Radikale Gruppen wie der IS treten hoch professionell in den sozialen Medien auf
Radikale Gruppen wie der IS treten hoch professionell in den sozialen Medien auf
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Social Media

IS-Propaganda: “Löschknopf wird Problem nicht lösen“

Spätestens mit dem Arabischen Frühling haben Regierungen und Politiker Social Media als machtvolles Instrument für ihre Kommunikation erkannt. Doch die Euphorie wurde auch schnell von Kritik und Zweifeln begleitet, welche Rolle Twitter, Facebook und Co tatsächlich dabei gespielt haben. Heute sieht sich die Welt mit dem IS konfrontiert, der diese Plattformen für seine Zwecke nutzt. Die futurezone sprach im Rahmen der Internetkonferenz re:publica in Berlin mit Ben Wagner, Direktor des Centre Internet & Human Rights an der Europa-Universität Viadrina, über politische Kommunikation im Netz, mögliche Reaktionen auf die Kampagnen des IS und das Spannungsfeld zwischen einem freien Internet und Zensurrufen seitens Regierungen.

futurezone: Der Arabische Frühling wurde auch bekannt als “Social Media Revolution”. Nach der ersten Euphorie über die neuen Kommunikationswerkzeuge trat allerdings Ernüchterung ein und vieles wurde relativiert. Wie würden Sie den Einfluss von Twitter, Facebook und Co auf die damaligen Ereignisse aus heutiger Sicht beurteilen?
Ben Wagner: Soziale Medien haben eine Rolle gespielt. Es ist jedoch schwierig zu sagen, welche genau aus wissenschaftlicher Perspektive. Soziale Medien sind heute einfach da, sie werden von jeder Protestbewegung auf der Welt genutzt. Es geht weniger darum, was Menschen an ihrem Verhalten verändern, weil sie Social Media nutzen, sondern um die Frage, wie Menschen soziale Medien nutzen. Die spannenden Fragen sind, wie gehen Menschen mit dem um, was für sie zur Normalität geworden ist.

Liegt da ein neues Revolutionspotenzial in den sozialen Medien oder sind die Kommunikationsmittel mehr oder weniger immer austauschbar?
Weder noch. Die Antwort liegt dazwischen. Letztlich kommt es darauf, dass die Medien, wie sie genutzt werden, Potenzial für vieles haben. Man kann gar nicht sagen, wo und wie sie genutzt werden. Es ist aber schon so, dass Technologien bestimmte Verhaltensformen begünstigen. Ich glaube, wenn man Technologien zu stark in so ein Revolutionskonzept einbindet, nimmt man ein sehr deterministisches Menschenbild an und geht davon aus, dass Menschen gar keine Reflektionsfähigkeit gegenüber den Technologien haben, die sie nutzen. Gleichzeitig bleiben viele Funktionen von Technologie vor den Nutzern versteckt. Sie sehen gar nicht, wie die Technologien den Informationsfluss zu ihnen beeinflussen. Wenn zum Beispiel Algorithmen bei Google oder Facebook geändert werden, hat das natürlich auf Menschen Einfluss, allerdings ist es nie der einzige Einfluss.

Wissenschaftler Ben Wagner

Nun werden die sozialen Medien sowohl von Seiten der Bürger als auch von Seiten der Regierungen und Parteien für politische Botschaften genutzt. Wer profitiert denn wo am meisten?
Zumindest in der Theorie gibt es dadurch andere Möglichkeiten als zuvor, bestimmten Gruppen eine Stimme zu geben. Das Problem ist allerdings, dass dieser Umstand nicht unbedingt zu mehr Gerechtigkeit in der Welt führt. Diese neuen Technologien werden in der Regel von bestimmten Gruppen wie klassischerweise jungen, weißen Männern gebaut und dann auch von bestimmten Gruppen genutzt. Das führt dazu, dass man im schlimmsten Fall eine Wiedererstarkung von bereits diskriminierenden Aspekten in Gesellschaften wiederholt, in dem die Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen durch Technologien potenziert werden. Es muss natürlich nicht so sein, aber einige Tendenzen in diese Richtung sind durchaus erkennbar.

