Wie funktioniert eine Atomuhr?
Forscher*innen der TU Wien gelang der große Durchbruch: Sie legten den Grundstein für eine bessere und genauere Zeitmessung. Das könnte Atomuhren revolutionieren und damit neue Möglichkeiten eröffnen, vom autonomen Fahren bis zum Suchen von Bodenschätzen. Wir erklären, wie das funktioniert.
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Wie misst man eine Sekunde?
Die Sekunde ist unsere kleinste Zeiteinheit. Um sie zu messen, braucht es einen Takt, der immer gleich ist. In einer normalen, mechanischen Uhr gibt ihn ein Pendel oder eine Feder vor. „Jede Uhr braucht 2 Komponenten: eine Resonanz und eine Anregung“, erklärt der Physiker Thorsten Schumm von der TU Wien. Die Resonanz ist die Schwingung eines bestimmten Körpers, wenn er angeregt wird, etwa durch Strom.
Die Anzahl der Schwingungen bestimmt die Sekunde. Je häufiger etwas schwingt, desto genauer ist die Messung. Bei einer normalen mechanischen Armbanduhr sind das bis zu 5 Hz, also 5 Schwingungen pro Sekunde.
Wie arbeitet eine Atomuhr?
Das gleiche Prinzip kommt in der Atomuhr zum Tragen. Statt Feder oder Pendel werden aber Atome verwendet. Aktuell sind Cäsium-Atome der Standard. Das hat vor allem historische Gründe, erklärt Schumm. Das Metall verdampft bereits bei 300 bis 500 Grad Celsius, für den Einsatz in der Atomuhr muss es gasförmig vorliegen.
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Die Elektronen in der Elektronenhülle um das Cäsium-Atom schwingen nur bei einer ganz bestimmten Frequenz. Mit „Schwingen“ ist ein Phasenübergang von einem niedrigen zu einem hohen energetischen Zustand gemeint. Nur wenn die Elektronen in der exakt richtigen Frequenz mit elektromagnetischer Energie bestrahlt werden, wird dieser Phasenübergang erzeugt. Bei Cäsium-Atomuhren liegt diese Frequenz bei 9.192.631.770 Hz, also Schwingungen pro Sekunde. Das ist die aktuell gültige Definition einer Sekunde.
Das Besondere an einer Atomuhr ist, dass die verwendeten Elemente nach aktuellem Stand überall im Universum gleich funktionieren. Deswegen lassen sich Atomuhren auf der Erde und im All verwenden, um eine gemeinsame, international gültige physikalische Größe zu beschreiben. Diese Eigenschaft beeinflusst auch den sogenannten Gütefaktor der Frequenz. Je höher er ist, desto höher ist auch die Genauigkeit der Atomuhr. „Atome sind unglaublich gute Schwinger. Nichts Menschgemachtes hat so einen hohen Gütefaktor“, beschreibt es Schumm.
Die aktuell genaueste Atomuhr der Welt nutzt statt Cäsium Strontium. Allerdings musste man sich bei der Definition, wie lange eine Sekunde dauert, auf eine international gültige physikalische Größe einigen, weshalb man beim veralteten Cäsium blieb. Laut Schumm soll es bis 2030 eine Neudefinition der Sekunde geben.
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Wie findet man die richtige Frequenz?
Das ist die große Herausforderung bei der Forschung an besseren Atomuhren. Die richtige Frequenz für den Phasenübergang lässt sich nur durch Ausprobieren finden. „Wir haben monatelang an den Atomen ‚gewackelt‘, um die eine Frequenz und damit die Nadel im Heuhaufen zu finden“, sagt Schumm.
Deswegen hat die TU Wien mit der Entdeckung des Thorium-Übergangs einen so großen Durchbruch geschafft. Er liegt bei 2.020.409.000.000.000 Hz. Nun, da die Frequenz einmal gefunden ist, macht sie weitere Forschung, z. B. die Entwicklung von Atomkernuhren, überhaupt möglich.
Was unterscheidet eine Atomuhr von einer Atomkernuhr?
Eine Atomuhr nutzt die Elektronen in der Elektronenhülle um den Atomkern. Die sind aber nicht geschützt und daher anfälliger für äußere Einflüsse wie Gravitations- und Magnetfelder. Die Uhren stehen daher im Labor, magnetfeldabgeschirmt und schwingungsgedämpft. Sie transportabel oder fit für einen Raketenstart zu machen, ohne Genauigkeit einzubüßen, ist aktuell nicht möglich.
Bei der Atomkernuhr werden die Neutronen im Atomkern angeregt. Sie sind besser geschützt als die Elektronen außerhalb. Das macht sie robust und ermöglicht den Einsatz außerhalb von Laborbedingungen.
Wofür braucht man das außerhalb der Forschung?
Die bekannteste Anwendung von Atomuhren ist die Satellitennavigation. Die europäischen Galileo-Satelliten arbeiten etwa mit Wasserstoff-Atomuhren. Sie erzeugen eine Frequenz von 1,420 Gigahertz, also 1.420.000.000 Hz. „Je genauer die Zeitmessung ist, desto genauer ist die Positionsbestimmung“, erklärt Schumm. Aktuell ist das im Meterbereich möglich, für autonomes Fahren sind aber Genauigkeiten im Zentimeter- oder Millimeterbereich das Ziel, sagt Schumm.
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Auch das Gravitationsfeld der Erde lässt sich messen. Atomkernuhren sind nämlich so genau, dass sie den Einfluss der Gravitation auf der Raumzeit messen können. Laut Relativitätstheorie verläuft die Zeit in einem stärkeren Gravitationsfeld nämlich langsamer als in einem schwächeren. Die Gravitation beeinflusst hier nicht die Funktionsweise der Uhren, sondern die Raumzeit direkt.
Damit lassen sich Bodenschätze wie Öl oder Erze finden. Ihre Dichte erzeugt winzigste Veränderung der Schwerkraft, die mit einer hochpräzisen Atomkernuhr gemessen werden kann, wenn sie sich direkt darüber befindet.
Nutzt man 2 Atomkernuhren und bewegt eine davon über einen Bodenschatz, gibt die Abweichung zwischen den beiden Messungen Aufschluss darüber, was unter der Erde liegt. Das gleiche Prinzip lässt sich auch für die Berechnung von Erdbebenwahrscheinlichkeiten nutzen, da die Reibung im Erdinneren für Veränderungen des Gravitationsfelds sorgt.
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