© Jakob Steinschaden

Rick Falkvinge im Interview

Piraten-Gründer: "Ähnliche Ziele wie Anonymous"

“Ich habe lange gebraucht, um das zu sagen: Ich bin ein Politiker.” Wenn man dem Schweden Rick Falkvinge (40) gegenübersitzt, hat man tatsächlich kaum das Gefühl, einen großen politischen Führer vor sich zu haben. Dennoch: Falkvinge hat 2006 jene Piratenpartei ins Leben gerufen, die sich auch in Österreich zum bemerkenswertesten politischen Phänomen der vergangenen Jahre gemausert hat. Ihr Gründer zählt laut Time Magazine 2012 neben Barack Obama und Angela Merkel bereits zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Am 1. Jänner 2011 als Parteichef zurückgetreten, ist der Whisky-Liebhaber und Motorrad-Fan Falkvinge heute auf der ganzen Welt als Buchautor und Vortragender unterwegs, um die Idee der Piraten weiter zu verbreiten.

Wenn man die Piraten von außen beobachtet, hat man das Gefühl, dass es da derzeit um Postenverteilung geht und nicht um das  Programm. Wofür stehen die Piraten denn jetzt eigentlich?
Wir unterstützen und verteidigen einen vernetzten Lebensstil und wollen ihn nicht dämonisieren, wie das die restliche Politik tut. Ein Punkt ist, dass wir Breitband-Internet für alle fordern, so wie es überall Straßenbeleuchtung gibt.

Die Piratenpartei ist in aller Munde, die wenigsten können sie aber im Links-Rechts-Spektrum einordnen. Wo steht sie?
Das ist ein Problem, das auch andere hatten. Als die Grünparteien aufkamen, hatten sie enorme Schwierigkeiten, die Idee der Nachhaltigkeit zu erklären, weil das Konzept zuvor einfach nicht existierte. Es gab noch keine bekannten Begriffe, mit denen sie es kommunizieren konnten, und es hat Jahre gebraucht, bis sie ihr eigenes Repertoire dafür entwickeln konnten. Das selbe Problem hatten die Liberalen, als sie  gefragt wurden, ob sie auf der Seite der Kirche oder jener des Königs stünden, sie aber sagten, dass sie für individuelle Rechte eintreten würden. Als die Sozialisten kamen, konnte man sie weder bei den Konservativen noch bei den Liberalen einordnen. Jede neue Bewegung wird gefragt, auf welcher Seite des aktuellen Konflikts sie steht, aber sie sind eben nicht Teil dieses alten Konflikts, sondern bringen einen neuen Konflikt erst auf, den viele noch gar nicht wahrnehmen - jenem der Internet-Generation gegen das Establishment.

Die Piraten kommen bei Protestwählern gut an. Reicht das, um langfristig zur politischen Kraft zu werden, oder läuft man Gefahr, ein kurzer Modetrend zu sein?
Alle Bewegungen starten mit einem Protest. Die Arbeiterbewegung hat gegen schlechte Arbeitsbedingungen demonstriert und hat sich dann zu Gewerkschaften, einer Ideologie der internationalen Solidarität und zu sozialistischen Parteien weiterentwickelt. Die Öko-Bewegung 40 Jahre später hat gegen Umweltverschmutzung demonstriert, sich zu einer Ideologie der Nachhaltigkeit entwickelt und ist in den Grünparteien gemündet. Wiederum 40 Jahre später passiert es wieder: Die Piraten protestieren dagegen, dass Bürgerrechte an den Höchstbietenden verkauft werden. Wir haben uns von einer kleinen Plattform für Privatsphäre und der Idee, Informationen frei zu teilen, weiter entwickelt. Jetzt bemerken wir, dass wir im Kern eine Lifestyle-Partei sind, die für einen vernetzten Lebensstil eintritt. Und das ist weit mehr als nur gegen große Konzerne anzukämpfen.

