Es ist höchste zeit für eine Verfassungsreform, fordert der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger.
Es ist höchste zeit für eine Verfassungsreform, fordert der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger.
© Universität Wien

Österreich 2050

Ist die Verwaltung Österreichs aufgebläht?

Österreich ist – wie die USA, Deutschland, die Schweiz und seit einigen Jahren auch Belgien – ein Bundesstaat, das heißt ein Staat, der sich aus Gliedstaaten zusammensetzt. Diese juristische Terminologie bringt klar zum Ausdruck, dass die Länder nicht einfach nur Verwaltungsbezirke sind. Sie sind in den ihnen von der Bundesverfassung zugewiesenen Bereichen autonom und haben in diesen Bereichen selbständige Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnisse, in die der Bund nur durch Bundesverfassungsgesetze – und auch das nur in beschränktem Ausmaß - eingreifen könnte. Demgemäß besitzen die Länder eigene Parlamente – Landtag genannt – und eigene Regierungen, die dem Nationalrat und der Bundesregierung nicht untergeordnet sind. Auf der Bundesebene selbst formieren sie eine zweite Kammer des Parlaments, den Bundesrat.

Teurer Luxus?

Viele meinen, dass eine so aufwendige Organisation für einen Staat von der Größe Österreichs ein teurer Luxus ist, den man sich ersparen sollte. Sie vergleichen Österreich gerne mit dem etwa gleich großen Bayern, das zwar seinerseits Glied eines Bundesstaates ist, sich selbst aber zentralistisch verwaltet. Der Föderalismus ist – so die gängige Argumentation - teuer, er erfordert eine aufgeblähte Bürokratie, er ist mühsam und schuld daran, dass Reformen nicht weitergehen. Insbesondere die Landeshauptleutekonferenz, ein in der Verfassung gar nicht vorgesehenes Organ, hat sich als das eigentliche Machtzentrum der Republik etabliert, das zwar nicht selbst zu Reformen fähig ist, aber eine für die Bundesregierung oft kaum überwindbare Reformbremse bildet. In ihrem Schatten führen die Länder ein eigenständiges Dasein, das die Republik finanziert und das deren Steuerzahlern schon mehrfach teuer zu stehen gekommen ist. (Die Länder selbst heben von ihren Bürgern ja kaum Steuern ein.) Vor allem seit es mit dem EU-Beitritt eine weitere Ebene der Gesetzgebung gibt, ist Föderalismus unnötig kompliziert und überflüssig geworden.

Stronach'scher Ideenwettbewerb

Die Lösung erscheint einfach: Der Föderalismus gehört abgeschafft – ein Vorschlag, der, wäre er nur originell, durchaus die Chance hätte, in einem Stronach’schen Ideenwettbewerb prämiert zu werden. Die Sache hat nur den Haken, dass dies so einfach nicht geht. Der Föderalismus ist fest in der Bundesverfassung verankert. Seine Abschaffung würde nicht nur einer Zustimmung aller Landtage mit Zweidrittelmehrheit, sondern darüber hinaus auch einer Volksabstimmung bedürfen. Und dass eine solche Volksabstimmung zu gewinnen wäre, ist äußerst unwahrscheinlich. Zu tief sitzen in der „Provinz“ die Vorbehalte gegen einen Wiener Zentralismus. Umfragen zeigen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung mit ihrer regionalen Verwaltung um einiges zufriedener ist als mit dem, was ihnen die Bundesverwaltung bietet. (Am Besten schneiden in solchen Umfragen die Gemeinden ab!) Misstrauen gegen Zentralismus hat aber durchaus auch gute sachliche Gründe.

Föderalismus kann funktionieren

Der (näher liegende) Vergleich mit der Schweiz zeigt außerdem, dass Föderalismus in einem auch noch kleineren Staat als Österreich funktionieren kann. Das österreichische Problem ist nicht der Föderalismus an sich, es ist seine konkrete Ausgestaltung in der Bundesverfassung. Sie basiert auf einer extrem kleinteiligen und zersplitterten Verteilung der Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern. Speziell den Ländern sind keine Bereiche eingeräumt, für die ihre Verantwortung auch in den Köpfen der Bürger verankert ist. Für alle größeren Probleme sehen die Österreicher den Bund zuständig. Aber dieser kann eben wegen der mit seinen Kompetenzen verschränkten Zuständigkeiten der Länder vielfach nicht uneingeschränkt handeln, sondern ist auf eine Kooperation mit den Ländern angewiesen.

