© futurezone/Thomas Prenner

Smartphone

Lumia 820 im Test: Nokias "Monster"

Nokia scheint in den vergangenen Jahren einen Hang

seiner Lumia-Smartphones entwickelt zu haben. Besonders die Mittelklasse-Modelle fielen in den vergangenen zwei Jahren eher weniger durch technische Neuerungen als schrille Farben auf. Diesen Trend hat der finnische Handy-Hersteller auch beim "kleinen Bruder"
fortgesetzt. Optisch hat das bunte Lumia 820 mit Wechselcover aus dem 3D-Drucker nur wenig mit dem umstrittenen Flaggschiff zu tun, doch in seinem Inneren verrichtet nahezu die idente Hardware ihr Werk. Ob das im Wettbewerb mit
, Apple und
reichen wird, lesen Sie im futurezone-Test.

Design und Haptik - Nicht wertig, aber flexibel
Die wohl unwichtigste Eigenschaft sticht beim Lumia 820 sofort ins Auge: die Farbgestaltung. Das Smartphone kommt in insgesamt sieben verschiedenen Farbvarianten (Gelb, Rot, Grau, Cyan, Violett, Weiß und Schwarz) auf den Markt und mit Ausnahme von Schwarz und Weiß kann keine wirklich als dezent bezeichnet werden. Das von der futurezone getestete Modell in Rot zog mehr als nur einmal an öffentlichen Plätzen eher skeptische Blicke auf sich, die knallige Farbgebung ist durchaus gewöhnungsbedürftig. Doch da Nokia hier ausreichend Auswahl bietet, darf das breite Farb-Portfolio durchaus positiv erwähnt werden. Mit Schwarz, Weiß und Grau gibt es auch dezentere Varianten zur Auswahl.

Bei der Verarbeitung muss Nokia jedoch Kritik einstecken. Der Gehäusedeckel ist zwar steif und liegt gut in der Hand, fühlt sich aber dennoch nicht wirklich nach einem hochpreisigen Smartphone an. Die gute Haptik kann auch nicht über die glatte Oberfläche, die sehr rutschig und ein Magnet für Fingerabdrücke ist, hinwegtäuschen. Das Abnehmen des Deckels gestaltet sich eher mühsam, auch wenn allein die Möglichkeit dazu bereits ein seltener Luxus für Windows Phones ist. Die sonstige Verarbeitung des Lumia 820 ist gut gelungen, wenn auch die Anordnung des Power-Buttons mittig auf der rechten Seite oft für Verwirrung sorgt, da er sich direkt unter der Lautstärkewippe befindet und daher leicht verwechselt werden kann. Das dritte Bedienelement, der Auslöser für die Kamera-App, findet sich rechts unten.

Wem sein Gehäuse nicht zusagt und wer einen 3D-Drucker sein Eigen nennt, kann sich theoretisch sogar selbst eine neue Hülle ausdrucken. Nokia hat vor wenigen Wochen 3D-Modelle im STEP-Format sowie STL-Dateien des Lumia 820-Gehäuses veröffentlicht, die der DIY-Community zur Verfügung gestellt werden. Bei ersten Testdrucken hat sich allerdings ergeben, dass die Hülle in Rohform alles andere als perfekt und durch zu geringe Wanddicken anfällig für Brüche ist. Makerbot hat auf seiner 3D-Teile-Plattform Thingiverse eine angepasste Version veröffentlicht, die jedoch deutlich größer als das Original-Gehäuse ist und so das ohnehin recht große Smartphone unnötig verbreitert. Dennoch ist die Initative von Nokia lobenswert und motiviert womöglich andere Unternehmen, 3D-Modelle von Ersatzteilen zur Verfügung zu stellen.

