Hinter den Kulissen des Copyright-Maskenballs
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Ob bei dem internationalen Handelsabkommen ACTA, dem britischen Digital Economy Act oder dem spanischen Ley Sinde, die Lobbyisten der Unterhaltungsindustrie versuchten mit unterschiedlichem Erfolg ihre Interessen durchzusetzen und die Urheberrechtsgesetzgebung zu beeinflussen. Die Einschränkungen von Bürgerrechten werden als Kollateralschaden in Kauf genommen.
Die britische Wissenschaftlerin Monica Horten, Betreiberin der vielbeachteten Website iptegrity.com und Visiting Fellow an der London School of Economics & Political Science, spürt in ihrem vor kurzem erschienen Buch "A Copyright Masquerade" den Machenschaften der Unterhaltungsindustrie nach und zeigt auf, wie demokratische Prozesse durch die Taktiken der Industrielobbyisten unterwandert werden. Die futurezone hat mit Horten über Lobbyismus und Urheberrechtsgesetzgebung und die Folgen des gescheiterten ACTA-Abkommens gesprochen.
Monica Horten:Die kurze Antwort ist Ja. In den drei Fällen, die ich untersucht habe - ACTA, den britischen Digital Economy Act und das spanische Ley Sinde - war das der Fall.
Sie schreiben der US-Unterhaltungsindustrie großen Einfluss auf die Gesetzgebung zu. Wie funktioniert das?
Es gibt in den USA eine Lobbygruppe, die International Intellectual Property Alliance (IIPA), die vom US-Filmindustrieverband MPAA und der Tonträgerindustrie unterstützt wird. Diese Gruppe beobachtet die Copyright-Gesetzgebung rund um die Welt und versorgt den US-Handelsbeauftragten, der für die internationale Handelspolitik der Vereinigten Staaten zuständig ist, mit Informationen. Das Amt des Handelsbeauftragten (USTR, Office of the United States Trade Representative) veröffentlicht jedes Jahre einen bericht, den Special 301 Report, in dem auf Defizite in der Copyright-Gesetzgebung hingewiesen wird und auch Lösungsvorschläge unterbreitet werden. Es gibt also Lobbyisten der Industrie, deren Informationen und Ansichten von der US-Regierung übernommen und in offizielle Dokumente verpackt werden, die dann an die Botschaften versandt werden.
Damit wird Druck ausgeübt?
Ja, es scheint, als würden diese Informationen dazu genutzt, um Länder unter Druck zu setzen, etwa wenn Handelsvereinbarung ausgehandelt werden. Der einzige Grund, warum die betroffenen Ländern diesem Druck nachgeben und ihre Copyright-Gesetze ändern, ist, dass sie ihre Produkte in den USA verkaufen wollen. Es ist mir aber nicht gelungen, diese Prozesse in dem Buch so detaillliert nachzuzeichnen, wie ich es eigentlich wollte.
Sie zeigen in Ihrem Buch auf, wie Lobbyistengruppen der Unterhaltungsindustrie Gesetzgebern bei der Gestaltung von Copyright-Gesetzen zur Hand gehen. Fehlt es in der Politik an Expertise, um Querschnittsmaterien wie die Urheberrechtsgesetzgebung adäquat zu behandeln?
Es wäre unverschämt zu sagen, dass dies generell der Fall ist. In manchen Fällen ist das aber sicherlich so. Die Regierungen sind für die Copyright-Gesetzgebung verantwortlich und sie wenden sich mit ihren Fragen an jene Industrien, die vom Copyright leben. Sie sprechen also mit den Vertretern dieser Industrien und oft sind dies die einzigen Stimmen, die sie hören. Es sei denn, andere Gruppen machen sich bemerkbar. Das war bei ACTA der Fall. Den Verantwortlichen wurde schlagartig bewusst, dass es auch noch andere Stimmen gibt, die mitreden wollen.
Im Falle von ACTA gab es massiven Widerstand, der letztlich dazu führte, dass das Handelsabkommen vom Europaparlement abgelehnt wurde. Wie konnten die Proteste gegen das Abkommen, das ja sehr komplex ist, so groß werden?
