© Jakob Steinschaden

Konferenz

Handy-Apps als große Hoffnungsträger

SMS, die für taube Menschen in Zeichensprache übersetzt werden (MMS Sign, Tunesien), eine Plattform, deren Berichte von Immigranten via Handy geschrieben, fotografiert und eingereicht werden
(Mobile Voices, Los Angeles) oder eine simple Möglichkeit für arme Bevölkerungsteile, via Mobiltelefon Bankgeschäfte zu erledigen
(Eko, Indien): Die Erwartungen an Handy-Apps und ihrem Beitrag zu Integration, sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Weiterentwicklung liegen hoch, wie auf der Konferenz "World Summit Award Mobile" (unterstützt vom österreichischen Wirtschaftsministerium) diese Woche in Abu Dhabi klar wurde. 40 Start-ups, die sich in einer Jury-Wertung gegen etwa 400 andere Einreichungen aus mehr als 100 Ländern durchsetzten, wurden mit dem "World Summit Award" - kein Geldpreis - ausgezeichnet.

Die Zeichen stehen klar auf "Mobile", wie James Poisant, Generalsekretär des IT-Konsortiums WITSA (World Information Technology and Services Alliance) verdeutlichte. Gegenüber jenen 26 Prozent der Weltbevölkerung, die das Internet nutzten, stünden 69 Prozent, die ein Handy haben. Genau für diese riesige Zielgruppe müsse man neue Applikationen anbieten, vor allem Banking- und Handel-Apps für ärmere Bevölkerungsteile im asiatischen Raum hätten enormes Potenzial. Das Rad müsse man nicht neu erfinden. "Man kann bestehende Dinge zu neuen Dingen kombinieren", so Poisant.

Bestseller-Autor Tomi Ahonen ("Mobile as 7th of the Mass Media") zufolge werde das Handygeschäft in zehn Jahren sechs Billionen Dollar schwer sein und damit etwa die Branchen Handel, Nahrung und Waffen übertreffen.


Digitale und sprachliche Kluft

"Handys können helfen, die digitale Kluft zu überbrücken", sagte der UNESCO-Direktor für Kommunikation und Information, Jenis Kerkins. "Leider ist das bis heute nicht der Fall." Deswegen sei es wichtig, vor allem im Bereich "eLearning" zu entwickeln, da so die geografische und soziale Isolation aufgebrochen werden könne. Apps seien dabei essenziell, immerhin hätten heute 59 Prozent der Menschen in Entwicklungsländern Mobiltelefone. So könne etwa "Text-to-Speech"-Software das Problem des Analphabetismus lindern.

Größtes Problem ist laut Kerkins die Dominanz von Englisch bei mobilem Content, 80 Prozent liege in der Sprache vor. Dem gegenüber zeigt eine OECD-Studie, dass 80 bis 90 Prozent der Inhalte in der lokalen Sprache konsumiert werden. Eines der ausgezeichneten WSA-mobile-Projekte, BBC Jalana (Bangladesch), nimmt sich dem Problem an und bietet 25 Millionen Nutzern direkt am Handy Englischkurse via günstiger SMS und Audio-Lektionen.

App oder nicht App?

Ob neue mobile Services als eigenständige Apps angeboten werden sollten, darüber herrschte Uneinigkeit. Gary Schwartz, Chef der kanadischen marketing-Firma Impact Mobile, argumentierte, dass für Werbezwecke SMS und mobiles Web besser seien als Apps oder Games. "Wenn man seine Kunden erreichen will, egal ob für erzieherische oder kommerzielle Gründe, muss man sie über diese Kanäle ansprechen", sagte Schwartz. Der Browser am Handy würde zudem öfter genutzt werden als eigenständige Mini-Programme, von denen der durschnittliche Nutzer nur fünf bis sieben regelmäßig verwende. Seine Zukunftsvision: "Apps werden in einer Super-App zusammenfließen: einem Browser."

Veranstalter Peter Bruck vom ICNM (International Center for New Media) in Salzburg hielt dem entgegen: "Geschlossene Apps sind gegenüber dem mobilen Web fokussierter und zeitsparender." Über die Qualität der ausgezeichneten Handy-Programme herrschte Uneinigkeit. "Die Klasse einer App steht im direkten Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt jenes Landes, aus der sie kommt", befindet einer der gekürten Entwickler. "Man muss immer berücksichtigen, unter welchen Umständen eine App entstanden ist."

Abu Dhabi als neues IT-Zentrum

Die Vereinigten Arabischen Emirate (derzeit auf Platz acht der führenden Breitband-Länder) waren bei der Finanzierung des Events maßgeblich beteiligt. Mehr als eine Million Dollar ließ sich der ölreiche Golfstaat die Veranstaltung kosten, die ironischerweise auch von jenen Herstellern gesponsert wurde, die in Sachen Apps den Marktführern hinterherhinken: Nokia und Microsoft. Auf der Suche nach alternativen Wirtschaftszweigen zum Ölgeschäft drängen die V.A.E. derzeit stark in den IT-Sektor. Vielleicht schon 2011 wird der WSA-mobile wieder in Abu Dhabi stattfindet - das Interesse der Regierung sei jedenfalls sehr groß, so Veranstalter Bruck.

"Es wäre kein Problem, fünf Millionen Dollar von einem Scheich zu bekommen, wenn man ihm die App schlau verkauft, inklusive großem Büro und nettem Dienstwagen", sagt ein Teilnehmer der Konferenz. "Sie haben hier viel aufgebaut, aber was fehlt, sind die Menschen."

Dass die V.A.E. tatsächlich zu einem Zentrum für Software-Entwicklung werden könnten, wirkt indes obskur. Noch während der Konferenz wurde bekannt, dass Wikileaks von staatlichen Behörden geblockt wird. Veranstalter Bruck sprach bereits beim Galadinner am Montag von "illegaler Transparenz", die Wikileaks schaffen würde. Außerdem ist seit Monaten bekannt, dass BlackBerry den V.A.E. bei deren Zensurbestrebungen entgegenkommen. Ob in einer solchen kontrollierten Atmosphäre eine blühende Software-Schmiede entstehen kann, ist mehr als fraglich.

Mehr vom WSA-mobile:

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(Jakob Steinschaden, Abu Dhabi)

Der "World Summit Award Mobile" fand das erste Mal statt und stand ganz im Zeichen von Handy-Apps. 40 Entwicklungen - vom Handy-Game "Angry Birds" bis zur eHealth-Lösung "EMMA" aus Österreich - wurden mit dem Award ausgezeichnet. Beim Event hatten ihre Entwickler die Möglichkeit, sich mit Branchenexperten auszutauschen und geschäftliche Kontakte zu knüpfen. In Zukunft soll der WSA-mobile als Alternative zum "Mobile World Congress", der jedes Jahr in Barcelona stattfindet, aufgebaut werden.

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