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Peter Glaser: Zukunftsreich

Die Zuhausefabrik

Die Bastelarbeiten an der Welt werden im Kleinsten wie im Großen vorangetrieben. Wissenschaftler an der Universität Wien haben bereits vor zwei Jahren ein detailliertes 3D-Modell des Stephansdoms in einer Größe ausgeführt, die der Dicke eines Haars entspricht. Am oberen Ende der Skala warten bewohnbare Gebäude darauf, in Zukunft statt von Bauarbeitern errichtet schlicht geprintet zu werden. Bei der NASA, die aus Kostengründen bereits Triebwerksteile für ihre neue Trägerrakete SLS im 3D-Druck herstellt, gibt es Konzepte für eine Mondstation, die in dem Verfahren aus geschmolzenem Mondstaub errichtet werden soll.

2007 kam im Anthropologischen Institut der Universität Zürich ein Neandertaler zur Welt. Es dauerte etwa 20 Stunden, bis der Schädel des Homo neanderthalensis-Neugeborenen ans Licht kam – aus einem 3D-Drucker. In einer jahrelangen Puzzlearbeit hatten die Wissenschaftler aus Computertomografien von Neandertaler-Knochenfunden den Geburtsvorgang dieses frühen Verwandten des Menschen digital simuliert. Der Schädel aus dem Drucker trug dazu bei, die geltende Lehrmeinung zu widerlegen, wonach Neandertaler schnell lebten und jung starben. Die Entwicklung bei den Neandertalern war wohl ein ähnlich schwieriger und langsamer Prozess wie beim anatomisch modernen Menschen.

Die Züricher sind Pioniere beim Einsatz von 3D-Druckern in der Forschung, ihr Institut verfügt über ein 40.000 Euro teures Gerät. Bis vor einigen Jahren lagen die Preise für 3D-Scanner, Konstruktionssoftware und 3D-Drucker noch im fünf- bis sechsstelligen Bereich. Inzwischen gibt es Selbstbausätze schon für unter 600 Euro – 3D-Druck boomt. Eine neue Do-it-Yourself-Bewegung macht sich diesen Preisrutsch zunutze: die „Maker“ sind der Auffassung, dass jeder eine solche kleine Fabrik zu Hause haben sollte.

Als die Computerrevolution begann, hatte das Bastlertum bereits seine zugehörige Erscheinungsform gefunden: den Hacker, ein Lebewesen mit einem Gaslötkolben im Jackett und ungezügelter Programmier- und Experimentierfreude. Mit dem Internet breitete sich die praxisvergnügte Gesinnung um den ganzen Planeten aus. Es dauerte bis ins Jahr 2005, ehe sich mit der „Maker“-Bewegung die Lust am Erfinden neu erfand. In diesem Jahr publizierte Dale Dougherty (von ihm stammt der Begriff „Web 2.0“) in dem von ihm mitgegründeten Computerbuchverlag O‘Reilly die erste Ausgabe des „MAKE Magazine“ und gab damit einer weithin verstreuten Subkultur aus modernen Schraubern, Hackern und technisch Kreativen eine Plattform.

Im britischen Bath begann zur selben Zeit Adrian Bowyer sein Projekt „RepRap“: Bowyer wollte eine Maschine bauen, die ihre eigenen Ersatzteile produzieren und sich schließlich selbst reproduzieren kann. Startups, die 3D-Drucker und Fräsmaschinen produzieren, schossen aus dem Boden – Firmen wie MakerBot, Solidoodle, Up!3D und Ultimaker trugen die RepRap-Idee in den Mainstream. Die Community präsentiert sich auf „Maker Fares“ - Messen, die in den USA inzwischen teils weit über 100.000 Besucher anlocken.

Im Februar 2013 hob US-Präsident Obama in seiner Rede zur Lage der Nation die zunehmenden Bemühungen amerikanischer Unternehmen hervor, nach einem Jahrzehnt schwindender Jobs die Produktion aus Niedriglohnländern wieder zurück in die USA zu holen – und dass 3D-Druck dabei eine maßgebliche Rolle spielen könne. Das Verfahren habe „das Potential, die gesamte Art und Weise, wie Dinge hergestellt werden, zu revolutionieren.“ Chris Anderson, von Berufs wegen Technikoptimist und vormals Chefredakteur des Magazins „Wired“, sieht bereits eine Zeit nahen, in der jeder Haushalt mit einem „Fabber“ ausgestattet ist - einem 3D-Fabricator, der die Warenproduktion statt nach China nach Hause bringt.

Anderson sieht die „Zuhausefabrik“ als eine Demokratisierung der Industrieproduktion. In seiner Vorstellung der Welt von morgen werden Waren unabhängig von Konzernen erzeugt – ähnlich wie man heute in Blogs und sozialen Netzen ohne die Hilfe von Verlagen publizieren kann (und sich dabei aber in die Abhängigkeit neuer Player wie Google oder Facebook begibt). Die Billigproduktion findet dann nicht mehr in Bangladesch statt, sondern in den eigenen vier Wänden – jeder 3D-Drucker würde damit aber mit den verbliebenen Arbeitern in der herkömmlichen Produktion konkurrieren und massiv Druck auf Löhne und Preise ausüben. Auch RepRap-Erfinder Bowyer sieht das Problem. Er vertritt die kühne Ansicht, dass geringere Kosten bei der eigenen Warenproduktion auch ein geringeres Einkommen wettmachen würden.

Nicht alle sind von den Verheißungen des Dingdrucks so begeistert. Der Wissenschaftsjournalist Christopher Mims etwa findet die Erwartung, durch 3D-Drucker stehe eine neue Konsumrevolution bevor, „nicht nur albern, sondern absurd. ... Privater 3D-Druck ist ein Hype wie Virtual Reality in den Neunzigerjahren. Und er wird auch sein Schicksal mit dieser teilen.“

Die Berliner Physikerin Marlene Vogel, Mitgründerin des 3D-Marktplatzes „trinckle“ dagegen kann sich gut vorstellen, dass 3D-Drucker schon bald nicht mehr nur dumme Dinge hervorbringen, sondern auch einfache Geräte. Es gibt bereits eine leitfähige Silbertinte, die in ein gedrucktes Objekt mit eingebracht werden kann und mit der sich unter anderem gedruckte Schaltkreise produzieren lassen. Zwar ist das selbstgefertigte Smartphone noch in weiter Ferne, aber Dinge wie ein Wecker wären damit schon machbar. Es wird Zeit.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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