Mit der Kinect zur passenden Hose
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Das Bestellen von passender Kleidung im Internet kann unter Umständen schnell zum Glücksspiel werden, selbst wenn die eigenen Maße bekannt sind. Die Größen unterscheiden sich zwischen verschiedenen Herstellern drastisch, was Rücksendungen oft unausweichlich macht. Das Männerbekleidungsportal Outfittery will das Problem mit zwei Maßnahmen lösen. Erstens bekommen Kunden der Seite Stilberaterinnen (es handelt sich fast ausschließlich um Frauen) zur Seite gestellt, die nicht nur bei der individuellen Auswahl helfen, sondern auch die Größenverhältnisse der verschiedenen Marken genau kennen. Zweitens sollen bestellwillige Männer mithilfe eines Körperscanners vermessen werden.
“Männer kennen ihre Maße nicht”, sagt Alexander Keil von Outfittery bei der Präsentation eines Körperscanner-Prototypen in Wien. Das sei zwar ein Klischee, stimme aber zumindest für einen Gutteil der Outfittery-Klientel tatsächlich. Das Motto des Unternehmens ist dementsprechend “Echte Männer lassen shoppen”. “Wir spielen natürlich auch ein bisschen mit solchen Vorurteilen, das kommt auch bei den Kunden gut an. Unsere Werbeeinschaltungen laufen zum Beispiel bei Dmax, Pro7Max, Comedy Central und Co”, bestätigt der Manager. Der Scan selbst geht überraschend schnell vonstatten. In einer Kabine von der Größe einer durchschnittlichen Umkleidenische stellt sich der Kunde auf eine Bodenmarkierung und folgt den Anweisungen auf einem Touchscreen. Entkleidet werden muss dabei lediglich der Oberkörper, Hosen und Schuhe können anbehalten werden. Mit schräg nach unten ausgestreckten Armen wird der zu vermessende Mann dann einmal um seine vertikale Achse gedreht.
Torso-Modell
So entsteht ein 3D-Modell des Oberkörpers, vom Knie bis zum Scheitel. Die Länge der Beine kann aus der erfassten Größe unter Abzug von Schuhen und Oberkörper errechnet werden. Das Ergebnis ist laut den Erfindern bis auf einen Zentimeter genau und könnte auch mit einem 3D-Drucker in eine Plastik umgesetzt werden. Geplant sind solche personalisierten Actionfiguren derzeit aber nicht. Das Modell soll in der fertigen Version nicht gespeichert werden. Die Maße des Kunden werden für spätere Bestellungen in einer Datenbank festgehalten. Der Ausdruck mit den Daten, den jeder Kunde bekommt, enthält Gesäß-, Bund-, Brust-, Hüft-, Taillen- und Halsumfang. Körpergröße, Beininnen- und Armlänge, Kragenweite sowie T-Shirt- und Jeansgröße. Gewichtsschwankungen lassen sich in Outfitterys 3D-Scan-System bisher nur durch einen neuerlichen Scan berücksichtigen.
Der Scanner selbst besteht aus zwei Kinect-Bewegungssensoren, einem der neusten Generation und einem aus der Xbox360-Zeit. Die Infrarotsensoren erstellen ein maßstabsgetreues, digitales Abbild des Kunden in 3D. Anhand des Modells werden die Maße von einer speziellen Software ermittelt. “Wir verwenden eine High-End Grafikkarte und einen Standard-Prozessor zur Auswertung”, erklärt Keil. Derzeit ist die Anwesenheit eines Outfittery-Mitarbeiters vonnöten, der der Software sagt, wo die Messungen vorgenommen werden. Mittelfristig soll das System aber vollautomatisch funktionieren. In Wien sollen bis Ende des Jahres zumindest zwei Scanner aufgestellt werden, einer am Flughafen und einer am Hauptbahnhof.
Flughafen und Bahnhof
Tagsüber werden Mitarbeiter in der Startphase Hilfestellung geben, außerhalb der Arbeitszeiten sollen Kunden selbständig Vermessungen vornehmen können. “Wir haben 20 Geräte für den DACH-Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz) in Auftrag gegeben. Das soll nicht nur ein Marketing-Gag sein, sondern tatsächlich ein nützliches Angebot. Deshalb haben wir auch keine 100.000 Euro teuren Geräte entwickelt, sondern eine preiswerte Lösung, die wir auch wirklich in relevanten Stückzahlen verteilen können”, beteuert Keil. Dass Kunden sich vermessen lassen und dann anderswo einkaufen, fürchtet man bei Outfittery nicht. “Das Problem der verschiedenen Herstellergrößen bleibt. Die Passform können wir nur in Zusammenarbeit mit unserem Fachpersonal sicherstellen. Zur Motivation werden wir nach der Erstvermessung deshalb wohl auch Gutscheine für unseren Online-Shop verteilen”, so Keil.
Bei Outfittery werden normalerweise keine einzelnen Artikel verkauft. Die Stilberater, die normalerweise für jeden Kunden immer dieselben bleiben, stellen stattdessen auf den Geschmack des Kunden abgestimmte Ensembles zusammen, die dann in der passenden Größe verschickt werden. Das Angebot ist mit rund 80 Marken deutlich kleiner als etwa bei Zalando, deckt aber laut Keil dennoch alle Preis- und Geschmackskategorien ab. Die Rücksendung ist, wie auch bei den allermeisten Konkurrenten, kostenlos möglich. Die Preise sollen sich nicht vom Niveau der Konkurrenz unterscheiden.
“Die Margen im Modegeschäft sind hoch, deshalb müssen wir für die Beratung keine Aufschläge verrechnen”, so Keil. Derzeit hat Outfittery rund 100.000 Kunden, vornehmlich im DACH-Raum. Eine Expansion in andere europäische Länder ist aber bereits in Gang. Das Anbieten von maßgeschneiderter Kleidung ist derzeit noch kein Thema, für die Zukunft ausschließen will Outfittery es aber nicht.
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