Um ehrlich zu sein, es ist für mich ein Rätsel, wie die Proteste gegen ACTA eine solche Wirkung entfalten konnten. Das geht vermutlich auf Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vor allem in Polen zurück. In Polen gibt es eine große Angst, wenn Regierungen geheim etwas ausverhandeln. Panoptykon, eine Bürgerrechtsgruppe, ist sehr aktiv dagegen aufgetreten. Sie konnten ihre Botschaften sehr gut vermitteln, viele Leute sind auf die Straße gegangen. Aber auch in Frankreich und Deutschland waren Bürgerrechtsgruppen sehr aktiv.
Haben die Proteste gegen ACTA die Wahrnehmung und Sensibilitäten der Verantwortlichen in der EU gegenüber dem Urheberrecht verändert?
Ja, bei ACTA gab es eine Kehrtwende. Die Proteste gegen ACTA haben die Kommission und das Parlament erschreckt. Sie hatten einen großen Effekt, der auch dazu führte, dass künftig solche Themen wohl vorsichtiger angegangen werden. Das politische Gedächtnis kann aber sehr kurzlebig sein. Nach der Europawahl 2014 kann alles ganz anders aussehen.
Beim Digital Economy Act in Großbritannien, aber auch in Spanien haben sich die Industrielobbyisten zumindest in Teilen auf Kosten von Bürgerrechten durchgesetzt und Netzsperren gesetzlich verankert. Was können Bürgerrechtsgruppen daraus lernen?
Diese Gruppen müssen sich intensiv mit den Gesetzgebungsprozessen auseinandersetzen und sicherstellen, dass sie im richtigen Moment ihre Vorschläge einbringen. Bei den Vorarbeiten zum Digital Economy Act in Großbritannien im Jahr 2009 waren die Industrielobbyisten mit ihren Forderungen genau zur richtigen Zeit zur Stelle. Sie wussten, wann sie sich an die Verantwortlichen wenden mussten, um Gehör sich Gehör für ihre Forderungen zu verschaffen. Daraus können viele Bürgerrechtsgruppen etwas lernen. Viele, etwa La Quadrature du Net in Frankreich oder die deutsche digitale Gesellschaft machen das schon sehr gut, es gibt aber immer Luft nach oben.
Sie schreiben, Transparenz ist zu wissen, was hinter den Masken vor sich geht. Wie kann Transparenz in den Gesetzgebungsprozessen sichergestellt werden?
Die Techniken der Industrielobbyisten sind mittlerweile sehr ausgeklügelt. Das zu durchschauen ist sehr schwierig. Helfen könnte etwa das Lobbyisten-Register. Es ist wichtig diese Prozesse genau zu beobachten, das ist aber auch sehr aufwendig.
Auch bei der Datenschutzverordnung der EU gibt es massive Lobbyingversuche. Haben die Enthüllungen um die Internet-Überwachung der Geheimdienste durch Edward Snowden dem einen Strich durch die Rechnung gemacht?
Das EU-Parlament wird sich nun wohl sehr genau überlegen, in welche Richtung es beim Datenschutz gehen soll.. Davor war dieses Bewusstsein vielleicht nicht so ausgeprägt vorhanden. Die Enthüllungen über die Internet-Überwachung haben den Datenschutz aufgewertet.
Im EU-Telekompaket, das vor kurzem vorgestellt wurde, präsentierte sich Kommissarin Neelie Kroes als Verfechterin der Netzneutralität. Der von ihr vorgelegte Vorschlag läuft nach Meinung von Kritikern aber auf das Gegenteil hinaus. Auch eine Maskerade?
Kroes Vorschlag besagt, dass es Telekomanbieter in der EU nicht erlaubt sein soll, konkurrierende Dienste in ihren Netzwerken zu sperren, sie dürfen aber Vereinbarungen mit Inhalteanbietern abschließen und diese bevorzugt behandeln. Sie dürfen also nicht blockieren, sie dürfen aber bestimmten Diensten Vorrang geben. Letztlich läuft dies aber auf dasselbe hinaus. Es hat etwas von einer Maskerade.
Monica Horten beobachtet und analysiert seit Jahren die Internet- und Urheberrechtspolitik der EU. Ihre Analysen finden sich u auf iptegrity.com. Horten ist Visiting Fellow an der London School of Economics & Political Science und Autorin mehrerer Bücher. Zuletzt erschien "A Copyright Masquerade. How Corporate Lobbying Threatens Online Freedom".
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