Bei der Form des Gehäuses ist Nokia nur leicht von der üblichen Design-Richtlinie abgewichen und hat das Lumia 820 deutlich runder als andere Modelle, wie zum Beispiel das Lumia 920 oder das HTC 8X, gestaltet. Das trägt jedoch vor allem zu einer ungemein angenehmen Haptik des Smartphones bei, mit seiner Bildschirmgröße von 4,3 Zoll ist es ideal mit nur einer Hand bedienbar. Ungewöhnlich für ein Gerät dieser Größe ist jedoch das Gewicht. 160 Gramm bringt das Lumia 820 auf die Waage, knapp 30 Gramm mehr als das HTC 8X, das ebenso einen 4,3 Zoll großen Bildschirm besitzt. Mit seinem Gewicht liegt es zwar in einem grenzwertigen Bereich, im Gegensatz zum Nokia Lumia 920 (185 Gramm) ist es allerdings beim längeren Telefonieren noch verschmerzbar.

Display
Eine Bildschirmdiagonale von 4,3 Zoll wird nicht ohne Grund in vielen Studien als "Sweet Spot", die sogenannte "optimale" Größe zur Bedienung, bezeichnet. Das ist auch beim Lumia 820 trotz unwesentlich größerem Gehäuse der Fall. Neben der Haptik überzeugt das Display auch ob seiner Größe und dem Bildschirmverhältnis von 5:3. Lediglich bei der Auflösung hat Nokia etwas geknausert, vor allem um ein Unterscheidungsmerkmal zum Spitzenmodell Lumia 920 zu haben, das mit einem 720p-Display ausgestattet ist. Der AMOLED-Bildschirm löst mit 800 mal 480 Pixel (WVGA) auf und hat damit eine Pixeldichte von 216 ppi. Für ein Smartphone dieser Preisklasse ist das recht mager, allerdings fällt es erstaunlicherweise nicht wirklich auf.

Da sehr viele Teile der Windows-Phone-8-Oberfläche einfärbige Kacheln sind, ist kaum Stufenbildung an den einzelnen Objekten zu bemerken. Lediglich die Profilbilder von Kontakten lassen etwas zu wünschen übrig, sind aber in kleiner Widget-Form fast genauso ansehnlich wie auf einem 720p-Bildschirm. Die AMOLED-Technologie im Lumia 820 überrascht zudem: Während die Schwarzwerte des Lumia 920 trotz ClearBlack-Technologie noch enttäuschten, fallen diese beim Lumia 820 positiv auf, vor allem die guten Kontrastwerte können überzeugen.

Hardware
Trotz der mageren Auflösung des Bildschrims ist die Hardware-Ausstattung des Lumia 820 sehr gut. So kommt beispielsweise der selbe Prozessor wie im Lumia 920 zum Einsatz und sorgt so für ein ruckelfreies Windows-Phone-8-Erlebnis. Lediglich der interne Speicher wurde auf acht Gigabyte reduziert, als Ausgleich kann dieser allerdings über einen microSD-Kartenslot beliebig erweitert werden. Das bringt auch den Vorteil mit sich, dass die microSD-Karte als Massenspeicher über USB an den PC angeschlossen werden kann.

Bei der Wiedergabe von HD-Inhalten gibt sich das Lumia 820 keine Blöße, auch wenn diese durch die niedrige Bildschirmauflösung nicht in voller Qualität wiedergegeben werden können. Grafisch anspruchsvolle Spiele für Windows Phone 8 sind derzeit noch rar, allerdings kann von der hohen Performance auch im Alltags-Betrieb profitiert werden. So verlief der rasche Wechsel zwischen mehreren Apps reibungslos, der Taskmanager zeigte auch bei vielen parallelen Aufgaben (Karten-Download bei Nokia Maps, Musik-Streaming, Browser-Benchmark Sunspider) keine Ruckler.