Warum sind die Piratenparteien gerade in Mitteleuropa derzeit so im Aufwind?
Das täuscht. In anderen Ländern gibt es auch Piratenparteien, sie werden aber nicht so wahrgenommen. Das hängt mit den verschiedenen politischen Systemen zusammen. In den meisten europäischen Ländern bekommt man für zehn Prozent der Stimmen zehn Prozent der Sitze im Parlament. In den USA, Großbritannien, Frankreich oder Australien braucht man eine Mehrheit in einer Region, um einen einzigen Sitz im Parlament zu erobern. 51 Prozent der Stimmen zu bekommen ist eine ganz andere Herausforderung, als fünf Prozent zu schaffen. Es kommt also nur darauf an, die richtigen Ideen zu entwickeln, um diese politischen Systeme zu knacken.

Überrascht Sie der Erfolg der Piraten?
Mich überrascht vor allem die Geschwindigkeit. Unser Plan war immer, zuerst Schweden, dann Europa und dann die ganze Welt zu ändern. Wir wollten zuerst in schwedische Parlament, dann die entstandenen Ressourcen nutzen, Piratenparteien in vier, fünf Kernländern in Europa zu gründen, und wenn wir den größten Wirtschaftsraum der Welt geändert haben, können wir die Welt ändern. Ich habe damit gerechnet, dass das 20 bis 25 Jahre dauern wird. Aber bereits sechs Jahre nach der Gründung stehen wir in Deutschland knapp davor, in das Parlament zu kommen, um dort die Politik zu verändern.

Politische Systeme sind stark hierarchisiert, während die Piraten gerne von der basisdemokratischen Schwarmintelligenz sprechen. Passt das überhaupt zusammen?
Eine unserer Kernideen ist, dass wird so flache Hierarchien haben, die erlauben, dass jeder mit jedem ohne Barrieren sprechen kann. Die Grünen hatten anfangs sehr ähnliche Ideale, aber sich sehr schnell anders entwickelt. Wenn man Geld und Macht hat, zieht man Menschen an, die Geld und Macht wollen. Auch die Piraten werden deswegen über kurz oder lang in die Situation kommen, Karrieristen anzuziehen. Unsere Struktur ist bis zu einem gewissen Punkt dagegen resistent, aber ab einem gewissen Punkt werden die karriereorientierten Politiker übernehmen. Wir reden da aber von einem Zeitpunkt in 40, 50 Jahren.

Der Zeitpunkt, an dem eben die Entscheidung fallen muss, wer den Ministerposten bekommt und wer nicht, könnte schon früher kommen.
Klar, diese Frage wird einmal kommen, und wenn ich mir die Entwicklung in Deutschland anschaue, ist diese Frage bereits aufgekommen.

Sie sind am 1. Jänner als Parteichef zurückgetreten. Bleiben sie der Bewegung treu?
Viele Leute fragen mich, ob ich die Piratenpartei als mein Baby ansehe, und ja, natürlich sehe ich das zum Teil so. Aber wie jedes Kind, das größer wird, entwickelt es sich nicht ganz so, wie man es sich vorgestellt hat. Das zu beobachten, wie es sich entwickelt, fasziniert mich. Ich habe den ersten Knopf gedrückt, aber Millionen Leute haben nach mir Knöpfe gedrückt, und gemeinsam haben sie das entwickelt, was es jetzt ist.

Sie wirken weniger wie ein Parteiideologe und mehr wie ein Personal-Manager. Absicht?
Ja, so ist es tatsächlich. Führerschaft bedeutet Management. Führerschaft verlangt einen psychologischen Zustand in einer Gruppe von Leuten, damit die Leute einen auch als Anführer wahrnehmen. Ich sehe mich nicht mehr als Führer der Bewegung, aber ich sehe mich als Gründer, der mit den Leuten der Bewegung spricht und die Menge an Forderungen anhört und bündelt. Sobald ich aber nichts mehr Interessantes zu sagen habe, werden mir die Leute nicht mehr zuhören, und so soll es auch sein.

