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Spieletest

In "Spec Ops: The Line" gibt es keine Helden

Dubai, Urlaubsparadies am persischen Golf, Sammelsurium der architektonischen Superlative und Symbol für den Versuch der Reichen, sich mit himmelshohen Hotels, künstlichen Inseln oder riesigen Aquarien Monumente zu errichten, die die menschliche Lebenszeit überdauern. In der Welt von Spec Ops: The Line (PS3, Xbox360, PC, ab 18 Jahren) holt sich die Wüste die Stadt zurück. Die Hauptstadt des gleichnamigen Emirats wird von einem gewaltigen Sandsturm getroffen. Die USA schicken die 33. Division, um bei der Evakuierung zu helfen. Die Evakuierung scheint zu scheitern, die 33. soll abziehen, verweigert aber den Befehl.

Sechs Monate ist es ruhig, bis ein kryptischer Funkspruch des Kommandanten der Division eingeht. Ein Dreier-Team der Delta Force, angeführt von Captain Walker, soll die Lage in der Geisterstadt erkunden, die Überlebenden finden und eine Evakurierung einleiten.

Willkommen in Dubai
Wenig überraschend schlüpft der Spieler in die Rolle von Captain Walker. Der Bilderbuch-Soldat und seine zwei Kameraden finden in Dubai nicht die Art von Überlebenden, die sie erwartet haben. Das Trio gerät in eine Art Bürgerkrieg, in dem die 33. gegen Rebellen kämpft und wird schnell selbst zur Zielscheibe.

Die Umgebung in Spec Ops: The Line ist spektakulär, auch wenn das Setting anfangs nicht so scheint. Dubai als Geisterstadt ist einfach unglaublich. Die Reste der Luxusstadt, teils zerstört, teils vom Sand begraben, laden zum Staunen ein. Die Entwickler wissen um die Stärke dieses Szenarios und haben Aussichtspunkte eingebaut, die einen Blick über das seltsam ruhige, harmonisch und fast schon romantisch wirkende, zerstörte Dubai ermöglichen.

Kaputte Häuser und Sand klingen nicht sehr abwechslungsreich, sind sie aber. Die Levels führen in Gebäude wie luxuriöse, verlassene Hotels, in Shopping-Malls, über die Dächer der Hochhäuser mit ihren ausgetrockneten Swimming-Pools, an gestrandeten Schiffen vorbei, in enge Gassen und in das riesige Aquarium. Mit viel Liebe zum Detail sind Überreste der Zivilisation verstreut, die die tote und verlassene Stadt auf eine eigenwillige Art lebendig erscheinen lassen. Schade, dass die streng-linearen Levels keinen Raum für Erkundungen lassen.

Hau die Wand, häng an der Ecke
Das Gameplay ist die größte Schwäche von Spec Ops: The Line. Es ist ein gewöhnlicher Deckungs-Shooter aus dem Third-Person-View. Mündet ein enger Gang in einen größeren Raum mit hüfthohen Objekten, weiß man, dass eine Schießerei folgt. Man geht in Deckung, schießt daraus hervor und wenn alle Gegner erledigt sind, geht es weiter.

Die zwei Teamkameraden schießen meistens auf die Gegner und ab und zu gegen die Wand. Man kann ihnen einen Befehl zum Angriff auf ein bestimmtes Ziel geben, wobei sie in etwa 50 Prozent der Fälle ihre Deckung verlassen und abgeschossen werden. Das Wiederbeleben ist meist nur schwer möglich, da das Sprinten zum gefallenen Kameraden oft an einer Ecke endet, an der man hängen bleibt. Auch das Weglaufen von Granaten endet so manchmal tödlich und sorgt für Frust. Das Überspringen einer Deckung ist ebenfalls schlecht gelöst. Anstatt auf der Sprint-Taste ist das Überspringen auf die Nahkampftaste gelegt. So haut man schon mal gegen die Wand anstatt darüber zu hechten und wird dabei von hinten abgeschossen.

Das Arsenal umfasst die üblichen, aktuellen Infanterie-Waffen, wie leichte Maschinengewehre, Granatwerfer, Pistolen und Sturmgewehre. Maximal zwei davon können mitgenommen werden, von den drei Granatentypen passen jeweils drei Stück in Walkers Arsenal. Nicht immer findet man Munition für die favorisierte Waffe, oft wird man gezwungen, aus Kugelmangel das Modell zu wechseln.