Kamera
Nokias PureView-Technologie hat ihren Weg nicht auf das Lumia 820 gefunden, die Kamera verrichtete im Test dennoch ihre Arbeit ordentlich, wenn auch zu langsam. Sie nimmt Bilder mit einer Auflösung von maximal acht Megapixeln auf (3264 mal 2448 Bildpunkte, Bildverhältnis 4:3) und kann auf eine Carl-Zeiss-Optik mit einer Lichtstärke von f2,2 zurückgreifen. Das sorgt für durchaus gute Ergebnisse, allerdings ist beim Lumia 820 die Belichtungszeit oft zu hoch - ein Problem, mit dem auch das Lumia 920 zu kämpfen hat. So sind Aufnahmen von Motiven in Bewegung oft unscharf. Aufnahmen unter lichtschwachen Bedingungen profitieren jedoch von der hohen Belichtungszeit und ähneln denen des Lumia 920, neigen aber zu einem etwas stärkeren Bildrauschen.

Die Kamera-App von Microsoft lässt nach wie vor zu wünschen übrig, vor allem die komplizierte Handhabung sorgt des öfteren für Frustmomente. Der manuelle Fokus auf ein Objekt, auf iOS und Android längst Standard, ist in Windows Phone 8 nach wie vor nicht möglich. So muss das Motiv, auf das die Kamera fokussieren soll, stets in der Mitte sein. Im Test setzte die App gelegentlich aber auch recht wahllose Fokuspunkte und zerstörte so gut gelungene Motive. Für lichtarme Umgebungen hat Nokia einen Dual-LED-Blitz verbaut.

Die Videoaufnahme ist ebenso solide, dank ausreichend guter Ausstattung können Videos mit 1080p bei 30 Bildern pro Sekunde aufgenommen werden. Ein Bildstabilisator soll dabei für ein ruhigeres Bild sorgen, im Test waren jedoch kaum Unterschiede zu sehen. Eine Frontkamera für Videotelefonie ist ebenso verbaut, diese löst allerdings lediglich mit VGA (640 mal 480 Bildpunkte) auf und ist daher nur für einfache Aufgaben geeignet.

Software
Nokia hat sich bei der Software des Lumia 820 dezent zurückgehalten und

vorgenommen. Einige kleine Funktionen wurden hinzugefügt, zum Beispiel das manuelle Erhöhen der Touchscreen-Sensibilität, wodurch das Smartphone auch im Winter mit Handschuhen verwendet werden kann. Aber auch das Software-Paket von Nokia kann überzeugen. Insbesondere Nokia Music stellt eine gute und kostenfreie Alternative zu Spotify dar, das 
 anbot. Das Konzept von Nokia Music ist allerdings etwas anders und vergleichbar mit dem US-Dienst Pandora.

Zur Wiedergabe wird eine vorgefertigte Playlist zu einem gewissen Genre oder Künstler ausgewählt, der Dienst fertigt daraufhin Musik-Vorschläge an, die der Nutzer allerdings nur überspringen kann. Einzelne Titel lassen sich nicht zur Wiedergabe auswählen. Auch das Überspringen von Titeln ist auf eine gewisse Zahl pro Stunde limitiert, das lässt sich jedoch mit der Music+ Flatrate um 3,99 Euro pro Monat umgehen. Trotz dieses zu Anfang etwas gewöhnungsbedürftigen Konzepts ist der Dienst vor allem für Musik-Fans geeignet, die neue Bands entdecken wollen und nicht eigene Playlists zusammenstellen wollen. Als Alternative dazu ist auch Xbox Music installiert, das für zehn Euro im Monat Musik-Streaming anbietet. Der Musik-Katalog ist teilweise sogar umfangreicher als der von Spotify, allerdings fehlen im Alltag die Sharing-Funktionen von Spotify, das sich nahtlos in Facebook integriert und das Teilen von Playlists deutlich einfacher ermöglicht.

