© NASA/REUTERS

Peter Glaser: Zukunftsreich

Mars Attacks!

Ich bin 1957 geboren, als der erste Sputnik in eine Erdumlaufbahn geschossen wurde. Die Raumfahrt und ich sind also gemeinsam groß geworden. Erst war ich, wie die meisten Kinder zu der Zeit, von Begeisterung für die neue, spektakuläre Technik durchdrungen. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität flossen ineinander – zur selben Zeit, als das amerikanische Mondlandeprogramm auf dem Weg war, lief in Fernsehen „Raumpatrouille“ und fühlte sich ganz ähnlich an. Ich baute Raketen, befüllt mit selbstgemischtem Schwarzpulver und versengte den Rasen im Hof. Dem Fortschritt von Technik und Wissenschaft waren Opfer zu bringen. Wie jeder, so fühlte auch ich mich mit aufgerufen, an der Eroberung des Raums teilzunehmen.

Wer erinnert sich noch an die zweite Mondlandung?
Nach der ersten Mondlandung war auf eine merkwürdige Weise die Luft raus. Niemand erinnert sich an die zweite Mondlandung und wie die Astronauten hießen, niemand erinnert sich an die letzte Mondlandung. Anhand der teuersten jemals gewonnenen Gesteinsproben bestätigte sich, was man zuvor schon vermutet hatte: auf dem Mond gibt es Staub und Steine, an denen nichts weiter Ungewöhnliches ist. Von 1973 bis 1979 flog die amerikanische Raumstation Skylab um die Erde, von 1986 bis 2001 die russische Raumstation Mir. 1981 begann die Ära der Space Shuttles, die in diesen Tagen zu Ende gegangen ist. An der Fernsehübertragung eines Space Shuttle-Starts war nichts mehr von der euphorischen Abenteuerlust, die beim Start einer Saturn-V-Rakete mit einer Apollo-Kapsel an der Spitze freigesetzt worden war.

Schon als das Weltraumzeitalter begann, war diese Euphorie so stark, dass niemand auf die Idee gekommen wäre, nach einer vernünftigen Begründung für den erforderlichen gigantischen Aufwand zu fragen. Der deutsche Raumfahrtforscher Prof. Eugen Sänger delegierte 1958 in seinem Buch „Raumfahrt - technische Überwindung des Krieges” die Sinnfrage an die Führung der katholischen Kirche: "Die Frage nach dem Sinn solcher Unternehmen hat Papst Pius XII. im Herbst 1956 gegenüber Teilnehmern des Internationalen Astronautischen Kongresses in Rom mit der offiziellen Erklärung beantwortet: ,Der Herrgott, der ins Menschenherz den unersättlichen Wunsch nach Wissen legte, hatte nicht die Absicht, dem Eroberungsdrang des Menschen eine Grenze zu setzen.‘"

100 Milliarden Euro ohne Nutzen
Zu mehr als einer Internationalen Raumstation in einer Erdumlaufbahn hat es dann aber doch nicht gereicht. Wobei bereits dieser „Außenposten der Menschheit im All“ etwa 100 Milliarden Euro gekostet hat und Ergebnisse, die in irgendeinem Verhältnis zu diesen Kosten stehen, nicht in Sicht sind. Es war nie um Forschung gegangen, sondern immer nur darum, Wolkenkratzer zu bauen, die fliegen können. „Ein wissenschaftlicher oder ökonomischer Nutzen ist bisher nicht auszumachen“, urteilte die Deutsche Physikalische Gesellschaft 1990 über die bemannte Raumfahrt und die im Weltraum durchgeführten Experimente.

