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Interview

Facebook ist digitale Sklaverei

"Lasst und das Web besser machen" lautet der Slogan, der auf der Webseite des Datenschutz-Aktivisten Aral Balkan prominent zu finden ist. Der Brite entwickelt seit einigen Jahren Lösungen, die den Schutz der Privatsphäre im Web sicherstellen sollen. Balkan war anlässlich der „GLOBART Academy“ in Krems auch bei der futurezone zu Gast und erzählte von seinen Visionen, mit Technologie die Welt besser und nachhaltiger zu gestalten.

Sie beschäftigen sich mit der Entwicklung von privatsphärenfreundlichen Web-Lösungen. Wie kann man Ihrer Meinung nach das Web wieder so gestalten, dass die Privatsphäre geschützt ist?
Aral Balkan: Ich glaube nicht, dass wir jemals wieder ein privatsphärenfreundliches Web haben werden, weil das Web per Definition ein zentralisiertes Netzwerk ist. Das Internet ist dezentral, aber das Web ist es nicht und war es nie. Natürlich war es am Anfang, als Tim Berners Lee das World Wide Web geschaffen hat, noch so, dass es viele verschiedene Orte im Netz gab. Aber dann haben wir das Web dem Kapitalismus untergeordnet und durch Venture Capital entstanden die Monopole rund um Google und Facebook. Das einzige, das wir jetzt noch machen können, ist, Menschen von den schlimmsten Datenmissbräuchen dieser Monopole zu schützen.

Ihr Slogan auf der Website ist ja „Lasst uns das Web besser machen“. An was für Lösungen arbeiten Sie?
Better ist ein Tracker-Blocker für den Browser Safari fürs iPhone und iPad und wir verhindern, dass im schlimmsten Fall bis zu 172 Tracker auf Websites mitschauen und einen beobachten, wenn man diese besucht. Better ist dabei nur eine Lösung, wir brauchen natürlich viel mehr davon. Es ist aber ein Signal an die Unternehmen, Zeitungsverlage, Facebook und Google: Seht her, wir stoppen euch, mitzulesen, ganz einfach weil wir es können. Das ist einer der großen Vorteile des Web. Man braucht noch immer einen Browser und über den hat man volle Kontrolle. Anders sieht dies in den Apps aus. Eine Facebook App lässt sich nicht so einfach kontrollieren.

Es gibt Thesen, wonach wir uns derzeit noch in einem sehr frühen technologischen Zeitalter befinden und Software früher oder später viel ethischer eingesetzt werden könnten. Die WU-Professorin Sarah Spiekermann sagt etwa, dass Geschäftsmodelle wie das von Google nicht nachhaltig sind. Was ist Ihre Meinung dazu?
Ich bin auch der Ansicht, dass wir uns noch in einem frühen Stadium der Technologieentwicklung befinden. Technologie wird sich sehr exponentiell entwickeln und wir sind da erst am Beginn. Zuerst haben wir auch einmal die Wälder abgeholzt, bevor wir uns mit den Umweltschäden danach befasst haben. Das wird im Technologie-Zeitalter auch noch passieren. Derzeit befinden wir uns also an einem Punkt, wo wir mit Technologie sehr viel Schaden anrichten. Früher haben wir Bäume abgeholzt, jetzt schöpfen wir die Daten von Menschen ab. Google und Facebook sind nichts anderes als Massenhaltungsbetriebe von Menschen. Sie sammeln und analysieren Informationen über Menschen, um Profile von ihnen zu basteln.

Das wissen wir aber jetzt schon seit einiger Zeit, oder?
Es ist auch kein neues Modell. Wir haben schon in der Vergangenheit ein sehr erfolgreiches Geschäft rund um den Menschenhandel gehabt. Das hieß Sklaverei. Wir müssen uns heutzutage wirklich fragen, ob wir ein Geschäft, das auf dem Sammeln, Besitzen und Handeln mit allem, was eine Person heutzutage ausmacht, wirklich gutheißen. Nichts anderes machen Unternehmen wie Facebook oder Google. Das ist digitale Sklaverei.

Aral Balkan Aktivist
Wie kann man dieses Geschäftsmodell Ihrer Meinung nach ändern und zumindest dafür sorgen, dass die Menschen die Macht über ihre Daten wieder zurückerobern?
Dazu müssen wir verstehen, was Daten überhaupt sind. Wir reden von Daten immer über etwas, das mit uns nichts zu tun hat. Dabei sind Daten eigentlich wir. Wir Menschen. Wenn man eine kleine Kette besitzt, die man in einem 3D-Drucker kopieren kann, ist es auch egal, ob das jetzt die Kopie oder das Original ist. Wenn Facebook etwa aufgrund deines Persönlichkeitsprofils glaubt, dass du ein Terrorist bist, wird es nicht lange dauern, bis auch die Polizei vor deiner Tür steht.