Auch Nokia Maps, die Standard-Karten-App von Windows Phone 8, erwies sich zeitweise sogar als intuitiver zu bedienen als Google Maps auf Android, lediglich die POI-Datenbank wies des öfteren Lücken auf. Eine etwas banale Funktion fehlte allerdings im ansonsten gut ausgestatteten Softwarepaket von Nokia: ein Wetter-Widget. Sowohl HTC als auch Samsung bieten diese einfache Funktion bereits vorinstalliert an und zeigen die aktuellsten Daten hübsch aufbereitet auf dem Lockscreen an. Abhilfe schafft das offizielle Wetter-Widget von Microsoft, das ebenfalls auf die Daten von AccuWeather zugreift und seine Arbeit gut verrichtet.

Laufzeit - die Achillesferse
Die Akkulaufzeit der bislang von der futurezone getesteten Windows Phones (HTC 8X, Samsung ATIV S, Nokia Lumia 920) war eigentlich stets eine Stärke des Microsoft-Betriebssystems. Doch das Nokia Lumia 820 wies gerade in diesem Punkt eklatante Schwächen auf. Der Akku war bei herkömmlicher Nutzung bereits nach nur zwölf Stunden fast leer, alle anderen Modelle kamen bislang mit einer Akkuladung ohne Probleme zumindest einen vollen Tag aus. Ein Trost ist jedoch, dass der 1.650 mAh-Akku tauschbar ist und somit im Notfall gewechselt werden kann.

Fazit
Das Nokia Lumia 820 lässt sich ohne Zweifel als "Mittelklasse"-Smartphone bezeichnen - und das war wohl auch Nokias Absicht, wenn auch nicht in dieser Form. Die Herangehensweise des finnischen Konzerns bei der Entwicklung des Smartphones ist sehr fragwürdig. Teilweise fühlt man sich an "Frankensteins Monster" erinnert: Man nehme das Flaggschiff Lumia 920 und das Einsteigermodell Lumia 620 und forme beliebige Bauteile der beiden Geräte zu einer Einheit - fertig ist das Lumia 820. Ein derart missglücktes Experiment wie Frankensteins Monster ist das Nokia Lumia 820 zum Glück nicht, einige Punkten wie die niedrige Auflösung des Bildschirms sowie der schwächelnde Akku sind aber für ein Smartphone dieser Preisklasse zu wenig. Zu einem günstigeren Preis würde das Lumia 820 aber eine durchaus interessante Alternative zum Lumia 620 darstellen, das sich mit abgespeckter Ausstattung und kleinerem Bildschirm wohl eher an Einsteiger richten dürfte. Für den Preis von rund 450 Euro darf man aber bereits jetzt das HTC-Flaggschiff 8X ins Auge fassen, das dank 720p-Display und schlanken Design ein deutlich besseres Gesamtpaket bietet.

Mehr zum Thema

  • Hands-on mit Huaweis Windows Phone Ascend W1
  • Samsung ATIV S im Test: Braves Windows Phone
  • Nokia Lumia 920 im Test: Nachtaktiver Klotz
  • HTC 8X im Test: Windows Phone mit Kanten
  • Windows Phone 8: Gelungene Alternative zu Apple

Modell:
Nokia Lumia 820
Display:
4,3 Zoll AMOLED-Bildschirm - 800 x 480 Pixel (WVGA, 5:3)
Prozessor:
1,5 GHz Dualco(Qualcomm MSM8960 Snapdragon)
RAM:
1 GB
Speicher:
8 GB intern, über microSD-Kartenslot um bis zu 32 GB erweiterbar
Betriebssystem:
Windows Phone 8
Anschlüsse/Extras:
Micro-USB, 3,5mm Klinke, WLAN (a/b/g/n), Bluetooth 3.1
Akku:
1.650 mAh
Kamera:
8 Megapixel mit Doppel-LED-Blitz (Hauptkamera), 0,3 Megapixel (Frontkamera, 640x480 Pixel)
Videos:
Aufnahme in 1080p bei 30 fps möglich
Maße:
123,8 x 68,5 x 9,9 mm, 160 Gramm
Preis:
499 Euro UVP (Straßenpreis: ab 430 Euro)

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

mehr lesen
Michael Leitner

Kommentare