Was wäre dafür ein Beispiel?
Man muss sich nur die Zusammensetzung und die Mitarbeiter der Firmen anschauen, die diese Technologien entwickeln. Es geht nicht darum, ob das gute oder schlechte Menschen sind. Sie kommen einfach vorwiegend aus einer bestimmten Ecke der Erde und sind durch dort herrschende Normen und Werte geprägt. Der Freiheitsgedanke, der in vielen Technologien mit eingebaut ist, bringt natürlich viele Vorteile. Aber man muss die normativen Vorprägungen der Entwickler verstehen und welche Konsequenzen das für Gesellschaften hat, die nicht die gleichen normativen Werte teilen.

Unabhängig von der Ideologie hinter einer politischen Botschaft gibt es da gewisse Grundregeln, die man beachten sollte, wenn man sie erfolgreich etablieren will?
Wenn man in dem Bereich arbeitet, findet man schnell heraus, dass es keine allgemeingültigen Regeln gibt. Aber es gibt natürlich Firmen und Menschen, die einen beraten können. Man merkt auch, dass man sich im Laufe der Zeit, in der man diese Technologien nutzt, auch Dinge anlernt.

Der IS ist - ungeachtet der Ziele, die verfolgt werden - sehr präsent und erfolgreich im Einsatz von sozialen Medien. Wie soll man nun damit am besten umgehen? Kritisieren, ignorieren?
Das ist eine sehr individuelle Entscheidung. Es ist schon so, dass diese Art von Kommunikation nun Menschen zuteil wird, die es vorher nicht erwartet hatten. Weil es leichter ist an solche Informationen heranzukommen. Auf der anderen Seite ist das erstmal etwas Positives, weil man Dinge erfährt, von denen man vorher gar nicht geglaubt hat, dass sie möglich wären. In dem Moment, wo man aber zum Beispiel konkret vom IS kontaktiert wird, ist man mit einer neuen kommunikativen Realität konfrontiert, mit der man sich auseinandersetzen muss. Da handelt es sich um teilweise abscheuliche Geschehnisse, denen menschlich und rechtsstaatlich schwer beizukommen ist. Nur einen “Löschknopf” zu drücken wird das Problem nicht lösen.

Wie gehen aus Ihrer Sicht westliche Staaten und Regierungen damit um?
In der Regel ist es so, dass die Regierungen sehr stark versuchen, private Firmen unter Druck zu setzen. Mit Ausnahme von Frankreich machen sie dafür keine neuen Gesetze, sondern es gibt den Versuch, mit möglichst viel Druck, die Privatwirtschaft dazu zu bringen, dass sie den Interessen der westlichen Staaten entspricht. Oftmals führt das dann dazu, dass bestimmte Inhalte aus dem Netz verschwinden und bestimmte Arten der Inhalteverbreitung schwieriger werden. Die Problematik dabei ist, dass das für Bürger nicht transparent ist.

Gleichzeitig findet gezielte Überwachung statt – was sowohl von Individuen als auch in automatisierter Form gemacht wird. Es wird natürlich mit dem Antiterrorkampf argumentiert, öffnet aber gleichzeitig Tür und Tor für jegliche Überwachungsmaßnahmen und Eingriffe in das Leben unbescholtener Bürger. Man denke zum Beispiel an die Berichte von ‚The Intercept’ über einen Journalisten von Al-Jazeera, der von einem automatisierten Algorithmus zum Al-Qaida-Kurier gemacht wurde.

Ist es also am Ende - trotz aller Gefahren, die beispielsweise von IS oder anderen Terroristen ausgehen - klüger, das Netz möglichst offen und uneingeschränkt zu lassen?
Es ist jedenfalls sinnvoller, möglichst transparent damit umzugehen, wie man glaubt, dass die Lösungen der Probleme aussehen würden. Das heißt, dass man über alles reden kann. Aber man muss alle Reaktionen der Öffentlichkeit gegenüber rechtfertigen können.

