Anstatt unsere Überzeugungen zu hinterfragen, wollen wir sie viel lieber bestätigen
Anstatt unsere Überzeugungen zu hinterfragen, wollen wir sie viel lieber bestätigen
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Wissenschaft & Blödsinn

Die Selbstbestätigungs-Falle

Es ist ein ganz einfaches Spiel: Ich denke mir eine ganz bestimmte Zahlenregel aus, Sie nennen mir drei Zahlen und ich sage Ihnen, ob diese Zahlen meiner Regel gehorchen. Durch kluges Herumprobieren müssen sie herausfinden, welche Regel ich mir ausgedacht habe.

Einen einzigen Hinweis bekommen Sie gleich zu Beginn: Die Zahlenfolge 2-4-6 ist richtig, sie erfüllt meine Regel. Welche Zahlen würden Sie nun ausprobieren, um meine Zahlenregel aufzudecken?

Die Suche nach Bestätigung

Genau diesen Versuch machte der Englische Psychologe Peter Wason vor über fünfzig Jahren. Er wollte herausfinden, welche Strategien Menschen beim Erstellen von Hypothesen verfolgen. Die meisten Leute erkennen in der Zahlenfolge 2-4-6 sofort ein einfaches Muster und probieren ähnliche Zahlenfolgen aus – zum Beispiel 4-6-8 oder 10-12-14, und tatsächlich sind auch diese Kombinationen richtig. „Es müssen drei aufeinanderfolgende gerade Zahlen sein, in aufsteigender Reihenfolge“ ist daher ein beliebter Lösungsvorschlag. Leider ist er aber falsch, das ist nicht die gesuchte Regel.

Die tatsächliche Zahlenregel, die sich Peter Wason ausgedacht hatte, war viel einfacher: Die drei Zahlen müssen bloß in aufsteigender Reihenfolge sortiert sein. 1-4-168 ist also auch korrekt. Oder minus dreieinhalb, die Zahl Pi und 1.43 mal zehn hoch achtundzwanzig.

Warum fällt es den meisten Leuten so schwer, dieses einfache System zu erkennen? Weil sie einen entscheidenden Fehler machen: Sie testen ihre Hypothese, indem sie nur Beispiele ausprobieren, die ihre Hypothese bestätigen würden – man spricht dann von „positiven Tests“. Allerdings sollten sie genauso eifrig nach Beispielen suchen, die ihre Hypothese widerlegen könnten – also ihre Hypothese einem „negativen Test“ aussetzen.

Einfach mal das Gegenteil annehmen

Wenn man nach ein paar Versuchen davon überzeugt ist, dass die Regel lautet „es müssen drei aufeinanderfolgende gerade Zahlen sein“, dann überprüft man das am besten, indem man bewusst Zahlenfolgen testet, die dieser Hypothese widersprechen, zum Beispiel 1-2-3.

Geht ein solcher Negativtest tatsächlich negativ aus, ist alles in bester Ordnung, das Vertrauen in die Hypothese wird gestärkt. Wenn diese Zahlenfolge aber wider Erwarten doch korrekt ist, dann hat man etwas Wesentliches dazugelernt – etwa, dass es sich nicht um gerade Zahlen handeln muss. Mit ausschließlich positivem Testen hätte man das niemals herausgefunden.

Dummerweise liegt genau hier unser Problem: Wir versuchen viel lieber, unsere Hypothesen zu bestätigen statt sie zu widerlegen. Wir setzen unsere Annahmen nicht den härtest möglichen Tests aus, wir tun lieber so, als wären sie richtig, und hoffen, damit durchzukommen. Was sich bewährt hat und zu unseren Vorstellungen passt, probieren wir immer wieder – auch wenn wir damit kaum Neues lernen.

Wir sind sicher, die schnellste Route vom Büro nach Hause zu kennen. Wir könnten diese Hypothese natürlich testen, indem wir eine andere Route wählen und dann nachsehen, ob wir dann tatsächlich ein bisschen länger brauchen. Das macht aber niemand.

Wir sind sicher, dass die seltsame Nachbarin aus dem zweiten Stock böse auf uns ist. Wir könnten natürlich einfach mal kurz vom Gegenteil ausgehen und mit ihr reden, aber das tun wir nicht. Wir haben uns eine Hypothese zurechtgelegt, und durch jede peinliche Stille beim zufälligen Aufeinandertreffen im Hausflur scheint sie bestätigt zu werden.

In der Wissenschaft darf man sich das nicht erlauben, hier geht es darum, alle Hypothesen so sorgfältig wie möglich zu hinterfragen und zu testen – für den Philosophen Karl Popper ist die Suche nach möglichen Widerlegungen der Kern des wissenschaftlichen Denkens.

Raus aus der Filterblase!

Etwas allgemeiner betrachtet stoßen wir auf dieses Phänomen auch in ganz anderen Lebensbereichen, etwa in der Politik. Viel zu oft geben wir uns damit zufrieden, unsere politischen Überzeugungen nur Tests auszusetzen, die sie ziemlich sicher überstehen werden. Wir lesen Zeitungen, die mit unseren Ansichten im Großen und Ganzen übereinstimmen, wir diskutieren mit unseren Freunden, die ähnliche Meinungen vertreten wie wir selbst. Nur ganz selten kommen wir auf die Idee, versuchsweise mal das Gegenteil unserer Überzeugungen anzunehmen und zu sehen, wohin uns das führt.

Wer für die Öffnung der Grenzen ist, liest die rührende Geschichte über die gelungene Integration einer pakistanischen Familie in einem kleinen Dorf in der Steiermark. Wer Zuwanderung bedrohlich und angsteinflößend findet, liest lieber anderswo eine Geschichte über Prügeleien zwischen rivalisierenden Jugendbanden mit Migrationshintergrund. Beide haben ganz unterschiedliche Hypothesen, beide fühlen sich bestätigt.

Genau wie man bei Peter Wasons Zahlenfolgen-Test versuchen sollte, seine eigenen Hypothesen zu überprüfen, indem man einfach mal kurz das Gegenteil ausprobiert, sollten wir auch die politischen und gesellschaftlichen Überzeugungen hinterfragen, die sich in unserer Filterblase gemütlich breit gemacht haben. Wenn wir dann erkennen, dass unsere Annahmen doch richtig waren – fein. Und wenn nicht, lernen wir vielleicht etwas wirklich Neues dazu.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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