Aber was können einzelne Menschen dagegen tun? Einfach auf Facebook oder Google verzichten?
Es gibt verschiedene Dinge. Am einfachsten wäre es tatsächlich, Facebook einfach zu verlassen. Aber das ist nicht immer möglich. Und meistens auch nicht zielführend, weil auch die anderen Dienste, die es gibt, im Besitz von privaten Unternehmen sind. Alle Dienste und die gesamte digitale Infrastruktur sind wie Einkaufszentren. Wir haben keine öffentlichen Parks mehr. Und in Einkaufszentren gibt es keine freie Meinungsäußerung, die gibt es nur in öffentlichen Parks.

Manche Menschen sind über diese Netzwerke mit ihrer Familie verbunden und würden sich ausgrenzen, wenn sie darauf verzichten. Was raten Sie diesen Menschen?
Dann muss man sich zumindest sehr, sehr bewusst darüber sein, was für Informationen man über diese Netzwerke teilt. Es gibt keine Privatsphäre auf Facebook. Wenn Facebook sagt, dass etwas „privat“ ist, stimmt das nicht. Facebook hat diesen Begriff einfach komplett umgedreht. Private Kommunikation über den Messenger-Dienst werden über die Server von Facebook geschickt. Facebook analysiert die Nachrichten und speichert sie für die Ewigkeit, erst danach transportiert sie das Netzwerk weiter an den anderen Kommunikationsteilnehmer. Wenn man sich dessen bewusst ist, verändert man automatisch sein Verhalten.

Aber ist Selbstzensur wirklich eine Lösung?
Die gesellschaftliche Entwicklung wird dadurch auf jeden Fall stagnieren. Deshalb brauchen wir dezentrale Alternativen aus freier Software, die uns nicht ausspionieren. Oft kommt als Kritik an Alternativen aber das Argument, dass wir dann auch keine Kriminellen und Terroristen mehr fangen können. Dazu sollten wir uns einmal in Erinnerung führen, dass die Gesellschaft Fortschritte macht, wenn Menschen das Gesetz brechen. Die soziale Gerechtigkeit nimmt zu. Erinnern wir uns einfach mal daran, wie die Sklaverei noch legal war. Oder Frauen nicht wählen gehen durften. Es hat Menschen gebraucht, die das Gesetz gebrochen haben, um diese Errungenschaften durchzusetzen. Daher ist es auch so wichtig, dass wir diese Fähigkeit beibehalten und keinen vollüberwachten Staat schaffen.

Wenn ich persönlich an Alternativen denke, denke ich aber weniger an die Kriminellen, die damit gefangen werden könnten, sondern mehr daran, dass gerade im Bereich sozialer Netzwerke bisher jede Alternative gescheitert ist. Sieht man sich etwa Diaspora an…
Das ist ein großes Problem von Open Source Software und ihrer Community. Eine Menge von sehr intelligenter Menschen designt Spielzeug für Geeks. Sie sind Enthusiasten, die die Tools vor allem für sich selbst machen. Design ist hier Luxus und wird nur für Dinge verwendet, die sie selbst für wichtig erachten. Da ist es häufig viel wichtiger, dass sich Tools auseinander nehmen lassen und weniger, dass sie schöne Standards besitzen. Die meiste Open Source Software wird nicht für den Alltag gemacht.

Aus Ihrer Sicht müsste sich das Design von Software also einfach nutzerfreundlicher werden?
Nein. Ich mag den Begriff Nutzer nicht. Darunter wird in der Regel ein männlicher Weißer verstanden und es geht niemals darum, ihm mehr Macht zu geben, sondern nur rauszufinden, was man von ihm rauspressen kann. Wenn Google oder Facebook ihre Produkte erneuern, melken sie ihre Nutzer. Es gibt nur zwei Branchen auf der Welt, die den Begriff Nutzer überhaupt verwenden: die Technologie-Branche und die Drogen-Szene. Das ist kein Zufall. Wir leben in einer Welt, in der auch die Begriffe Abhängigkeit und Ausbeutung positiv besetzt sind.

Aral Balkan Aktivist
Was verstehen Sie dann unter Design?
Design ist… etwas so zu gestalten, dass es von jedem jeden Tag genutzt werden kann. Wenn man etwa jeden Tag mit seinem Auto fährt und das bleibt dann plötzlich liegen, ist man sicher unglücklich. Wenn man aber einen Oldtimer hat und der bleibt liegen, ist man möglicherweise froh, wenn man wieder dran herumschrauben kann. Wir müssen Software wie ein Auto gestalten, mit dem man jeden Tag zur Arbeit fährt. Man will nicht wissen, was drin ist, sondern nur, dass es funktioniert. Diaspora ist aber mehr wie ein Oldtimer und das war der Grund, warum es nicht funktioniert hat. Wir brauchen nicht noch mehr Spielzeug für Geeks, sondern müssen Tools designen, die jeden Tag funktionieren.

