© Florian Aigner

Meinung

Ein WLAN für das Übersinnliche

Es ist ein Wunder: Das Handy klingelt, und ich fühle sofort, wer mich da anruft. Mühsam krame ich das Ding aus der Tasche und stelle fest: Mein Gefühl war richtig. Meistens jedenfalls. Oder manchmal. Es ist zumindest ganz ehrlich schon mindestens ein paarmal vorgekommen, dass ich richtig lag.

Wie lässt sich so etwas erklären? Durch einen sechsten Sinn, über den wir telepathisch miteinander kommunizieren können? Diese These vertritt Rupert Sheldrake, ein Parawissenschaftler und Bestsellerautor. Er behauptet, das Universum sei durchzogen von geheimnisvollen „morphischen Feldern“, einer Art kosmischem WLAN für das Außersinnliche.

Wissenschaftlich bestätigt konnten diese Felder nie werden. Das ist ein Glück, sonst müssen wir für das Empfangen morphischer Felder vielleicht noch Rundfunkgebühr bezahlen. In der Esoterik-Szene gehört Rupert Sheldrake heute trotzdem nach wie vor zu den ganz Großen.

Wenn etwas passiert, passiert es leicht noch einmal

Sheldrakes Grundidee klingt recht einfach: Was auch immer irgendwo entsteht, kann danach viel leichter auch anderswo erneut entstehen. Alles Neue wird nämlich in Form eines übersinnlichen Codes im „ morphischen Feld“ abgespeichert. Wenn beispielsweise eine schlaue Ratte nach vielen mühsamen Fehlversuchen einen Weg durch ein Labyrinth findet, dann wird dieser Lösungsweg im morphischen Feld übertragen, und andere Ratten finden ihn danach viel leichter. Erstaunlicherweise soll das sogar für chemische Reaktionen gelten: Wenn ein neuartiger Kristall erstmals hergestellt wird, dauert das eine Weile. Später wissen die Atome aufgrund des morphischen Feldes aber schon, wie sie sich anzuordnen haben, und die Kristallisation gelingt viel schneller.

Das klingt unerhört plausibel. Ein Physikstudent schafft es heute innerhalb weniger Monate, die Relativitätstheorie im Groben zu verstehen. Albert Einstein brauchte dafür noch zehn Jahre. Liegt das daran, dass Einstein seine Theorie erst mühsam ins morphische Feld hochladen musste und wir heute mühelos darauf zugreifen können? Oder liegt es vielleicht doch eher daran, dass Einstein noch kein pädagogisch durchdachtes Vorlesungsskriptum über Relativitätstheorie auf dem Schreibtisch liegen hatte, sondern sich seine Formeln selbst erarbeiten musste?

Die Wissenschaft sagt nein

Wissenschaftlichen Tests halten Sheldrakes Behauptungen nicht stand. Die Sache mit den chemischen Reaktionen lässt sich leicht auf andere Weise erklären: Die Leute im Labor haben dazugelernt, und der Reinheitsgrad der Chemikalien wurde verbessert. Die Ergebnisse der Rattenexperimente, die Sheldrake zitiert, konnten in anderen Studien nicht wiederholt werden.

Auch andere Experimente mit Tieren konnten die These vom morphischen Feld nicht stützen – etwa Untersuchungen an Hunden, von denen behauptet wurde, dass sie auf übersinnliche Weise die Rückkehr ihrer Besitzer vorhersehen können. Und angebliche „außersinnliche Gedankenübertragungen“ zwischen Menschen, die angeblich ebenfalls mit dem morphischen Feld erklärt werden sollen, wurden zwar schon oft untersucht, aber nie wirklich nachgewiesen.

Würde Sheldrake ernsthafte Wissenschaft betreiben, dann würde er sich für ein oder zwei einfache Experimente entscheiden, und sie so präzise durchführen, dass am Ende nur noch das morphische Feld als Erklärung übrigbliebe. Aber das funktioniert nicht so recht, und daher wirft er mit einer Vielzahl von Ideen für mögliche morphische Phänomene um sich, sodass die Wissenschaft gar keine Chance hat, alle Behauptungen so schnell zu widerlegen, wie Sheldrake sie aufstellt.

Ideen, die in der Luft liegen

Sheldrake als esoterischen Dummkopf abzustempeln, wäre aber auch nicht fair. Man kann nämlich aus seinen Theorien einen durchaus interessanten Gedanken herauskitzeln: Es stimmt tatsächlich, dass bestimmte Ideen manchmal auf merkwürdige Weise „in der Luft liegen“. Manchmal ist die Zeit reif für einen bestimmten Gedanken, der Jahre zuvor noch außer Reichweite gewesen wäre.

Dass Männer und Frauen gleich viel wert sind, erscheint den meisten Leuten heute als Selbstverständlichkeit. Unsere Ururgroßeltern von dem Gedanken zu überzeugen, wäre wohl noch ein hartes Stück Arbeit gewesen. Dass Demokratie eine gute Idee ist, kann man jedem Volksschulkind heute rasch erklären. Nach dem ersten Weltkrieg waren selbst kluge Politologen nicht sicher, ob das eine passende Staatsform sein könnte. Wie man E-Mails schreibt, musste man in den 1990er Jahren in Spezialkursen lernen. Heute ist es so selbstverständlich, dass Kinder es ganz nebenbei aufschnappen, ohne sich anstrengen zu müssen.

Genetisch unterscheiden wir uns praktisch nicht von unseren steinzeitlichen Vorfahren. Aber wir haben ganz andere Ideen als sie. Das ist tatsächlich bemerkenswert. Man könnte es über  „morphische Felder“ erklären – muss man aber nicht.

Unsere Ideen wachsen nicht isoliert in unseren Köpfen heran, wie ein Pflänzchen im hermetisch abgedichteten Gewächshaus. Wir stehen jeden Tag in komplexer Verbindung mit dem Rest der Welt. Wir führen Gespräche, lesen Zeitungen, ärgern uns über dumme Werbeplakate. Das prägt unser Denken oft stärker, als uns bewusst ist. Wir sind nicht die alleinigen Urheber der Ideen in unserem Kopf – wir verdanken sie dem Umfeld, in das wir eingebettet sind. Es ist fast so, als würden wir sie aus einer mysteriösen sozialen Wolke absorbieren, die uns alle umgibt.

Wenn wir verstehen, dass wir unsere besten Ideen nur deshalb haben können, weil wir Teil eines komplexen gesellschaftlichen Wechselspiels sind, haben wir etwas Wichtiges gelernt. Übersinnliche morphische Felder brauchen wir dazu freilich nicht.

Der Autor

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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