Warum dreht sich die Erde schneller und wie ändert es die Zeit?
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2020 war ein besonderes Jahr und scheinbar wollte auch die Erde, dass es besonders rasch vorbei geht. So hat sich unser Planet schneller gedreht als sonst, dadurch wurden die Tage minimal kürzer (die futurezone berichtete).
Das könnte nun zu einem einzigartigen Phänomen führen: Man könnte von unserer jetzigen Uhrzeit eine Sekunde abziehen. Bislang war es immer nur notwendig, eine Schaltsekunde hinzuzufügen, da sich die Erdrotation in der Vergangenheit immer verlangsamt und nicht beschleunigt hat.
24 Stunden sind ein Mittelwert
Dass die Erde nicht immer wirkliche 24 Stunden braucht, bis sie sich einmal um sich selbst gedreht hat, ist normal. Das ist nur ein Mittelwert, der auf astronomischen Messungen und später Atomuhren basiert. Die verhältnismäßig rasante Beschleunigung, die 2020 gemessen wurde, bezieht sich vor allem auf die moderne Zeitmessung, also seit in den 1950er-Jahren die Atomuhr erfunden wurde.
"Je weiter man in der Zeit zurückgeht, umso rascher rotierte die Erde. Damals war es zwar nicht möglich, die Erddrehung direkt zu beobachten. Man kann allerdings aus der Beobachtung der Mondbahn auf die Drehgeschwindigkeit der Erde schließen", erklärt Wolfgang Dick vom Deutschen Bundesamt für Kartografie und Geodäsie im Gespräch mit der futurezone.
Zeitmessung
UT1 (Universal Time, Universalzeit)
Die Universalzeit wird ständig anhand der Erdrotation und dem Drehwinkel der Erde gemessen. Sie gibt immer die exakte Zeit wieder, die die Erde für eine Rotation braucht. Daher hat hier ein Tag mal mehr und mal weniger als 24 Stunden.
TAI (Temps Atomique International, Internationale Atomzeit)
Die Internationale Atomzeit wird von den Atomuhren produziert. Sie wurde 1958 mit der Universalzeit abgeglichen, seither geht sie 37 Sekunden voraus. Sie dient zur exakten Bemessung von Zeiteinheiten, etwa für physikalische Experimente. Bestimmt wird die TAI vom Bureau International des Poids et Mesures (BIPM) in Paris.
UTC (Coordinated Universal Time, Koordinierte Weltzeit)
Die UTC, ist die Uhrzeit, nach der wir uns richten. Sie wird aus der TAI, einem Mittelwert aller weltweit laufenden Atomuhren, ermittelt. Alle paar Jahre wird die UTC an die UT1 angeglichen, indem eine Schaltsekunde eingefügt wird.
NTP (Network Time Protocol)
NTP-Zeitserver, z.B. pool.ntp.org, liefern die aktuelle UTC an technische Geräte aus, etwa Computer oder Smartphones. Alle Geräte haben eine Uhr, die mit diesem Server synchronisiert werden, damit sie funktionieren. Die NTP-Zeitserver beziehen die Zeit von Atomuhren wie der des BEV in Wien.
Wie unsere Zeit entsteht
Was wir auf Computer, Smartphone und Armbanduhr sehen, ist die Koordinierte Weltzeit (UTC). Sie richtet sich nach 2 Werten: Der Universalzeit (UT1) und der Internationalen Atomzeit (TAI). Die Universalzeit spiegelt die Erdrotation wider.
Die TAI wird von Atomuhren bestimmt und ist unabhängig von der Erdrotation. Was sie wiedergeben, wurde 1967 als SI-Sekunde definiert, eine von 7 Basiseinheiten neben Meter und Kilogramm, die immer die gleiche Größe haben. Da wir wissen, dass sich die Erde zunehmend ausbremst, geht die TAI derzeit 37 Sekunden voraus.
Unsere Weltzeit wird vom Bureau International des Poids et Mesures (BIPM) als ein Mittelwert von mehr als 450 Atomuhren an über 70 Standorten weltweit ermittelt. Auch in Wien. Dort ist Anton Nießner einer von 2 Mitarbeitern, die sich am Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV) um die 2 Atomuhren kümmern. Diese müssen regelmäßig von ihm kontrolliert und gegebenenfalls nachjustiert werden. Das BEV stellt die gesetzlich verbindliche Zeitskala für Österreich (Österreichische Normalzeit) dar.
Erdrotation ausgleichen
Wenn unsere Weltzeit um mehr als 0,9 Sekunden von der Universalzeit abweichen könnte, wird eine Schaltsekunde eingefügt. Name und Prinzip stammen vom Schaltjahr ab. Die Schaltsekunde wird eingefügt, um die Differenz zur Erdrotation auszugleichen.