Bund und Länder blockieren sich so wechselseitig

Der Bereich der Gesundheit und vor allem der Spitäler ist das wohl augenscheinlichste Beispiel, wo sich Bund und Länder wechselseitig blockieren. (Hier mischen auch noch die halbautonomen Sozialversicherungsträger mit.) Aber auch im Sektor Bildung verliert sich die verfassungsgesetzliche Kompetenzverteilung in Details wie der Bundes-Gartenbaufachschule in Schönbrunn oder der Versuchsanstalt für Bienenkunde in Wien-Grinzing. Wenn nicht schon die Gewerkschaft, dann sind es die Länder, die hier auch über erhebliche Blockademöglichkeiten, aber kaum über ein eigenes Gestaltungspotential verfügen.

Noch mehr Kompetenzen beim Bund

Jede größere Staats- und Verwaltungsreform setzt daher eine Reform der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung voraus. Darüber wurde im Österreich-Konvent monatelang diskutiert und ein Ansatz gefunden, der in einer von der Regierung Gusenbauer/Molterer eingesetzten Arbeitsgruppe bis zu einer zur Begutachtung reifen Regierungsvorlage ausgebaut wurde. Er basiert im Wesentlichen darauf, dass die Gesetzgebungskompetenzen noch mehr als schon derzeit beim Bund konzentriert, aber zugleich flexibel gestaltet werden. Die Länder sollen in einem von der Bundesgesetzgebung eingeräumten Spielraum durchaus gestaltend tätig werden können, wenn dies spezielle regionale Aspekte rechtfertigen. Dagegen sollte die Verwaltung stärker dezentralisiert und auf die Länderebene verlagert werden. (Es ist nicht Aufgabe der Bundesministerien, sich um jedes kleinste Detail im Bregenzer Wald zu kümmern.)

Verfassungsautonomie für die Länder

Den Ländern sollten auch größere Gestaltungsspielräume in ihrer eigenen Organisation eingeräumt werden, also das, was Juristen „Verfassungsautonomie“ nennen. Sie sollten dadurch fähig gemacht werden, etwa durch radikale Änderungen im Wahlrecht ihre Landtage zu echten BürgerInnenforen zu machen, in denen die regionalen Probleme unabhängig von vorgeformten Parteistandpunkten offen und mit direkter Bürgerbeteiligung diskutiert werden. Geboten wäre wohl auch – das haben jüngste Ereignisse nur zu sehr demonstriert – eine größere finanzielle Verantwortung der Länder nicht nur für ihre Ausgaben, sondern auch für ihre Einnahmen. Das würde eine erhebliche Stärkung ihrer derzeit kaum vorhandenen Steuerautonomie voraussetzen.

Umsetzungsphase muss beginnen

Diskutiert wurde all das schon lange. Die Analysen der Experten liegen auf dem Tisch. Es würde im gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern liegen, diese Vorschläge auch praktisch in Angriff zu nehmen. Es wäre jedenfalls traurig, wenn wir 2050 noch immer keinen wesentlichen Schritt weiter gekommen wären.

Theo Öhlinger ist der wohl renommierteste Verfassungsrechtler Österreichs und auch Autor verschiedener Bücher zum Thema Verwaltung und Verfassung, so auch des Standardwerks "Verfassungsrecht". Nach seinem Studium der Philosophie und der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Innsbruck und Wien war Theo Öhlinger bis 1972 Mitarbeiter im Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst. 1972 habilitierte er an der Universität Innsbruck und wurde 1973 zum ao. Professor und Leiter der Abteilung „Europarecht“ ernannt. Von 1974-2007 war Öhlinger (Jahrgang 1939) Ordinarius für öffentliches Recht an der Universität Wien.

Von 1977-1989 Ersatzmitglied des VfGH, von 1989-1995 Direktor der Verwaltungsakademie des Bundes und von 1995-2005 Vorstand des Instituts für Staats und Verwaltungsrecht der Universität Wien. Von 1984-1990 war er Mitglied des Committee of Independent Experts der Europäischen Sozialcharta. Von 2003-2005 war er Mitglied des Österreich-Konvents und von 2007/08 gehörte er der Arbeitsgruppe Verfassungsreform im Bundeskanzleramt an. Seit 1999 ist er stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums des Kunsthistorischen Museums.

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Theo Öhlinger

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