Lava
Lava
© Chris Hirata

PETER GLASER: ZUKUNFTSREICH

Glühendes Interesse

Alles fing damit an, dass ich ein Foto übersehen habe. Letztes Jahr im Sommer rauschte ein umwerfendes Bild durchs globale Dorf, das nun, von einem staubtrockenen kleinen Dialog begleitet, endlich auch bei mir angekommen ist. Ein Fotograf ist darauf zu sehen, der im blauen Licht der Morgendämmerung konzentriert in das leuchtende Display seiner Kamera schaut, wie in ein kleines Ofenloch. Er steht mitsamt Kamerastativ auf jener teigigen Art von Untergrund, die man sofort als frisches, vulkanisches Magma erkennt. Ein paar Meter entfernt glüht es noch rot aus einem Riß im Boden. Die Beine des Stativs stehen in Flammen, die Sneakers des Fotografen brennen auch schon. Dazu der Bildtext:


„George.“
„Nicht jetzt, ich mach grad‘ ein Foto.“
„George.“
„Ich sagte: nicht jetzt.“
„George...“

Supercool. Besser kann ein Foto im Netz gar nicht funktionieren. Es erzählt in einem Augenblick eine Geschichte, die so alt ist wie die Menschheit und zugleich noch nie erzählt worden ist. Todesmut. Abenteuer. Brillianter Witz. Schiere Poesie. Ich wollte alles über dieses Foto wissen.

Es ist gefährlich

Der Mann auf dem Foto heißt nicht George, sondern Kawika Singson. Er ist Tischler und Fotograf und lebt auf Big Island, der größten Insel Hawaiis. Ein Lavastrom aus dem immer noch tätigen Vulkan Kilauea ergießt sich hier manchmal fauchend und dampfend ins Meer. Singson hat eine Leidenschaft dafür. Manchmal fährt er nach Mitternacht los, an Stellen an der Küste, die er nicht verrät, und wartet auf das erste Morgenblau, dann entstehen dort im besten Licht seine schönsten Fotos. Es ist gefährlich. „Wenn ich eine Freundin hätte, würde ich das nicht machen“, sagt er.

Als das Foto im Netz auftauchte, gab es dazu die übliche Debatte, ob echt oder Photoshop. In einem Blogkommentar outete sich Singsons Kumpel, der Fotograf Chris Hirata als derjenige, der den Fotografen fotografiert hat: „Das Foto ist echt, ich kann das mit den Rohdaten belegen.“ Aber ein Aluminiumstativ fängt nicht an zu brennen. Die Gummifüße auch nicht, sie würden vielleicht verschmoren, desgleichen die Sohlen der Sneakers. Kawika Singson räumt freimütig ein, dass das Foto gestellt ist und wohl mit etwas Feuerzeugbenzin nachgeholfen wurde, um den Burning Man so hinzukriegen. Er wollte niemanden hinters Licht führen. Er wollte ein gutes, neues Titelfoto für sein Facebook-Profil. Dann führte mich ein Detail auf dem Foto zu dem unbekanntesten Prominenten der Welt.

Zehn Walfangschiffe versenkt

Auf dem rechten Arm von Kawika Singson Sweathirt steht groß SEA SHEPHERD, man kann so ein Shirt für 70 Dollar im Online-Shop der Sea Shepherd Conservation Society (SSCS) kaufen. Sea Shepherd, 1977 von dem vormaligen Greenpeace-Mitglied Paul Watson gegründet, hat sich dem Schutz der Meere verschrieben. Die Non-Profit-Organisation erhebt Anspruch darauf, zwischen 1979 und 1998 zehn Walfangschiffe versenkt zu haben und die Strafverfolgung auf hoher See zu übernehmen, „die von den eigentlich zuständigen Regierungen nicht wahrgenommen werde.“ Die meisten der derzeit fünf Sea-Shepherd-Schiffe sind nach Spendern benannt, eines heißt „Brigitte Bardot“, ein anderes nach dem US-Fernsehmoderator „Bob Barker“. Im internationalen Beirat befindet sich unter anderem Sean Connery, zu den prominenten Unterstützern zählen Größen wie Pamela Anderson, der Dalai Lama, Fürst Albert II. von Monaco, Sean Penn und Die Ärzte. Und dann ist da noch Omar Todd.