"Das passiert in der Regel alle 2-3 Jahre. Ein halbes Jahr vorher wird man darüber informiert. Die Umstellung erfolgt überall gleichzeitig, in Österreich am 1. Juli um 2 Uhr oder 1. Jänner um 1 Uhr", erklärt Nießner im Gespräch mit der futurezone.
Negative Schaltsekunde
Dafür muss er keinen Knopf oder Schalter an den Atomuhren umlegen, das wird vorprogrammiert und passiert ganz automatisch. Die letzte Schaltsekunde wurde am 1. Jänner 2017 hinzugefügt, seit der Einführung am 1. Juli 1972 war es die 27. Sekunde.
Möglicherweise könnte es aber bald eine Premiere geben: "Wenn sich die Erde weiter schneller dreht, könnte man eine negative Schaltsekunde einfügen. Das hat es bisher noch nie gegeben", sagt Nießner. Laut Wolfgang Dick wäre das frühestens in einigen Jahren notwendig und bliebe eine Ausnahme.
Schaltstunde in Zehntausend Jahren
Die Schaltsekunde selbst wird seit Jahren diskutiert. "Sie wird im Telekommunikationswesen nicht gern gesehen, weil es plötzlich eine Minute mit 61 Sekunden gibt. Solche Diskontinuitäten sind für technische Systeme unpraktisch. Derzeit stehen die Zeichen daher sehr in die Richtung, das Konstrukt wieder aufzugeben", so Nießner über die Zukunft der UTC.
Teil der Arbeit des BEV ist es, die Österreichische Normalzeit über Zeitserver etwa für Computer bereitzustellen. Das nennt sich Network Time Protocol (NTP). Wer seinen Rechner mit dieser Zeit synchronisieren möchte, kann einen von 3 NTP-Servern dafür nutzen (z.B. "bevtime2.metrologie.at"). Um zu verhindern, dass einige Systeme möglicherweise Probleme mit einer Schaltsekunde haben, könnte daher stattdessen eine Schaltstunde eingeführt werden.
"Man würde die Zeitskalen so lange auseinanderlaufen lassen, bis eine Schaltstunde zusammenkommt. Das würde Zehntausend Jahre dauern", so Nießner. Dadurch würde unsere Uhrzeit aber nicht weniger genau. Entschieden wird das möglicherweise 2023, wenn die nächste Weltkonferenz der Internationalen Telekommunikationsunion stattfindet, um unter anderem über die Zukunft unserer Koordinierten Weltzeit zu sprechen.
Erddrehung bestimmt Universalzeit
Wann eine Schaltsekunde hinzugefügt oder eben abgezogen wird, bestimmt der Internationale Dienst für Erdrotation und Referenzsysteme (IERS). Dessen Aufgabe ist es unter anderem, die Erdrotationsdauer zu messen und die Daten öffentlich zur Verfügung zu stellen.
Genutzt werden dafür unter anderem Laser- und Mikrowellenstrahlen, Radioteleskope und Erdsatelliten. Daraus wird dann die Universalzeit (UT1) ermittelt, an die unsere Weltzeit angepasst wird.
Mond bremst die Erde aus
Grund für die sich ändernde Rotationsgeschwindigkeit der Erde ist der Mond. Da Mond und Erde über die Gravitation verbunden sind, stehen die Bewegungen beider Himmelskörper in engem Zusammenhang. „Der Mond bremst langfristig mit den Meeresgezeiten die Erddrehung ab“, erklärt Dick, der Mitglied des Zentralbüros des IERS ist. Tatsächlich werden deshalb alle 100 Jahre die Tage in Schnitt um ungefähr 0,002 Sekunden länger.
Erst Mantel, dann Kern
Ist die Beschleunigung im vergangenen Jahr, die vermutlich auch in diesem Jahr weiter gehen wird, daher Grund zur Sorge? Nein, sagt der Wissenschaftler. Die Abbremsung der Erde läuft nicht gleichmäßig ab. Das liege daran, dass der innere Erdkern und äußere Erdmantel mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten rotieren. Der Mond bremst zuerst den Mantel aus.
Der Erdkern rotiert dann schneller weiter. Kern und Mantel sind aber unter anderem über Magnetfelder verbunden. Das führt dazu, dass der Kern den Mantel nach einiger Zeit wieder beschleunigt, bevor dieser erneut vom Mond gebremst wird. Langfristig wird durch die gegenseitige Beeinflussung natürlich auch der Kern langsamer. Alle 60 bis 80 Jahre gibt es aber eine größere Schwankung.
Beschleunigung hält an
Derzeit befinden wir uns also in einer Phase, in der der Erdkern dem Mantel einen Schub gegeben hat. "Betrachtet man nur die mittleren Veränderungen über Tausende von Jahren, sollten derzeit die Tage durchschnittlich 2 Millisekunden länger als 24 Stunden sein", erklärt Dick. 2020 war der Sonnentag aber ziemlich genau 24 Stunden lang und das soll auch heuer so bleiben.
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