Abhörtechnik sieht heute oft anders aus
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Russland

Software soll Überwachung von Diensthandys automatisieren

Die Vertriebsassistentin trifft sich mit einer Kollegin vom Erzrivalen zum Lunch, der Marketingchef findet die neue Strategie blöd. Der Boss weiß es und kann gegensteuern. Denn der russische IT-Konzern Infowatch hat eine Software entwickelt, mit der Arbeitgeber die Handy-Gespräche ihrer Mitarbeiter abhören und analysieren können. Dabei kommen Geräte zum Einsatz, die wie Signalverstärker für Mobilfunk wirken. Sie werden in den Räumen des Auftraggebers installiert, zapfen das Mobilfunknetz an und erfassen den gesamten Verkehr. Spracherkennungs-Software „übersetzt“ die akustischen Signale dann in Text und sucht in diesem nach Schlüsselworten, die der Kunde zuvor festgelegt hat.

Abhören als Business

Das System, sagte Natalja Kasperskaja, die Generaldirektorin von Infowatch, der Tageszeitung Kommersant, sei nur für den Einsatz in den Räumen des Auftraggebers vorgesehen und habe nur auf die SIM-Karten von Diensthandys Zugriff. Es erkenne Signale von privaten oder Besucher-Handys und leite diese an „normale“ Basis-Stationen der Mobilfunk-Anbieter zurück.

Mit der Überwachung könne der Abfluss vertraulicher Informationen, zwar nicht völlig unterbunden, wohl aber minimiert werden.

DLP, Data Leak Prevention heißt das Phänomen im Fachjargon: Verhütung von unberechtigter Weitergabe sensibler Daten durch Insider an Dritte. Russland wurde 2015 in dieser Sportart Vizeweltmeister. Der Schaden ist immens. Opfer wurden sogar Giganten wie die Bank WTB 24, der Mobilfunkanbieter MTS oder die Russischen Staatsbahnen. Experten rechnen für die kommenden vier Jahre mit einem Anstieg von bis zu 60 Prozent. Das und die sich ebenfalls rasant häufenden Cyber-Attacken, so Kremlchef Wladimir Putin, sei Teil des westlichen Informationskrieges gegen Russland, Unternehmen sollten sich daher am besten mit einheimischer Software schützen.

Einheimische Software

Unangefochtener Marktführer sind Jewgeni Kaspersky und dessen Exfrau Natalja. Schon, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, entwickelten sie eines der weltweit besten Rundum-sorglos-Pakete für private Nutzer, das jedes Jahr in verbesserter Version und inzwischen in einem Dutzend Sprachen auf den Markt kommt. Die Kaspersky Labs bieten zudem maßgeschneiderte Lösungen für Schutz der Infrastruktur von Energie- und Maschinenbau-Unternehmen. Gemeinsam gründeten sie 2003 auch die Konzern-Tochter Infowatch. Sie ist auf Lösungen spezialisiert, mit denen Unternehmen sich vor Daten-Leaks schützen können. Schon 2012 entwickelte sie Programme, die den eMail-Verkehr der Mitarbeiter auf firmeneigenen Rechnern sowie deren Telefonate mit bei Skype und ähnlichen VoIP-Anbietern überwachen und analysieren.

Chefin und Mehrheitsaktionärin ist Natalja Kasperskaja, eine der reichsten Business-Ladies in Russland. Ihr, sowie Ex-Gatten Jewgeni wird von Konkurrenten Nähe zu den Geheimdiensten vorgeworfen. Kritische Experten vermuten, Geheimdienste seien womöglich auch die eigentlichen Auftraggeber für die Handy-Überwachung.

Privatsphäre

Derzeit jedoch droht das Projekt an Russlands Verfassung zu scheitern. Post- und Telefongeheimnis sind durch Artikel 23 ausdrücklich geschützt. Zwar will die Duma das Gesetz über Marktmanipulationen durch Insiderwissen drastisch verschärfen. Doch noch ist unklar, ob Telekommunikationsanbieter auf Anfrage der Regulierungsbehörde Kundendaten herausgeben müssen. Zurzeit ist dies nur per Gerichtsbeschluss möglich.

Kasperskaja selbst sieht keinen Konflikt zum Grundgesetz: Aufzeichnung und Auswertung des Mobilfunkverkehrs würden maschinell erfolgen. Gegner indes halten bereits den Probebetrieb für gesetzwidrig.

Auch Mobilfunkanbieter sind alarmiert. Das System könne ohne deren Wissen installiert werden, sagt ein Mitarbeiter. Bei der Demonstration des Prototyps vor gut einem halben Jahr habe das funktioniert.

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Elke Windisch

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