ARCHIV - ILLUSTRATION - Bunte Pillen und Tabletten liegen am 08.02.2013 in Dresden (Sachsen) auf einem Tisch. Angesichts von Kritik am Einfluss der Pharmaindustrie auf Entscheidungen von €rzten soll es neue gesetzliche Regeln und eine Selbstverpflichtung der Branche geben. Foto: Matthias Hiekel (zu dpa ÇNeue Regeln sollen gegen zuviel Pharma-Einfluss auf €rzte helfenÈ vom 24.06.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++
ARCHIV - ILLUSTRATION - Bunte Pillen und Tabletten liegen am 08.02.2013 in Dresden (Sachsen) auf einem Tisch. Angesichts von Kritik am Einfluss der Pharmaindustrie auf Entscheidungen von €rzten soll es neue gesetzliche Regeln und eine Selbstverpflichtung der Branche geben. Foto: Matthias Hiekel (zu dpa ÇNeue Regeln sollen gegen zuviel Pharma-Einfluss auf €rzte helfenÈ vom 24.06.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++
© dpa-Zentralbild/Matthias Hiekel

Wissenschaft & Blödsinn

Ich glaube, alles wird gut

Ich habe pochende Kopfschmerzen. Da muss etwas geschehen, das ist so nicht mehr auszuhalten. Zum Glück habe ich Brausetabletten zu Hause, die mir recht zuverlässig helfen. Schon das sprudelnde Geräusch, mit dem sich die Tablette im Wasserglas auflöst, beruhigt mich. Eine halbe Stunde später ist der Kopfschmerz weg. Und dann bemerke ich plötzlich, dass ich die Schmerzmittelbrause gar nicht getrunken habe.

Solche Geschichten kennt vermutlich jeder. Die eigene Erwartungshaltung ist ein mächtiger Verbündeter bei der Bekämpfung gesundheitlicher Probleme. Wenn wir nur fest auf die positive Wirkung einer Behandlung vertrauen, dann geht es uns oft wirklich besser. Auch wenn wir bloß Scheinmedikamente aus Zucker oder Stärke bekommen, die überhaupt keinen Wirkstoff enthalten, fühlen wir uns danach gesünder als vorher.

Dieser Placeboeffekt stellt sich natürlich auch bei echten Medikamenten ein – zusätzlich zur eigentlichen Wirkung. Einen Teil der therapeutischen Arbeit übernimmt die Chemie, den Rest erledigt unsere positive Erwartungshaltung. Das ist auch der Grund, warum sich neue Medikamente im klinischen Test erst mal gegen Placebos durchsetzen müssen: Jedes Präparat wird einen gewissen Placeboeffekt erzielen. Um es als echtes Medikament ernst nehmen zu können, muss es besser wirken als ein Placebo.

Erstaunlich ist allerdings, dass der Placeboeffekt nicht immer gleich stark ist. Große Placebo-Pillen wirken besser als kleine. Teure wirken besser als billige. Eine Infusion ohne Wirkstoff wirkt besser als eine Tablette ohne Wirkstoff – schließlich hat man als Patient das Gefühl, dass es sich bei der Infusion um eine drastischere Maßnahme handelt. Beruhigungsmittel-Placebos wirken besser, wenn sie blau sind, Aufputschmittel wirken besser in aggressiveren Farben wie rot.

Sogar Placebo-Operationen werden durchgeführt. Dabei bringt man die Patienten in den Operationssaal und setzt unter Narkose einen Schnitt, um eine überzeugende Operationsnarbe zu hinterlassen - operiert wird aber nicht. Bei Knieschmerzen und Bandscheibenproblemen konnte man auf diese Weise bereits Erfolge erzielen.

