Wikileaks und sein "Verräter"
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Am 18. Oktober soll es soweit sein. Dann will Wikileaks 392.000 Dokumente zum Irakkrieg veröffentlichen, die ein völlig anderes Bild auf die Geschehnisse des Konflikts werfen sollen. Aber massive interne Streitigkeiten könnten dieses Unterfangen verhindern.
Die Webseite hat sich in den vergangenen Jahren einen großen Ruf mit der Veröffentlichung von geheimen Aufzeichnungen erarbeitet. Bekannt wurden unter anderem die Aufnahmen von einem Angriff eines US-amerikanischen Hubschraubers auf irakische Zivilisten und die Sammlung von 76.911 Dokumenten über den Krieg in Afghanistan, die auf Wikileaks publiziert wurden.
Kritik am Führungsstil
In den letzten Wochen bekommen das Projekt und sein Gründer, der Australier Julian Assange, aber kräftigen Gegenwind zu spüren. Diverse Medien rund um den Globus, von der deutschen "FAZ" bis zum amerikanischen IT-Magazin "Wired", wetteifern mit Enthüllungen über die Enthüllungsseite. Im Fokus steht der Rücktritt des ehemaligen Sprechers von Wikileaks, des Deutschen Daniel Domscheit-Berg.
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"Wired" veröffentlichte ein Chatprotokoll zwischen Assange und Domscheit-Berg, indem von einem äußerst autoritären Führungsstil die Rede ist. In der ersten öffentlichen Stellungnahme zu seinem Rücktritt, für die Domscheit-Berg von der Webseite "Netzpolitik" interviewt wurde, ist hingegen von diesen Internas nichts zu lesen. Stattdessen erläutert der ehemalige Sprecher die Defizite bei Wikileaks, die ihn zu seinem Ausscheiden bewogen hätten: eine schwache Struktur, aufgrund derer viele Anfragen unbeantwortet blieben und die Konzentration auf Publicity-trächtige Coups, unter der die Aufbauarbeit der Seite zu leiden hätte.
"Microsoft-Lobbyistin"
Ganz ungeschoren kam Daniel Domscheit-Berg, der bis vor kurzem noch unter dem Pseudonym Daniel Schmitt für Wikileaks tätig war, aber mit seinem Austritt aus dem Projekt nicht davon. In der deutschen Zeitung "Der Westen" erschien ein wüst formulierter Artikel gegen ihn, der auch davon berichtete, Domscheit-Berg sei mit einer "Lobbyistin von Microsoft" verheiratet. Konstruiert wurde damit ein mögliches Engagement von Microsoft für Wikileaks. Domscheit-Berg hat den Text über ihn auf der Internetseite von "Der Westen" bereits dementiert und zurückgewiesen.
Die Medien bleiben aber am Ball. Offenbar mit großer (Schaden-)freude. Die "FAZ" berichtete schon von zwei Dutzend Aktivisten, die Wikileaks den Rücken kehren wollen. Dem derzeit negativen Image der Webseite tat auch der vor kurzem stattgefundene öffentliche Auftritt von Assange in London nicht gut, bei dem er alle Fragen zu den internen Streitigkeiten unbeantwortet ließ. Zudem läuft gegen Assange eine Ermittlung wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung von zwei Frauen.
Zurzeit ist Wikileaks jedenfalls offline und damit auch die zahlreichen Dokumente, die von den Kriegen der USA in Afghanistan und im Irak berichten. Vielleicht aber bereitet man auch nur den nächsten großen Coup vor - Mitte Oktober wird es sich herausstellen.
//Stefan Kraft//
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