"Scheiß Internet"-Preis für AnonAustria
"Scheiß Internet"-Preis für AnonAustria
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Aktivisten

Interne Machtkämpfe spalten AnonAustria

Tausende E-Mails von Politikern waren in Aussicht gestellt worden, die die Republik in ihren Grundfesten “erschüttern” sollten - am Ende entpuppte sich die mit Spannung erwartete Enthüllung von AnonAustria als ein mehr oder weniger gelungener

. Von Anfang an sei alles frei erfunden gewesen, die Aktion nur dazu gedacht, dem Thema Vorratsdatenspeicherung mehr mediale Beachtung zu verschaffen, so die über den Twitter-Account@AnonNewsAutverbreiteteStellungnahme.

Liest man die erste Mitteilung, die in der Nacht auf Sonntag verbreitet wurde, und eine weitere “Entschuldigung” von Sonntagnachmittag, wird auch deutlich, wie zerrissen die Gruppe - insofern man überhaupt von einer Gruppe sprechen kann - nach der Aktion ist. Diese zweite, ausführlichere Stellungnahme trägt den Titel “Informationen zu #OpFAP und #OpPitdog (Grubenhunt) aus der Sicht von @AnonNewsAUT und anderen engagierten Anons”. In dieser distanzieren sich die Verfasser auch ein Stück weit von @AnonAustria, dem in der Öffentlichkeit als “offiziellen” Twitter-Account bekannten Kommunikationskanal.

Kritisiert wird unter anderem, dass dieser - anders als andere Anonymous-Accounts - nur von einer einzigen Person betrieben wird. Bei dieser Person handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um den von der Polizei gesuchten “The_Dude” (futurezone-Interview

), der als einer der führenden Köpfe von AnonAustria gilt und intern zunehmend umstritten ist.

Zwei Lager
Er soll maßgeblich für die irreführende Ankündigung der E-Mail-Veröffentlichungen verantwortlich sein und dies auch nur einem ausgewählten Kreis von beteiligten Personen von Anfang an mitgeteilt haben. Das legt jedenfalls ein IRC-Chatlog nahe, der der futurezone am Wochenende zugespielt wurde und die internen Querelen dokumentiert. Geht man von der Echtheit des Chat-Protokolls aus, stellt sich auch jene Begründung ein Stück weit infrage, AnonAustria habe mit der Aktion mehr Aufmerksamkeit für die Vorratsdatenspeicherung erzielen wollen. So schreibt The_Dude etwa: “es ging einzig und allein darum denen ihre senstationsgeilheit (sic!) vor augen zu führen” - was sich auch mit einer Twitter-Nachricht von Sonntag deckt.

Der vermeintliche Anführer von AnonAustria zeigt sich im Chat wenig erfreut über die öffentlichen Stellungnahmen der anderen Mitglieder und mimt den Erwachsenen, der es mit einer Reihe von Kindern zu tun habe, die keine Ahnung davon hätten, was sie tun. Eine Entschuldigung zeige Schwäche und sei überhaupt nicht notwendig, damit hätten die Verfasser alles noch schlimmer gemacht, argumentiert The_Dude. AnonAustria müsse sich nicht darum kümmern, wie man in den Medien bzw. der Öffentlichkeit wahrgenommen werde, schließlich habe man sich auch für andere Aktionen (Polizeidaten, GIS, etc) nicht entschuldigt. Zudem würden derlei Stellungnahmen zu viele Interna preisgeben, kritisiert The_Dude die Verfasser der Stellungnahme, die damit nach außen hin zugeben würden, dass keine Einigkeit herrsche.

Einige pflichten The_Dude im Verlauf des Gesprächs bei, jene, die sich zur Stellungnahme entschlossen haben, rechtfertigen sich mit “Schadensbegrenzung” oder ziehen die gesamte Aktion in Zweifel.

“Wie von der Kanzel verkündet”
Dass in einer derart losen Gruppierung häufig Uneinigkeit herrscht, liegt auf der Hand. Auch auf internationaler Ebene gibt es immer wieder Machtkämpfe und interne Streitigkeiten bei Anonymous. Dies wurde beispielsweise auch rund um die Splittergruppe Lulzsec deutlich, die im vergangenen Jahr von sich reden machte. Und immer wieder sorgen einzelne Aktionen für Ungereimtheiten, die nicht selten auch darin münden, dass sich Anonymous-Vertreter untereinander bekriegen oder versuchen, die Identitäten der anderen öffentlich zu machen.