Schmerz ist das, was wir als schmerzhaft empfinden. Wenn uns etwas nicht mehr weh tut, dann bilden wir uns nicht bloß ein, dass der Schmerz weg ist – er ist weg. Definitionsgemäß. Den Placeboeffekt als Hirngespinst, als Einbildung oder Täuschung zu betrachten, wäre falsch. Wenn sich ein Patient nach der Behandlung besser fühlt, ist das ein Erfolg, an dem nicht zu rütteln ist.

Aber natürlich ist das noch nicht die ganze Geschichte. Schließlich gibt es auch medizinische Fakten, die sich nicht bloß aus dem Gefühl des Patienten ergeben. Es gibt Röntgenbefunde, Labormesswerte, Tumorgrößen, die sich objektiv feststellen lassen. Wenn ein Diabetiker nach der Einnahme eines Placebos fest überzeugt ist, dass sein Körper jetzt den Zucker- und Insulinspiegel richtig steuern kann, dann geht es ihm sicher kurzfristig besser. Wenn er sich dann aber einen Tag lang von Schokoladentorte ernährt, wird er relativ schnell feststellen, dass der bloße Placeboeffekt echter Medizin doch unterlegen ist.

Bei vielen Erkrankungen kann der Placeboeffekt eine unterstützende Wirkung haben. Wenn man einem Krebspatienten zusätzlich zu einer Chemotherapie mit Placebos einige Stress-Symptome nehmen kann, ist das nützlich. Doch bei Krankheiten, die weniger mit Psyche und Wahrnehmung, sondern eher mit einfachen physischen Fakten zu tun haben, darf man sich durch Placebos keine Wunder erhoffen.

Der Placeboeffekt ist nichts Übernatürliches

„Laut Naturwissenschaft dürfte es den Placeboeffekt gar nicht geben“, erzählt man mir immer wieder. Vielleicht schenkt mir ja irgendwann mal jemand homöopathische Zuckerkügelchen gegen die Kopfschmerzen, die ich bei solchen Aussagen bekomme. Immer wieder versuchen irgendwelche Wunderheiler, den Placeboeffekt zu missbrauchen um ihre Theorien von der Macht des Geistigen über das Materielle zu belegen. Das ist natürlich Unfug.

Der Placeboeffekt ist eine wissenschaftliche Tatsache, kein vernünftiger Wissenschaftler zweifelt ihn an. Mehr noch: Er kann und muss und soll wissenschaftlich präzise untersucht werden. Die Medizin sieht Psyche und Körper nicht als getrennte Systeme. Das Gehirn hat viele Möglichkeiten, den Rest des Körpers zu beeinflussen – von Hormonen bis zur Steuerung der Herzfrequenz. Und unsere Wahrnehmung des eigenen Gesundheitszustandes findet auch wieder im Gehirn statt. Dass es Wechselwirkungen zwischen unserem Kopf und den übrigen Körperteilen gibt, ist nicht überraschend und mystisch, sondern vollkommen klar.

Nur Esoteriker ziehen einen künstlichen Schnitt zwischen Körperlichem und Geistigem. Und wenn sie die beiden unnötig auseinandergeschnittenen Bereiche dann mit Handauflegen und Räucherstäbchen wieder zusammenstecken, bezeichnen sie das als „ganzheitlich“. Das ist Schummelei.

Nein, der Placeboeffekt ist weder übernatürlich noch mystisch noch unergründlich. Im Gegenteil: Die Medizin ist dabei, ihn immer besser zu erforschen – und das ist auch gut so. Denn zu einer wirklich erfolgreichen Medizin gehört nicht nur das Verständnis der chemischen Vorgänge im Körper, sondern auch ein solides Wissen über die Beziehung zwischen Ärzten und Patienten, über die Auswirkung von Angst und Zuversicht, über die Macht von Ritualen. Zu einer soliden, wissenschaftlichen Medizin gehört eben nicht nur die Physiologie, sondern auch die Psychologie und die Soziologie. Das macht die Medizin aber nicht unwissenschaftlicher, sondern wissenschaftlich vielfältiger.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

mehr lesen
Florian Aigner

Kommentare