Und warum wird das bisher so selten gemacht?
Es ist eigentlich keine Hexerei. Wir brauchen dezentralisierte Open Source-Systeme für jeden. Aber in der Praxis ist das oft schwierig, weil die Gruppe der Mitarbeiter sehr divers sein muss. Wir haben das bei unserem Projekt Heartbeat gemacht. Es ist wesentlich leichter, einen Oldtimer zu entwickeln, weil da gibt es klare Regeln und keiner will diese ändern. Es ist eine geschlossene Gruppe am Werk, die auch ihre Identität daraus schöpft. Das sieht man auch bei der Community rund um die Privatsphäre. Bei einem Auto für jeden hingegen will jeder mitreden und die Regeln ändern. Diversität führt auch zu Widerstand. Es ist nicht so leicht, wenn man ein System ändern und etwas verbessern will, mit der die Mehrheit der Menschen glücklich ist. Deshalb sind manche Tools zum Schutz der Privatsphäre so schwierig zu bedienen. Man darf keine Oldtimer bauen und sich dann wundern, dass sie kaum einer nutzt.

Aber was ist jetzt die Lösung für dieses Problem, dass privatsphäre-freundliche Software so schwer zu bedienen ist?
Wir sollten an Lösungen bauen, einer Brücke, die die zentralisierte und die dezentrale Welt miteinander verbindet. Jeder in der EU sollte etwa einen Domainnamen erhalten und einen „Always On“ verschlüsselten Netzwerkknoten in einem Peer-to-Peer-System, das interoperabel und transparent ist. Kommerzielle Anbieter könnten dabei ihre eigenen Dienste entwickeln und integrieren, aber die Lösung selbst ist Allgemeingut. Wir haben so etwas in der Art bereits in einer Alpha-Phase entwickelt.

Ist das wirklich sicher, wenn es nur eine einzige Erkennungsmarke für jeden gibt? Was ist mit Identitätsdiebstahl?
Es ist Ende-zu-Ende-verschlüsselt und wir können hier den Technologien, die es gibt, vertrauen. Außerdem ist das System nicht so gedacht, dass es nur eine Erkennungsmarke für jeden geben soll. Es kann auch eine Person zehn davon haben. Ich spreche nicht von einer Seriennummer, die jeden brandmarkt. Sondern jeder sollte seinen eigenen, sicheren und verschlüsselten Raum erhalten.

Und das haben Sie bereits entwickelt?
Heartbeat, unser Peer-to-Peer-soziales Netzwerk, war unser Prototyp in der Alpha-Phase. Damit haben wir gezeigt, dass es möglich ist, so etwas zu entwickeln. Aber wir hatten keine verschlüsselten Netzwerkknoten. Das ist der schwierigste Teil an dem Ganzen, den ich in einem nächsten Schritt und Prototyp angehen möchte. Wir werden aber viele Fördermittel dafür brauchen. Aber natürlich würde ich Heartbeat gerne in eine nächste Phase bringen und ein digitales Gemeingut für eine dezentrale Welt schaffen. Aber das Problem wird man mit einer technischen Lösung alleine wohl nicht lösen können.

Wie genau meinen Sie das?
Das Schlachtfeld ist nicht ausgewogen aufgestellt. Facebook hat Millionen Dollar hinter sich, wir bei Heartbeat sind Laura, ich und unser Hund. Wir sind mit 100.000 US-Dollar rund vier Jahre ausgekommen. Das ist eine Summe, die ein Techniker im Silicon Valley in einem Jahr verdient. Aber selbst wenn man die gesamte Community, die Tools für die Privatsphäre entwickelt, zusammenzählt, passt diese noch immer in einen Raum. Wir sind praktisch nichts im Vergleich zu den Monopolisten. Wir müssen also dafür sorgen, dass hier Chancengleichheit für alle Seiten hergestellt wird.

Wie könnte das funktionieren?
Auf jeden Fall nicht mit Start-ups. Der Begriff Start-up ist eine Marke aus dem Silicon Valley. Es geht dabei nicht darum, etwas Nachhaltiges zu schaffen, sondern in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld zu lukrieren. Ein europäisches Start-up, das Geld von der EU kriegt, trägt exakt nichts zur Verbesserung des Gemeinwohls bei, sondern man wirft damit indirekt wieder Google Geld in den Hals. Das ist lächerlich. Wir sollten nur Technologie fördern, die etwas zum Gemeinwohl beiträgt und wir müssen damit aufhören, das Silicon Valley anzubeten.

Haben Sie bereits einmal mit EU-Politikern über Ihre Ideen gesprochen?
Ja, ich habe Vorträge vor dem EU-Parlament gehalten, aber ich habe mir für den Rest des Jahres vorgenommen, da noch mehr zu tun. Wir müssen dafür sorgen, dass die Lösungen, die wir kreieren, von niemandem abgeschottet werden können. Nur so kann man mit Technologie auch einen sozialen Wandel vollziehen.

Für wie realistisch halten Sie dieses Projekt, mit Technologie die Welt zu verbessern?
Ich programmiere seit ich sieben Jahre alt bin und ich kann sehr gut einschätzen, was machbar ist und was nicht. Es ist nicht etwas, das nur blauäugige Jungs denken. Wenn wir eine dezentrale, nachhaltige Welt wollen, müssen wir beginnen, diese zu bauen.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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