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USA

US-Spionage enttarnt: Whistleblower droht Haft

Verglichen mit der Übergabe von mehr als 250.000 vertraulichen und geheimen Depeschen des US-Außenministeriums an die Whistleblower-Plattform WikiLeaks ist das, was Thomas Drake getan hat, eher unspektakulär: Der ehemalige NSA-Mitarbeiter hatte fünf Dokumente seines Arbeitgebers bei sich zu Hause im Keller aufbewahrt. Drei Dokumente hatte er an Ermittler des US-Verteidigungsministeriums übergeben, um die mutmaßliche Verschwendung von Steuergeldern zu belegen, die durch die Förderung eines Überwachungsprogramms namens Tailblazer entstand. Tatsächlich wurde das Programm 2006 eingestellt, nachdem es 1,2 Milliarden Dollar Haushaltsmittel erfolglos verbraucht hatte.

Ein weiteres Dokument wurde als „nur für den Dienstgebrauch“ eingeordnet, doch nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hätte es als „geheim“ eingestuft werden müssen. Und die Geheimhaltung des fünften Dokuments wurde drei Monate nach der Anklageerhebung gegen Drake aufgehoben. Außerdem hatte er mit einer Reporterin der Baltimore Sun gesprochen, die daraufhin eine preisgekrönte Enthüllungsserie veröffentlicht hatte. Jetzt drohen Drake 35 Jahre Haft, da er nach einem Spionagegesetz von 1917 derzeit als „Staatsfeind“ gilt.

Das und mehr enthüllt Jane Meyer in der aktuellen Ausgabe des New Yorker in einem spektakulären Feature über den Fall. Mitte Juni wird Thomas Drake sich vor Gericht verantworten müssen. Für den britischen Economist steht jetzt schon fest: „Mit der Geschichte ist etwas falsch.“ Tatsächlich steckt hinter dem Fall mehr: Die widerrechtliche Abhörpraxis der Bush-Regierung, die bis heute fortgesetzt wird.

Netzwerkanalyse in Echtzeit
Was Echelon für die 90er-Jahre war, war Thinthread für die 2000er-Jahre. Während die angelsächsischen Geheimdienste mit ihrem Satellitenüberwachungsprogramm Echelon Kommunikationsdaten aus aller Welt absaugten und an der Informationsflut zu ersticken drohten, schuf die NSA Ende der 90er-Jahre eine Art digitales Diätprogramm: Thinthread. Es bringt Finanzdaten, Reisedaten, Suchanfragen im Netz, GPS-Daten und Telekommunikationsverbindungsdaten per Netzwerkanalyse in einen sinnvollen Zusammenhang und kartiert die Verbindungen zwischen einzelnen Personen in Echtzeit. Überflüssige Informationen werden automatisch zur Seite geschoben, die Informationsflut gebändigt.

Eingesetzt wurde das 2001 fertig gestellte Programm vor dem 11. September nicht, da der damalige NSA-Chef Michael Hayden Skrupel hatte: Es überwachte nicht nur ausländische, sondern auch inländische Kommunikationen – und ein deshalb entwickeltes Anonymisierungstool schien ihm rechtlich zu heikel. Statt der hauseigenen Entwicklung wurde ein Projekt namens Trailblazer in Auftrag gegeben, das etwas mehr können sollte. 2006 wurde es eingestellt – nachdem Kosten in der Höhe von 1,2 Milliarden Euro aufgelaufen waren.

Rückendeckung aus dem Weißen Haus
Ob Thinthread zum Einsatz kam, ist nicht ganz klar. Gleichwohl kursierten schon wenige Wochen nach dem 11. September innerhalb der NSA Gerüchte, dass nun auch im Inland abgehört wurde – was einem Bruch des Foreign Intelligence Surveillance Act von 1978 gleichkam, der das Ausspähen amerikanischer Behörden verbot. Doch offenbar hatte es eine anders lautende Order aus dem Weißen Haus gegeben.

Laut Sicherheitsexpertin Susan Landau wurden 2003 an diversen Orten in den USA Geräte aufgestellt, die die in- und ausländische elektronische Kommunikation abfangen und kopieren konnten. Der ehemalige NSA-Mitrabeiter Bill Binney, der Thinthread entwickelt hatte, glaubt jedenfalls, dass die NSA alle E-Mails kopiert, um sie nach Bedarf mit einer Art Google-Suche auswerten zu können. Heute erzählt Thomas Drake, dass das Mantra damals war: „Her mit den Daten!“ Und dass seine NSA-Kollegen mit Telekommunikations- und Kreditkartenunternehmen entsprechende „Arrangements“ getroffen hatten. Die Kongressabgeordnete Diane Roark versuchte vergeblich als Mitglied der Aufsichtskommission für die Geheimdienste die Sache nach Hinweisen von Drake und seinen Kollegen aufzuklären. 2003 zog sie sich desillusioniert aus der Politik zurück.

Whistleblower enthüllen die Spitze des Eisbergs
2005 kam bereits ein Teil der Geschichte ans Licht: Ein Mitarbeiter des US-Justizministeriums namens Thomas Tamm hatte Reportern der Times gesteckt, dass US-Bürger weitflächig ohne richterliche Genehmigung von der NSA abgehört wurden. 2006 erklärte der ehemalige AT&T-Angestellte Mark Klein eidesstattlich, dass es in San Francisco einen geheim Raum gebe, in dem Narus-Computer den gesamten Internetverkehr von AT&T filterten und kopierten. Kurz darauf berichtete USA Today, dass nicht nur AT&T, sondern auch Verizon und BellSouth mit der Regierung kooperierten.

Die Bush-Regierung versicherte daraufhin, dass alles mit rechten Dingen zuginge. Aber dass man die Gesetzgebung den neuen Erfordernissen anpassen müsse. Das Einholen richterlicher Genehmigungen sei in Zeiten des Terrors zu zeitraubend. Überhaupt würden nur Gespräche erfasst, wenn ein Gesprächspartner sich außerhalb der USA aufhielte. Laut Drake eine glatte Lüge. Die abgehörten Telefonate seien nur die „Spitze des Eisbergs“ gewesen, im Kern sei es um die Datamining-Aktivitäten gegangen. Drake kontaktierte eine Reporterin der Baltimore Sun, um ihr Tipps über Tailblazer und Thinthread zu geben, die aus seiner Sicht nicht als vertraulich eingestuft waren. Dabei rechnete er maximal mit dem Verlust des Arbeitsplatzes.

Don’t shoot the Messenger
2007 führte das FBI mehrere Hausdurchsuchungen bei Rake und drei weiteren NSA-Mitarbeitern durch, die sich zuvor bei Ermittlern des US-Verteidigungsministeriums über Trailblazer beschwert hatten. Sie suchten die Quelle für die Times-Geschichte. Dabei erzählte Drake, dass er der Baltimore Sun einige Hinweise gegeben hatte. Danach stand die Anklage fest.

Thomas Tamm gab 2008 öffentlich zu, dass er gemeinsam mit einigen anderen hinter der Times-Story steckte. Doch eine Anklage wurde gegen ihn bis heute nicht erhoben, obwohl die Details, die durch ihn enthüllt wurden, sensibler waren. Mit dem Fall steht in den USA einiges auf dem Spiel: Würde Drake verurteilt, würden Whistleblower als Spione eingestuft – und mit ihnen letztlich auch die Journalisten, die von ihnen Dokumente erhalten. Die gesetzeswidrigen Entscheidungen der Bush-Regierung und die Kooperation der Telekommunikationsfirmen hingegen bliebe ungestraft.

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