AnonAustria als hacktivistischer Ableger von Anonymous in Österreich ist vermutlich nicht so heterogen organisiert, wie es die Idee von Anonymous als führerloses Kollektiv verspricht - dagegen spricht schon, dass deren Aktionen wie von der Kanzel über den Twitter-Account @AnonAustria verkündet werden, auf den ganz offensichtlich nicht jeder zugreifen kann”, sagt Medienwissenschaflerin und Anonymous-Expertin Jana Herwig zur futurezone. “Insofern sehe ich Ereignisse wie Operation Pitdog auch nicht als Schattenseite von Führerlosigkeit, sondern als Beleg dafür, dass einige wenige im Alleingang nur schwer im Sinne eines breiten Konsenses agieren können”, so Herwig weiter.

Frage nach Glaubhaftigkeit
Ebenso wie sich einige AnonAustria-Vertreter nach der Aktion am Wochenende nun um ihre eigene Glaubhaftigkeit sorgen, stellen auch viele Medienvertreter und Bürger diese Glaubhaftigkeit infrage. Bislang war es die heimische Öffentlichkeit gewöhnt, dass man sich auf die Ankündigungen und Aktionen der Hacktivisten “verlassen” konnte. Doch inwiefern soll und darf man einem anonymen Kollektiv überhaupt eine solche Erwartung entgegenbringen?

“Es scheint mir bemerkenswert, dass überhaupt immer wieder angenommen wird, AnonAustria müsse glaubhaft sein”, sagt Herwig. “Immerhin handelt es sich um ein nicht authentifizierbares Kollektiv, das in der Vergangenheit selbst entschieden hat, wessen Privatsphäre schützenswert ist und wessen nicht. Man denke an den Leak persönlicher Daten von

im September 2011.”

Die Geschehnisse vom Wochenende haben laut der Medienwissenschaftlerin zweierlei offengelegt: “Einerseits hat die politische Klasse selbst ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, wenn die bloße Ankündigung eines E-Mail-Leaks durch ein anonymes Kollektivs ein solches Echo nach sich zieht”, so Herwig. Andererseits gebe es diese Wunschvorstellung: “Legt euch mit unserer Privatsphäre an, dann gibt AnonAustria euch eins auf die Nase.” So würden Hacker zu den neuen Rächern der Enterbten stilisiert, und die noblen Motive eines Robin Hood gleich mit unterstellt.  “Erfüllen sie diese nicht, ist die Enttäuschung groß.”

Protestlabel versus Machtgesten
Prinzipiell, so Herwig, setzt sich die Anonymous-Bewegung aus zwei Komponenten zusammen. “Einerseits ist es ein Protestlabel, das insbesondere bei Fragen wie Informationsfreiheit und Grundrechten im Netz zum Einsatz kommt und von jedem genutzt werden kann.” Auch am Wochenende hätten Menschen etwa Anonymous-Masken verwendet, um gegen die Vorratsdatenspeicherung im physischen Raum zu protestieren.

“Andererseits gibt es innerhalb von Anonymous hacktivistische, eher geschlossene Gruppen wie etwa @AnonAustria, denen es mittlerweile hervorragend gelingt, die Aufmerksamkeit der Medien zu erlangen, oft auch unhinterfragt”, sagt Herwig. Welche dieser beiden Komponenten nun glaubwürdiger ein Zeichen gegen die Vorratsdatenspeicherung gesetzt habe, sei schwierig zu bewerten. “Beide tragen zum Gesamteindruck von Anonymous dabei - einerseits das Auftreten im physischen Raum, das bekräftigt, dass Anonymous kein bloßes virtuelles Phänomen ist, andererseits die Machtgesten von AnonAustria, die zum Omnipotenzeindruck von Anonymous beitragen.”

Misstrauen auf allen Seiten
Nach dem Aprilscherz von AnonAustria werden Medien wie auch die breite Öffentlichkeit in Zukunft wohl etwas vorsichtiger auf großspurige Ankündigungen reagieren. Dokumente wie der im Artikel zitierte Chatlog sind ebenfalls nur in dem Bewusstsein zu lesen, dass am Ende wieder alles inszeniert sein könnte. Selbst Teilnehmer im Chat werfen den Gedanken auf, es handle sich womöglich um einen bewussten Streit, der so an die Medien gelangen soll, während andere vorschlagen, die Debatte lieber “woanders”, sprich in privaten Chats weiterzuführen. Wie sich der interne Machtkampf bei AnonAustria entscheidet und mit welchen Aktionen die Internet-Aktivisten in Zukunft Schlagzeilen machen werden, bleibt abzuwarten. Klar ist, dass auch eine an sich hierarchiefreie Bewegung nicht um Führungs- und Strukturdebatten herum kommt.

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Claudia Zettel

ClaudiaZettel

futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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