Estland: Gerichtsvorladung per Facebook
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Im Kampf gegen schleppende Gerichtsverfahren nutzt Estland jetzt auch Facebook und Twitter als Justizdiener. Das baltische EU-Land lädt gemäß eines neuen Gesetzes neuerdings Angeklagte und Zeugen über soziale Netzwerke vor. Dabei erhält der Adressat eine Nachricht mit einem Internet-Link zu den Gerichtsunterlagen.
Keine Meldepflicht ist größtes Problem
Ziel ist auch, die Justizkosten in „E-stonia" zu senken, wie das Land wegen seiner Leidenschaft für das Internet oft genannt wird. Zuvor muss ein Gericht aber versuchen, auf traditionellem Wege Kontakt aufzunehmen. Erst wenn dies misslingt, kann die Justiz die Vorladung online versenden. „Wir forschen im Netz nach Adressen", erklärte Justizminister Henno Pevkur. Größtes Problem bisher: In dem kleinen Ostseestaat müssen Bürger den Behörden nicht ihren aktuellen Wohnsitz mitteilen.
„Die Aufgabe, jemanden ausfindig zu machen und ihm die Vorladung zuzustellen, liegt allein bei den Gerichten", erklärt die Vorsitzende Richterin Helge Särgava vom Landgericht Harju in einem TV-Interview. Sie hofft, durch die Online-Vorladungen Kosten und Verwaltungsaufwand zu senken. Im vergangenen Jahr gab das Gericht, das für den Verwaltungsbezirk der Hauptstadt Tallinn zuständig ist, allein für Porto mehr als 106.000 Euro aus. „Unsere Gerichtsdiener waren zuletzt eher Postangestellte", kritisiert Särgava.
Gut dabei beim E-Government
Auch deshalb können die Gerichte Schätzungen zufolge bis zu 50 Prozent der rund 30.000 Zivilverfahren im Jahr nicht bearbeiten. „Wir wollen endlich das Problem vorsätzlicher Verzögerungen abstellen", sagt Justizminister Pevkur. Es ist nicht das erste Mal, dass die Regierung moderne Kommunikationsmethoden nutzt. So gibt die Mehrheit der Esten ihre Steuererklärung online ab. Eine Studie des Wirtschaftsministeriums ergab, dass Behörden viele Aufgaben via Internet bis zu zwölfmal schneller erledigen. Eine Firma anzumelden, dauere durchschnittlich nur noch eine halbe Stunde.
Zeitgewinn ist auch das Ziel der Online-Vorladungen. Als rechtlich zugestellt gilt ein Dokument, wenn der Empfänger auf den Link geklickt und sich auf der Internetseite des Gerichts mit Hilfe seines elektronischen Ausweises angemeldet hat. Nahezu alle Esten besitzen eine solche ID-Karte, die als Personalausweis dient und im Internet die Feststellung der Identität ermöglicht.
Kritiker befürchten allerdings, dass die Internet-Initiative ins Leere läuft. Wer offline den Kontakt mit dem Gericht vermeidet, so argumentieren sie, der wird auch online nicht auf Aufforderungen reagieren. Befürworter indes hoffen, zumindest ehrbare Bürger auf diesem Weg zur Kommunikation mit der Justiz bewegen zu können.
Wenige Facebook-Nutzer
Klar ist: Auch mit Facebook und Twitter werden die Gerichte nicht alle Angeklagten oder Zeugen erreichen. Umfragen zufolge rufen zwar knapp zwei Drittel aller estnischen Internet-Nutzer mindestens einmal pro Woche ihr Facebook-Profil auf. Allerdings sind bisher nur 40 Prozent der knapp 1,3 Millionen Esten in dem Online-Netzwerk aktiv, beim Kurznachrichtendienst Twitter sind es noch weniger.
- Facebook-Klicks sagen Eigenschaften voraus
- Universität Paderborn entwickelt P2P-Facebook
- Virtuelles Amt help.gv.at feiert 15. Geburtstag
- Tests für den Cyber-Ernstfall
Kommentare