Netzpolitik

Wenn Roboter Geld vernichten

Hochfrequenzhändler handeln mit ihren Algorithmen an 235 unterschiedlichen Handelsplätzen in 36 Ländern weltweit mit circa 12.000 verschiedenen Finanzinstrumenten. Und das praktisch 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche. Was dahinter steckt, hat sich der ehemalige EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser in seinem Buch "Die Geldroboter" näher angesehen. Der studierte Betriebswirtschafter hat sich investigativ in die Trader-Welt der Finanzmärkte vertieft. Die futurezone hat ihn zum Gespräch getroffen.

futurezone.at: Sie haben ein Buch über „Die Geldroboter“ geschrieben. Was kann man sich darunter vorstellen?
Martin Ehrenhauser: Das sind Unternehmen, die an hunderten Börsen weltweit mit ihren Algorithmen Tausende Finanzprodukte handeln und zwar extrem schnell. Man könnte sie mit Immobilienmaklern vergleichen, also mit Zwischenhändlern, die ohne Kundenauftrag innerhalb von Millisekunden Wohnungen handeln. Ihr Ziel ist der kurzfristige Gewinn, nicht die Wohnung.

Sie waren bis 2014 EU-Abgeordneter. Wie sind Sie da auf dieses Thema gestoßen?
Ich kenne Menschen, die selbst algorithmischen Computerhandel betreiben. Ihr Tun ist nicht zu vergleichen mit den Geldrobotern im Buch, aber so bekam ich den ersten Einblick. Ich begann selbst für Forschungszwecke zu handeln und traf mich mit Experten in ganz Europa. Und weil mich die Frage nach dem gesellschaftlichen Sinn mehr interessierte als die Geldvermehrung, wurde aus dem Projekt ein Buch und kein Finanzunternehmen.  

Wie viele Geldroboter gibt es am Markt derzeit und wie ist die aktuelle Entwicklung?
Studien zeigen, dass rund 90 Prozent des US-Aktienhandels automatisiert durchgeführt wird. Im Jahr 2003  waren es noch 15 Prozent. In Europa analysierte 2014 die EU-Finanzmarktaufsicht, dass 76 Prozent der automatisierten Handelsaufträge von Geldrobotern stammen. Fest steht, dass sie  einen großen Einfluss haben. 

Wo liegen die größten Probleme bei derartigen Maschinen-Transaktionen?
Durch die Automatisierung wurden alle Akteure zu einem komplexen Finanz-Cyberspace vernetzt. Darin hat sich das Handelsaufkommen und die Geschwindigkeit extrem erhöht. Kleinste Signale können zu Systemstörungen führen, die vielfältige Wirkungsketten zur Folge haben. Geldroboter lösen solche Systemstörungen oftmals aus, verstärken sie und verteilen sie blitzschnell über den Globus. Mit negativen Effekten für die Gesellschaft.

Welche Signale können zu Systemstörungen führen?
Das ist unterschiedlich. Manchmal reicht ein einziger Tweet. 2013 wurde das Twitter-Konto einer US-Nachrichtenagentur gehackt und fälschlicherweise die Meldung von zwei Explosionen im Weißen Haus verbreitet. Dem Twitter-Feed folgten Geldroboter und die Stichworte lösten innerhalb kürzester Zeit eine Unmenge an Verkaufsorders aus. Ein extremer Preissturz war die Konsequenz davon. Das nennt man „Flash Crash“.

Was war bisher der größte Flash Crash?
Der bekannteste Flash Crash fand am 6. Mai 2010 statt. Damals sank der S&P 500, der Leitindex der US-amerikanischen Aktienmärkte, innerhalb von sechs Minuten um fast sechs Prozent und erholte sich innerhalb von 20 Minuten großteils wieder. Eine Mitschuld an dem Ereignis wurde den Geldrobotern zugeschrieben. Aber Flash-Ereignisse, das zeigen Studien, sind inzwischen allgegenwärtig.

Wie reagieren börsennotierte Unternehmen auf die Geldroboter, wenn sie plötzlich von einer Sekunde auf die andere Milliardenverluste hinnehmen müssen?
Das Problem ist nicht nur, dass einzelne Unternehmen in Konkurs gehen können, sondern die allgemeine Produktion von Unsicherheit im System. Das führt nämlich dazu, dass Unternehmen nicht mehr in Projekte investieren die eine lange Planungszeit benötigen, etwa der Klimaschutz. Das wiederum hat gravierende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.

Wie ist es eigentlich möglich, dass Geldroboter auf dem Trading-Markt so agieren können – gab es da von Anfang an zu wenig Regulierung oder hat man die Gefahren, die davon ausgehen wie der Destabilisierung der Finanzmärkte, unterschätzt?
Am Beginn steht immer eine technische Innovation. Etwa der Computer. Wenige Akteure beginnen damit zu experimentieren. Sie haben Erfolg und weitere Händler kopieren ihre Methoden. So verbreitet sich die Technik und es entsteht etwas Neues, etwa der Finanz-Cyberspace. Bis dann die Bürokratie regulierend eingreift vergehen Jahrzehnte. Bei den Geldrobotern dauerte es rund dreißig Jahre. Erst Anfang 2018 trat eine dementsprechende EU-Richtlinie in Kraft.

Sind mit der neuen Richtlinie die Probleme gelöst?
Es gibt einzelne Fortschritte, ja. Systemisch betrachtet bleiben die wesentlichen Probleme aber aufrecht. Denn die entscheidende Frage wurde nicht beantwortet, nämlich, wie man ein komplexes System reguliert. Dafür gibt es unterschiedliche Ansätze. Etwa die Größe der Akteure, Stichwort Too-Big-To-Fail, die Geschwindigkeit im System und die Dezentralisierung, um Krisen auf regionaler Ebene zu begrenzen. Alle diese Ansätze wurden ignoriert.

Sind sie ein Skeptiker der Automatisierung, sie hat doch auch Vorteile?
Automatisierung betrachte ich grundsätzlich neutral. Ihr Wert ergibt sich erst aus der konkreten Anwendung. Wenn ich etwa Finanzspekulation, die schon zuvor schädlich für die Gesellschaft war, durch Automatisierung noch schneller und in einem noch größeren Umfang betreibe, dann wurde, um im Sprachbild zu bleiben, das wunderbare Potenzial der Technik im Finanzkasino verzockt.

 

Das Buch "Die Geldroboter. Wie Hochfrequenzmaschinen unser Erspartes einkassieren und Finanzmärkte destabilisieren" (240 S., Print: 17,90 Euro. ISBN: 978-3-85371-435-5) erschien im Promedia Verlag 2018.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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