Der technische Direktor

Singsons Sweatshirt brachte mich auf den Gedanken, es könne sich bei dem Foto von jemandem, der quasi brennendes Interesse zeigt, vielleicht um ein Viral für Sea Shepherd handeln – jene manchmal virtuos eingesetzte Taktik, im Netz Aufmerksamkeit und Pfiffigkeitsanerkennung zu gewinnen, indem man ein Produkt oder eine Organisation nicht direkt bewirbt, sondern sie erst einmal still im Windschatten einer scheinbar unschuldigen, spektakulären Bildidee mitsegeln läßt. Was mich umgehend zu einer Werbeversion von Hiratas Foto in einem Sea-Shepherd-Newsfeed führte: „Die Klamotten unserer Crew mögen vielleicht nicht feuerfest sein, aber sie repräsentieren die brennende Leidenschaft unserer Mitarbeiter“, stand nun über dem Magma-Foto, und darunter: „Entzünde deine Leidenschaft... Unterstütze uns... Besuche unseren Online-Shop.“ Sea Shepherd finanziert seine Kampagnen nur durch Spenden. Und man muß trommeln, wenn man es zu etwas bringen will, das wußte schon Gustave Flaubert. Singson habe das Foto freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Ein paar Fotos weiter der Arbeitsplatz des „technischen Direktors“ auf einem der Sea-Shepard-Schiffe, dann der Direktor selbst: Omar Todd, gleichfalls im Sea-Shepherd-Sweatshirt. Wer war dieser Mann, der sich das schlaue Ding womöglich ausgedacht hatte? Sea Shepherd Australien führt Todd als technischen Berater an, mit eindrucksvollen Referenzen: Unternehmer, Filmemacher, Umweltschützer und Aktivist, Seriengründer von Internet-Startups, Berater „für einige der größten Technologieunternehmen der Welt, darunter Microsoft und Cisco“, Ratsmitglied einer International Cyber Threat Task Force sowie Politiker und Mitgründer der im März 2013 von einer Gruppe um Julian Assange initiierten australischen WikiLeaks-Partei (die bei den Wahlen im September chancenlos blieb).

Promi-Profile

Ein weiterführender Link auf die Adresse omartodd.com, unter der man eine eigene Webpräsenz oder ein Blog erwarten würde, leitet um auf die International Movie Database (IMDb) – allerdings nicht auf die Datenbank, sondern eine IMDbPro-Seite, die man sich zur Selbstdarstellung kaufen kann („Get Discovered. Promote yourself.“). Das Aufmacherfoto zeigt Omar Todd, „Produzent und Geschäftsführer“, auf dem roten Teppich in Cannes. Ein weiterer Link führt zu Whosay, einem exklusiven Online-Netzwerk, das sich der Wahrung der Urheberrechte an veröffentlichtem Content für Stars und Sternchen verschrieben hat. Auch hier ist Todd mit einer „Verified Official Celebrity Page“ registriert, auf die er Sea-Shepherd-Material pumpt. Auch sein Auftritt auf Google+ ist kein gewöhnlicher, sondern ein Promi-Profil, ebenso die Facebook-Seite von The Omar Todd, von der ein Daumen-hoch-zeigender Julian Assange grüßt. Und überall eine Mischung aus Selbstdarstellung („Das Hauptquartier der Sea Sheperd Global IT“) und Kampagnen-Drama („Globale Hai-Krise!“).