Gibt es für die einzelnen Nutzer überhaupt eine Möglichkeit, der Propagandafalle des IS zu entgehen? Oftmals werden abscheuliche Bilder oder Botschaften ja reflexartig weiterverbreitet, was auch aus Schock oder Überforderung geschieht oder weil man diese Dinge nicht unkommentiert lassen will.
Man muss Wege finden, sowohl darüber informiert zu sein als auch Wege finden, das Ganze sinnvoll zu kritisieren und zu kommentieren. Man muss wohl eine Debatte darüber führen, welche Art der Reaktion in welcher Situation angemessen ist. Wir sind jetzt auch in der Situation, dass der IS versucht, gezielt Jugendliche anzusprechen.

Dabei muss man wissen, dass es hier nicht nur um Jugendliche mit radikal islamistischem Hintergrund geht, sondern europäische Jugendliche von allen Konfessionen und unterschiedlichster Herkunft angesprochen werden. Zudem werden die Prozesse der Radikalisierung oft viel zu stark vereinfacht dargestellt oder nur bestimmten Gruppen an Menschen zugeschrieben, tatsächlich zieht sich dieser Prozess quer durch alle Gesellschaftsschichten. Zudem gibt es sehr viele verschiedene Motive, weshalb sich junge Leute davon überzeugen lassen in den Dschihad zu ziehen. Das geht über Radikalisierung hinaus. Es ist zu einfach nur zu sagen, “sie sind vom Bösen überzeugt worden”.

Würden Sie sagen, dass der IS besonders professionell im Internet agiert?
Sie wirken jedenfalls sehr professionell auf uns und haben eine klare Medienstrategie. Es ist aber auch ein Stück weit ein Spiegel unserer Zeit. In den 60er- und 70er-Jahren hatte etwa die RAF in Deutschland hohe Unterstützerwerte. Der Weg, in der Moderne zu solchen Unterstützerwerten zu kommen, ist eben mit Hochglanzvideos, entsprechenden Tweets und Facebook-Nachrichten. Es geht darum, dass man seine Klientel erreicht und die ist sehr viel diverser, als man glaubt. Was wir ebenfalls in unserer Forschung gesehen haben, ist, dass ähnliche radikalen Gruppen auch ähnliche Strategien nutzen. Es ist nicht nur der IS, der so arbeitet.

Wenn Sie einen Blick in die Zukunft sozialer Medien wagen: Wird sich der Gegensatz zwischen einerseits dem nützlichen und allen offenstehenden Kommunikationstool und andererseits der Problematik, wie sie bei der Nutzung durch radikale Gruppen entsteht, weiter verstärken?
Ich glaube, wir werden einfach noch stärker alle Formen von Gesellschaft digitalisieren. Alles, was es jetzt schon gibt, wird digital werden und die Gesellschaft sich noch stärker im Digitalen wiederfinden. Da wird es sicher auch neue Herausforderungen geben, die man so noch nicht kennt. Es wird natürlich auch in der Zukunft weitere Gruppen geben, die versuchen über soziale Medien Menschen zu rekrutieren, und es wird weitere Versuche zur Überwachung von Staaten geben.

Schaukeln sich diese beiden Pole - auf der einen Seite die radikalen Gruppierungen, auf der anderen Seite die staatlichen Zensur- und Überwachungsmaßnahmen - gegenseitig immer mehr hoch? Wird vom “schönen, freien, offenen Internet” bzw. der Idee davon am Ende nichts mehr übrigbleiben?
Es ist natürlich möglich. Es ist aber auch möglich, dass die Netzpolitik im allgemeinen erwachsener wird. Das heißt, dass die Ausschläge des Pendels in beide Richtungen schwächer werden und Gesellschaften eine Art Mittelweg finden. Dass man langsam anerkennt, dass die Vorratsdatenspeicherung vielleicht nicht die optimalste Lösung aller Probleme ist, dass man merkt, ja es gibt radikale Gruppen, die das Netz missbrauchen, aber Totalüberwachung oder massive Zensur wird dies nicht verhindern können. Ich habe trotz allem die Hoffnung, dass durch eine Professionalisierung der Netzpolitik sich alles ein wenig normalisiert und dass besonders radikale Vorschläge zunehmend schwieriger zu unterbreiten sein werden.

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Claudia Zettel

ClaudiaZettel

futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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