Sie haben die Piratenpartei 2006 in Schweden gegründet. Warum war gerade dieses Land ein so fruchtbarer Boden für die Idee?
Schweden hat mich stark beeinflusst. Ich hatte bereits 1998 eine 10-Megabit-Anbindung in meinem Appartment, also so schnelles Internet, wie es sie noch heute in vielen europäischen Regionen nicht gibt. Während in Schweden Internet von privaten Unternehmern vorangetrieben wurde, wurde es im Rest Europas von Kabel-TV-Anbietern und Telekom-Firmen ausgebaut, die eigentlich kein wirtschaftliches Interesse daran hatten, weil es ihr eigenes Geschäft zu kannibalisieren drohte. Schweden lag damals in Sachen Internetnutzung weltweit auf Platz drei, knapp hinter Japan und Südkorea. Die schwedische Regierung hat ihr Geld damals aber lieber in den Ausbau für digitales TV gesteckt und nicht ins Internet, und daraus ist ein Konflikt entstanden. Auf der einen Seite standen Unternehmer und Aktivisten, und auf der anderen die Regierung, die das Netz offensichtlich nicht verstand.

Wieso hat sich dann nicht auch in Japan oder Südkorea die Piratenpartei entwickelt?
Weil es in Europa und Schweden eine andere historische Entwicklung gab. Die Aufklärung hat den Menschen schon vor Jahrhunderten gelehrt, dass es gut ist, die Machthaber in Frage zu stellen und zu kritisieren. In Asien gibt es dieses kulturelle Erbe nicht, dort wird von den Menschen erwartet, ihren Alten zu gehorchen. Deswegen hat es eine nicht gewalttätige revolutionäre Bewegung dort viel schwerer als in Europa.

Die Piraten sind eher ein europäisches Phänomen. Gibt es Anknüpfungspunkte zur Occupy-Bewegung in den USA?
Es gibt Werte, die wir teilen. Occupy ist in den USA gestartet, weil immer mehr Menschen das Gefühl haben, dass sie von gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sind und das politische System von Konzernen entführt worden ist. Auch die Piratenpartei hat aus diesem Grund zu protestieren begonnen. Es gibt aber auch Unterschiede: Occupy hat sich dafür entschieden, außerhalb des politischen Systems zu handeln, während die Piraten das System von innen heraus ändern wollen. Wir haben also ähnliche Ziele, aber andere Wege dorthin.

Wie steht die Piratenpartei zu den Anonymous-Hacktivisten?
Dass die Entstehung einer politischen Partei von einer Bewegung begleitet wird, die außerhalb des Parlamentarismus agiert, hat es immer gegeben. Jede neue politische Bewegung, etwa die Arbeiterbewegung, hatte ihre Aktivisten, die das Gesetz brechen und denen vorgeworfen wurde, die Grenze zum Terrorismus überschritten zu haben. Die Grünen-Bewegung wurde von Saboteuren unterstützt, die sich später als Greenpeace formierten. Mit Anonymous heute ist das ähnlich: Die Piratenparteien und die Hacktivisten haben ähnliche Ziele und Ideale, aber andere Wege dorthin.

Wann wird der erste Pirat einen Regierungsposten bekleiden?
Das ist schon passiert. In Tunesien ist Slim Amamou Staatssekretär für Jugend und Sport geworden.

Ok, und in Europa?
Ich denke, Deutschland ist als nächstes dran. Ich weiß natürlich nicht, wie die Verhältnisse nach der nächsten Bundestagswahl aussehen und ob die anderen deutschen Parteien an einer Regierungsbeteiligung der Piraten interessiert sind, aber ich traue mich vorauszusagen, dass wir innerhalb der nächsten Dekade in Europa Piraten sehen werden, die Ministerämter bekleiden.

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