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Peter Glaser: Zukunftsreich

Ein Atomkraftwerk für die Garage

Der etwa 6,5 Meter lange und 2 Meter tiefe Block des 4S-Reaktors („Super-safe small and simple") paßt in eine Garage und soll der Energieversorgung von Apartmentgebäuden dienen. Der Reaktor mit einer Leistung von 200 Kilowatt ist natürlich, wie stets bei Atomanlagen, „störungssicher konstruiert, läuft vollautomatisch und kann sich nicht überhitzen", so der Informationsdienst Next Energy News. Kann also gar nichts passieren, zumal man im erdbebengeplagten Japan bekanntlich sehr sorgfältig bei der Entwicklung solcher Anlagen vorgeht.

„Für menschliche Siedlungen bieten Atomkraftwerke den großen Vorteil, dass sie keine rauchenden und rußenden Schlote haben. Man kann also Atomkraftwerke auch im Zentrum von Großstädten errichten", schrieb der DDR-Wissenschaftler Robert Havemann bereits 1955 im Atom-Sonderheft der Zeitschrift „Wissenschaft und Fortschritt". „Wenn in Berlin Atomkraftwerke an die Stelle der jetzigen Kohle-Elektrizitätswerke getreten sein werden, dann wird die heute noch über der Stadt lagernde Ruß- und Rauchwolke verschwunden sein, und alle Häuser werden mit Atomkraft zentralgeheizt werden."

Eine Oase in der Antarktis
Wie weit die Phantasien von Wissenschaftlern schon damals gingen, belegt etwa die Idee, die Bahn der Erde zu korrigieren, um des Dezimalsystems willen die Länge des Tages zu verändern, so dass statt der krummen 365 1/2 Tage eine gerade Zahl herauskommt. „Auf künstlichen Monden könnten wir auch gewaltige Spiegel bauen, die das Licht der Sonne auf bestimmte Punkte der Erde konzentrieren und auf diese Weise z.B. das Eis des Südpols zum Schmelzen bringen", so Havemann weiter, „so dass mitten in der Eiswüste der Antarktis eine tropische Oase entsteht." Dieser Entwurf nimmt inzwischen Realität an, allerdings auf die harte Tour – durch den Klimawandel.

Unser Freund, das Atom
Zur selben Zeit begann man, Erfahrungen mit Atomreaktoren in kleinem Maßstab zu machen: Ende 1954 wurde mit der amerikanischen USS Nautilus das erste Atom-U-Boot in Dienst gestellt. In dem Buch „Unser Freund, das Atom" ließ der wissenschaftliche Berater von Walt Disney, Professor Heinz Haber, 1958 die Kernreaktoren zum Höhenflug antreten: „Eine der verlockendsten Aussichten für den Verkehr der Zukunft bietet das Atomflugzeug. ... Mit der Energie des Atomes wird es uns in absehbarer Zeit möglich sein, durch die weiten Räume des Weltalls zu fliegen." Wozu das ganze gut sein soll, war für den deutschen Raketenwissenschaftler Eugen Sänger sonnenklar: „Die Frage nach dem Sinn solcher Unternehmen hat Papst Pius XII. im Herbst 1956 gegenüber Teilnehmern des Internationalen Astronautischen Kongresses in Rom mit der offiziellen Erklärung beantwortet: `Der Herrgott, der ins Menschenherz den unersättlichen Wunsch nach Wissen legte, hatte nicht die Absicht, dem Eroberungsdrang des Menschen eine Grenze zu setzen.` "

Andere Wege, um große Mengen heißes Wasser herzustellen
In den USA, wo man neben der Sowjetunion die eingehendste Erfahrung im Bau von Reaktoren aller Größen besitzt, sind seit mehr als 30 Jahren keine neuen zivilen Atomkraftwerke mehr gebaut worden. Neben der Sorge der Bürger ist einer der Hauptgründe das nach wie vor ungelöste Problem der Entsorgung radioaktiver Abfälle. Die Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima haben manchen zu der Einsicht geführt, dass es noch andere Wege geben muß, um große Mengen heißes Wasser herzustellen, als in einem Kernreaktor.

Die Toshiba-Entwickler versuchen der Stagnation der Atomindustrie mit einer Strategie entgegenzutreten, die dem Militär entlehnt ist - moderne Kriege gewinnen keine großen Heere mehr, sondern verteilte kleine Einheiten. Die Entwicklung von Mikroreaktoren bedeutet nicht, dass weniger oder nur noch kleine Nuklearanlagen gebaut werden sollen. Außer als exotische Zentralheizung sollen die Module, zu Clustern zusammengesetzt, letztlich doch wieder den Leistungsumfang herkömmlicher Atomkraftwerke erreichen. Der scheinbare Fortschritt liegt darin, dass die Risiken in kleinen Modulen harmloser und beherrschbarer aussehen, als in einem großen, herkömmlichen Reaktorblock.

Der schicke Reaktor
Die Vorstellung, ein kleines Atomkraftwerk in der Art eines Blockheizkraftwerk als dezentrale Energiequelle verfügbar zu haben, nimmt der Gefährlichkeit einer Atomanlage scheinbar das Unbeherrschbare und bringt es auf das Level von Macho-Spielzeug für Multimillionäre. „Ich kenne eine Menge Leute im Silicon Valley", schreibt der Technologie-Analyst Peter Glaskowsky, „die sich sowas sofort in ihr Haus einbauen lassen würden." Der Haken an der Sache ist, dass ein solcher Kleinreaktor nicht nur 200 Kilowatt Strom, sondern auch fünf Megawatt Abwärme produziert. Glaskowsky sieht reiche Männer im Vorteil, die, weil sie gern angeln, über einen Herrensitz in Idaho verfügen – „man muß dann bloß einen Teil der Fischgewässer als Kühlwasser für den Reaktor umleiten, schon braucht man seinen großen Plasmafernseher nie wieder auszuschalten und auch die Fische werden sich in dem warmen Wasser wohler fühlen."

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Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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