Levelvorhersage: Linear mit Chancen auf Sand
Die Umgebung ist zwar grandios, die Levels aber strikt linear. Zwar gibt es im Verlauf der Story minimale Entscheidungen zu fällen, diese beeinflussen aber die Handlung oder den Verlauf des Levels nicht. Das Flankieren der Feinde ist meist nur dann möglich, wen dies ein Missionsziel ist. Dabei sind die Kameraden unter Beschuss, man geht hinten rum, erledigt ein paar Feinde, übernimmt ein Geschütz und gibt damit den zwei Kollegen Deckung.

Das deutsche Entwicklerstudio Yager hat im Vorfeld angekündigt, dass Sand eine große Rolle im Gameplay spielen wird. Abgesehen davon, dass er überall ist, ist der Sand eher lieblos integriert. Zweimal gibt es einen Sandsturm, der die Sicht einschränkt und ab und zu schießt man auf Glas oder Wände, damit der durchbrechende Sand Gegner verschüttet. Auch in dieser Situation kriegt man gesagt, wann es jetzt Zeit ist, auf das Glas zu schießen und macht man es nicht, geht es nicht weiter im Level.

Granaten, die im Sand explodieren, nehmen Gegnern kurz die Sicht, aber wenn sie so nahe dran sind, sind sie meistens von der Explosion getroffen. Und für den Sichtraub gibt es ohnehin Blendgranaten

Apocalypse Now im Sandkasten
Was das eher mittelmäßige Gameplay nicht schafft, schafft die Story und Atmosphäre: Man will weiterspielen, man will wissen was passiert und wie es ausgeht. Yager hat viel Wert darauf gelegt die Charaktere menschlich zu machen. Und Teil des Menschen ist die Gewaltbereitschaft, das Treffen falscher Entscheidungen, Zweifel, Wut, Hass und Hoffnungslosigkeit. Captain Walker ist kein strahlender Held, niemand in Dubai ist ein Held. Im Krieg gibt es keine Saubermänner, nur Ausreden für das Töten.

Die Story und Charakterentwicklung sind vom Anti-Kriegs-Meisterwerk Apocalypse Now inspiriert und steigern sich zu einem unglaublich gelungen Ende, das einem großartigen Film entstammen könnte.

Dazwischen wird versucht mit der menschlichen Psyche zu spielen, wobei die Versuche teils plump sind. Plump, weil in den Schlüsselszenen der Spieler zum Zuschauer degradiert wird. Man betätigt zwar den Abzug, hat aber keine Wahl es nicht zu tun. Macht man es nicht, ist man selber tot. Deshalb ist es nicht von Erfolg gekrönt, wenn mit der Moralkeule versucht wird, dem Spieler im Nachhinein Schuldgefühle für seine Taten einzureden.

Abgesehen davon geht das Konzept auf. Zwar schreiben ein paar Medien, dass „dem Spieler das Töten schwer fallen soll", doch das ist nicht der Fall. Der happige Schwierigkeitsgrad lässt auch bei den normalen Szenen keine Wahl. Man muss den Feind töten, um nicht getötet zu werden, man hat keine andere Möglichkeit und auch keine Zeit, um darüber nachzudenken. Und das ist die Idee dahinter: Nicht der Spieler soll sich schlecht fühlen, dem Spieler soll vermittelt werden, dass sich der Protagonist, Captain Walker, schlecht fühlt, weil es für ihn keine andere Wahl gibt und das Kämpfen und Töten aus seiner Sicht die einzige Lösung ist.

Fazit
Als interaktiver Spielfilm ist Spec Ops: The Line genial. Als Shooter allerdings wenig berauschend. Auch der lieblose Multiplayer-Modus kann daran nicht wirklich was ändern. Der einzige Grund, das Spiel nach den gut sieben Stunden Spielzeit noch einmal zu spielen, ist, um gewisse Szenen nach dem enthüllenden Ende in einem anderen Licht zu sehen.

Wem Apocalypse Now, Antikriegs-Filme oder einfach nur die künstlerische Darstellung der Abgründe der menschlichen Psyche gefallen, kann sich auch mit dem mäßigen Gameplay von Spec Ops arrangieren. Das versandete Dubai und der gute Soundtrack tragen maßgeblich zur dichten Atmosphäre bei. Spec Ops: The Line ist ein Beispiel dafür, dass trotz populärer Shooterserien wie Call of Duty immer noch Umgebungen und Szenarien geschaffen werden können, die mehr als einfach nur ein Korridor mit verschieden farbigen Texturen sind, die Russland, ein U-Boot oder das weiße Haus darstellen sollen.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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Gregor Gruber

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