Die immer wieder aus dem Zylinder gezauberte Teflon-Pfanne war bereits in einem deutschen Reichspatent aus dem Jahr 1938 enthalten. Die meisten raumfahrtmedizinischen Erkenntnisse sind selbstbezüglich und befassen sich damit, dass der Aufenthalt im All die Gesundheit von Menschen angreift. Diese Art von Medizin ist auf der Erdoberfläche nutzlos. Reisende zum Mars würden bereits als Schwerkranke dort ankommen und passen nicht recht in das Bild einer in geräumigen Gewächshauskuppeln logierenden Pioniertruppe auf dem roten Planeten.

Riding with Robots
Nun gibt es ja als Alternative zu einer bemannten Raumfahrt, die ineffektiv, gefährlich (Challenger, Columbia) und absurd teuer ist, noch die unbemannte mit ihren fantastischen Sonden und Instrumententrägern. Aktuell auf Platz 1 in den Charts: der Marsrover Curiosity. Zu meinen Lieblingsplätzen im Internet gehörte lange Zeit Bill Dunfords Website „Riding with Robots on the High Frontier“ (von der leider seit 2009 nur noch eine eingefrorene Version online ist).

Bill stellte jeweil aktuelle Bilder zusammen, die interplanetare Sonden gerade zur Erde zurückfunken. Morgens beim Kaffee erstmal sehen, wie es vor ein paar Stunden in der Nähe des Saturn ausgesehen hat – das war größer und phantastischer als dpa. Das fühlte sich an wie: Wir sind in der Zukunft angekommen. Tolle Sache. Aber man sollte die Realität, die uns diese fernreisenden Maschinen vor Augen führen, nicht einfach verdrängen.

„Mit jeder neuen Mission bekommen wir in immer höher aufgelösten Bildern dasselbe zu sehen: Der Mars ist eine öde, unfruchtbare Wüste“, twitterte ich unbekümmert, nachdem ich die ersten Aufnahmen gesehen hatte, die von Curiosity auf dem Heimatplaneten angekommen waren. Eine größere Diskrepanz zwischen den mit Steinbrocken übersäten Sandfeldern und verwitterten Erhebungen und einer Kolonie, in der sich organisches Leben auf die ihm gemäße Weise entfaltet, ist kaum vorstellbar. In den folgenden Stunden verabschiedete sich wortlos ein Dutzend meiner Follower und ich kann es mir nur damit erklären, dass sie bitter enttäuscht waren, von jemandem wie mir, einem notorischen Technikfreund, einen so hinterhältig unverträumten Blick auf die Ziele der Raumfahrt serviert zu bekommen.

Limonadeproduktion auf den Mars
Ich schlug vor, die irdische Limonadeproduktion auf den Mars zu verlegen (da die Marsatmosphäre vor allem aus Kohlensäure besteht). Keine Reaktion. Dann entgegnete doch jemand meinem Einwand, der Mars sei eine öde Wüste: „Noch“, schrieb er. Und: „Moose und Farne sind ein Anfang.“ Mit solcher Sauerstoff produzierender Vegetation solle der Mars für Menschen bewohnbar gemacht werden. "So wie wir hier auf der Erde dem Vordringen der Wüste mit Moosen und Farnen Einhalt gebieten?", fragte ich. Und wieder ein Follower weniger. Die Vorstellung einer großen Zukunft, die wir auf dem Mars haben, scheint bei manchen eine ähnliche Art der Gereiztheit auszulösen, wie wir sie momentan auch wieder bei religiösen Hütern der Humorlosigkeit beobachten können.

Am Weltraumbahnhof der Nasa in Cape Canaveral gibt es den sogenannten „Rocket Garden”, in dem Touristen sich die Artefakte der glorreichen großtechnischen Vergangenheit ansehen können. Zu sehen ist das paradoxe Gegenteil dessen, wozu die Raketanstartanlage ursprünglich gebaut worden ist: liegende Raketen, die auch noch am Boden festgeschraubt sind. Längst haben wir den Kosmos auf technologischem Weg nach Innen gewendet: Das Internet ist die Demokratisierung der Raumfahrt – nun kann jeder mitfliegen.

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Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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