© epa

Big Data und Terror

“Gesamte Telekommunikation in Österreich wird gespeichert”

Terrorismusbekämpfung ist in den vergangenen Jahren eines der größten Geschäfte überhaupt geworden. Sowohl die Behörden als auch Justizministerien, Private und NGOs haben enorm aufgerüstet”, sagt Gert Rene Polli Polli, der ehemalige Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, am Dienstag beim Privacy Day der ARGE Daten in Wien. Auch auf die Politik hat diese Entwicklung Einfluss. Die Terrorismusbekämpfung dient als Hauptargument für die Einführung von Vorratsdatenspeicherung und ähnliches Regelungen zur Speicherung und Analyse von Daten. “Der Druck auf Österreich, mit entsprechenden Gesetzen zumindest auf europäisches Niveau aufzuschließen, war vor allem ab dem 11. September 2001 sehr groß.” Mittlerweile geht der Antiterror-Experte davon aus, dass in Österreich fast alle Daten abgesaugt, analysiert und gespeichert werden.

“Seit Snowden ist klar, worum es geht. Schon bei meinem ersten Amtsbesuch in Großbritannien wollte der MI5 sämtlichen österreichischen Daten spiegeln, heute ist das Fakt”, sagt Polli, der sich, was Regelungen wie die Vorratsdatenspeicherung angeht, mittlerweile als Skeptiker bezeichnet. Die Zahl der Fälle, in denen die Auswertung von durch Vorratsdatenspeicherung gesammelten Daten tatsächlich zur Bekämpfung von Terrorismus beigetragen haben, sind international nämlich ja auch bescheiden geblieben. “Zudem macht die Vorratsdatenspeicherung wenig Sinn, da die Daten außerhalb der EU ohnehin verfügbar sind, weil die großen Dienste aus den USA und UK Internet und Kommunikationsdaten auf dem Markt für Nachrichtendienste anbieten”, sagt Polli.

Österreich komplett überwacht

Polli war von 2002 bis 2008 Leiter des BVT, das Bundesamt für Verfassungschutz und Terrorismusbekämpfung
Die Behörden aus Österreich haben aus diesem Blickwinkel kaum mehr eine Daseinsberechtigung, weil die gesamten Informationen ohnehin über die weitaus besser ausgerüsteten großen ausländischen Dienste verfügbar sind. “Für uns geht es eher um klassische Ermittlungen innerhalb Österreichs”, sagt Polli. Außereuropäische Geheimdienste haben nämlich schon lange vor 9/11 begonnen, ihre Kapazitäten zur Datensammlung aufzubauen. “Dieses Vorgehen ist im Falle der NSA auch durch US-Recht gedeckt”, erklärt der Experte.

Die Fähigkeiten der NSA und ihres britischen Pendants sind in den vergangenen Jahren noch weiter gewachsen. “Die SIM-Karten-Hacks, die derzeit in den Medien behandelt werden, sind nur die Spitze des Eisbergs. Diese Dienste haben es auf die Provider abgesehen. In den USA selber ist das ohnehin kein Problem mehr. Außerhalb ist der limitierende Faktor wohl die Speicherkapazität. In 13 bis 14 Staaten wird sogar die gesamte Telekommunikation eins zu eins gespiegelt und gespeichert. Viele Experten sind - genau wie ich - der Meinung, dass Österreich einer davon ist”, sagt Polli.

Vorratsdaten sparen Geld

Die europäische Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung erachtet der ehemalige Nachrichtendienstchef vor diesem Hintergrund als unqualifiziert. Es gebe so viele Ausnahmen, etwa kleinere Provider, dass eine lückenlose Überwachung - die für eine Terrorismusbekämpfung Grundvoraussetzung wäre - überhaupt nicht möglich sei, sagt Polli: “Außerdem gibt es keine gemeinsamen europäischen Gesetze und schon gar keine zentralen Datenspeicher.” In Österreich gehe es in der Diskussion um das Recht der Behörden, auf Speicher bei den Providern zuzugreifen. “Das ist international ein Nachteil. Hier geht es um die Informationshoheit und die Beeinflussung von Börsen und Politik. Der britische Dienst greift selbst EU-Institutionen an. Solche Informationen sind Gold wert, etwa in der Wirtschaftsspionage”, zeigt Polli die internationalen Machtverhältnisse auf.

Die Vorratsdatenspeicherung habe aber durchaus auch Vorteile, wie der Ex-Nachrichtendienstler meint: “Das spart unglaublich viele Ressourcen. Für eine 24-Stunden-Observation hat man früher 20 Leute gebraucht, heute sind die selben Ergebnisse mit Datenauswertung zu erzielen.” Im Bezug auf die Terrorismusbekämpfung sieht die Bilanz aber weniger rosig aus. “Terrorismus ist ein internationales Geschäft. Mit nationalen Gesetzen und Ermittlungstechniken kommt man da nicht weit. Die NSA tritt mit anderen Diensten als Einheit auf. Das sieht man etwa an den Snowden-Berichten über die Erpressung von Bankern in der Schweiz. Die NSA sammelt die Daten, die CIA nutzt sie dann”, sagt Polli.

Europa hinterher

Derzeit argumentieren Befürworter der Vorratsdatenspeicherung gerne mir den Anschlägen von Paris. Die Fakten tragen solche Behauptungen aber nach wie vor kaum. Das könnte sich laut Polli in Zukunft aber ändern: “In Österreich hatten wir bislang kaum terrorismusrelevante Fälle. Das wird sich durch sogenannte Rückkehrer aus Krisenländern aber künftig ändern.” Das Argument, dass die Vorratsdatenspeicherung keine Anschläge verhindern kann, ist für Polli gar nicht relevant. Das Werkzeug werde nie präventiv sein, sondern sei von jeher als Aufklärungsinstrument gedacht gewesen.

Die Angst vor Terrorismus bleibt also wohl ein starkes Triebmittel in der politischen Debatte. Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste fachen diese Diskussion ab, da sie diese Werkzeuge haben wollen. Tatsächlich kann Terrorismus laut Polli aber nicht verhindert werden: “Terroristen sind nicht die Nachbarn von nebenan. Die wissen, wie verdeckt kommuniziert werden kann. Dann können zumindest unsere Dienste nicht mehr zugreifen.” Das erhöht die Abhängigkeit europäischer Dienste von NSA und dem britischen Geheimdienst, die die meisten Kommunikationsdaten haben. “Fast alle digitalen Informationen sind heute in Echtzeit verfügbar, aber eben nicht für die europäische Strafverfolgung. Dieses Rennen ist praktisch schon verloren, die außereuropäischen Dienste sind, was die Kontrolle des Internets angeht,voraus”, sagt Polli. Die einzige Möglichkeit, hier aufzuschließen läge laut Polli in einem gesamteuropäischen Nachrichtendienst: “Das wird auf absehbare Zeit aber wohl ein Wunschtraum bleiben.”

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Markus Keßler

mehr lesen
Markus Keßler

Kommentare