Auf Twitter wird es richtig gigantisch. @OmarSeaShepherd hat derzeit 326.000 Follower (während ihm als Wikileaks-Politiker @OmarTodd nur 2.538 Interessierte folgen). Für so jemanden sollte ein eigener Wikipedia-Artikel zur Person eigentlich selbstverständlich sein. Aber alles, was sich findet, ist ein Hilferuf einer australischen Wikipedia-Administratorin – „Hilfe! Warum versucht Omar Todd sich unablässig selbst in die Wikipedia einzutragen?“

Vanity Spam

Die Recherchen der Wikipedianer ergaben, dass er an Blogger und Substandard-Publikationen wie die Huffington Post herangetreten war, welche ein paar Lobhudeleien über ihn schrieben, die er dann als Referenzen für einen Wikipedia-Artikel zu benutzen versuchte – „Vanity Spam“. Wie sich herausstellte, war Omar Todd nie, wie er behauptet hatte, Star der Dokumentar-Serie „Whale Wars“ gewesen, auch kein namhafter Filmproduzent, und auch die Position eines Chief Information Officer (CIO) gibt es bei Sea Shepherds nicht. (Mich als Österreicher, wo man als Fremder im Kaffeehaus als erstes vom Oberkellner zum Doktor ernannt wird, rührt eine solche Titelobsession natürlich an).

Ein Wikipedia-Experte, der das Todd‘sche Wachstumswunder auf Twitter analysiert hat, konnte zeigen, dass es sich größtenteils um gekaufte und nicht um „gewachsene“ Follower handelt. Während sich in wenigen kurzen Schüben plötzlich rund 400.000 Menschen für ihn interessierten, verlor sich die neue Gefolgschaft schon kurz darauf wieder in großen Brocken – an einzelnen Tagen schwanden bis zu 28.000 Follower. Wer mit den neuen Möglichkeiten der sozialen Netze so umgehen kann wie Omar Todd, kann mit Aufmerksamkeit und flüchtigen Werten wie Prominenz heute agieren wie ein Hedge-Fonds mit Geld: Wer bereit ist, ein Risiko auf sich zu nehmen, kann mit einer kleinen Summe durch Hebelwirkung einen Riesengewinn erzielen – oder einen ebensolchen Flop.

Beschimpft vom Social-Media-Manager von Captain Kirk

Dabei die Übersicht über dutzende Profile im Netz zu bewahren, ist nicht ganz einfach. So kann es passieren, dass einigen Profile im Abschnitt „Prominentenbetreuung“ bereits bereinigt sind, während etwa auf „elance“ („Hire great freelancers“), wo Todd unter dem Pseudonym illodius verkehrt, noch angegeben ist „Ich habe William Shatner [und anderen Stars] mit ihrer persönlichen Präsenz in den Sozialen Netzen geholfen.“ Was einen wütenden öffentlichen Dialog auf Twitter zur Folge hatte, in dem Omar Todd von Paul Camuso, dem Social-Media-Manager des Captain-Kirk-Darstellers, beschimpft und der Lüge bezichtigt wurde – Shatner habe ihn als Fan auf einer Science-Fiction-Convention getroffen und ihm nie irgend einen Auftrag erteilt: „Ich habe vor 20 Minuten mit ihm telefoniert. Du hast gar nichts für ihn getan.“

Omar Todd heißt auch noch nicht lange so. Bis 2008 nannte er sich Omar von Eichel, 1972 in Australien geboren, angeblich deutsch-niederländischer Abstammung. 2009 findet sich in einer Offerte auf dem Freiberufler-Jobportal Donanza eine Art Übergangsversion: „My name is Omar Todd Francis von Eichel.“ Auch bei seinem Alter ist er flexibel. In der englischen Partnerbörse Flirtbox gibt er, wieder als illodius, einiges über seine Vorlieben preis („Daft Punk“, „AC/DC“, „travelled the world“) und macht sich sechs Jahre älter als er ist. Ich bin sicher, dass sich Omar Todd, wenn er in einem Hotel eincheckt, nach einem Zimmer mit Ruhm-Service erkundigt.

Kawika Singson hat seinen Tanz auf dem Vulkan schon hinter sich. Omar Todd alias von Eichel steht der Weg ins Fegefeuer der Eitelkeiten wohl noch bevor.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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