit politischem Rückenwind entschlossen zu handeln und die europäische IKT-Infrastruktur auf eigene Beine zu stellen. Mit unabhängigen Netz- und Datenzentrumsressourcen können Spionageangriffe und andere Formen von Cyberwar massiv erschwert werden. An vorderster Front heutiger IKT-Entwicklung steht zweifellos Cloud Computing. Wir brauchen in Europa diesen längst überfälligen Wandel zu einer eigenen Cloud Industrie „Made in Europe“. Nur mit einer eigenen europäischen Cloudstrategie kann die Vorherrschaft der Amerikaner bei der Datenspeicherung gebrochen werden!

Beispiele aus der europäischen Industriegeschichte zeigen, dass gemeinsame Projekte auf Basis einheitlicher europäischer Normen durchschlagenden Erfolg am Weltmarkt haben können. Heute sind die ursprünglich für Europa konzipierten GSM-Normen ein globaler Standard. Andere lautstarke europäische "Statements" an den Weltmarkt sind zum Beispiel EADS/Airbus und das global aufgesetzte unabhängige europäische Satelliten-Navigationssystem „Galileo“.

Die ersehnte IT-Autonomie Europas bedarf aber auch einer nachhaltigen Finanzierung. In der Forschung sind diese Mitteldotierungen in den Programmen zur Erfüllung der "Horizon 2020"-Ziele sichergestellt. Allerdings fehlen die Mittel für die Entwicklung von Open Source Software in Standardbereichen wie z.B. bei Office-Programmen. Europäische Behörden und Unternehmen zahlen jährlich Milliarden Euro für Office- Softwareprodukte von Microsoft. Diese könnten relativ einfach und weit kostengünstiger von europäischen Open Source Lösungen zur Verfügung gestellt werden. Die Dotierung solcher Entwicklungen könnte zum Beispiel aus der Zweckwidmung von Geldmitteln aus Strafzahlungen für Marktmissbrauch erfolgen.

Die nun öffentlich heftig diskutierte Spionagetätigkeit der Amerikaner ist für Europa in Wahrheit eine Chance zur Veränderung in Richtung technologischer Unabhängigkeit. Ideen dazu gibt es genug.

Helmut Fallmann gründete gemeinsam mit Leopold Bauernfeind vor 25 Jahren den Softwarekonzern Fabasoft. Heute ist er Mitglied des Vorstandes der Fabasoft AG. Fabasoft hat sich zu einem führenden europäischen Softwarehersteller und Cloud-Anbieter mit Sitz in Linz etabliert. Als Visionär und überzeugter Europäer setzt Helmut Fallmann sich besonders für den Wirtschaftsstandort Europa ein. Das Potential der Wertschöpfung der europäischen IT-Branche muss, so ist der Unternehmer überzeugt, in noch größerem Maße genutzt werden. Denn die IT-Versorgung des Wirtschaftsstandortes Europa darf nicht nurden USA überlassen werden.

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Helmut Fallmann

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