Rechenzentrumsboom in North Carolina
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Im Westen North Carolinas, wo bis in die 1980er-Jahre hinein die Textilindustrie florierte, bis diese ihre Fabriken nach Asien und Mittelamerika verlegte und tausende Arbeitslose und leere Backsteinfabriken hinterließ, entsteht ein neuer Hub für Rechenzentren.
Zuerst kam Google. 2007 kündigten die Kalifornier ein 600 Mio. Dollar schweres Data Center in Lenoir an, einem 18.000-Einwohner-Ort im Hügelland der Appalachen. Zwei Jahre später folgte Apple. Mit einem Projektvolumen von einer Mrd. Dollar und einer Grundfläche von 46.000 Quadratmetern zählt das Rechenzentrum zu den weltweit größten. Wüsste man davon nicht, wäre vom Gebäude kaum etwas zu bemerken, das versteckt zwischen dichten Wäldern und abseits von Wohngebiet liegt. Anwohner erinnern sich, dass die Baufirma während der Fertigstellung sogar die Straßen peinlichst sauber hielt.
Gerüchte um Apples Cloud-Strategie
Dass Apple derart aufrüstet - das zweite Rechenzentrum der Mac-Macher in Kalifornien erstreckt sich nur über knapp ein Fünftel der Fläche - heizt die Gerüchteküche an. Tenor: Wer auf so großem Fuß baut, kann nur an einem Cloud-Angebot basteln. Vermutet wird etwa, dass iTunes zur Browser-basierten Anwendung werden könnte und Benutzer ihre Musik künftig in der Cloud lagern. Untermauert wird dies mit der Übernahme des Musik-Streaming-Dienstes Lala Ende vergangenen Jahres. Denkbar scheint auch, dass das eher stiefmütterlich behandelte E-Mail- und Synchronisationsprodukt MobileMe auf Vordermann gebracht wird. Von Seiten Apples bleibt dies freilich unkommentiert. Das Rechenzentrum in North Carolina wird lediglich als "Hub für die Ostküste" ausgewiesen.
Der vorerst Letzte im Bunde ist Facebook. Anfang November kündigte der Social Networking-Riese sein 450-Mio.-Dollar Projekt im Forest City an, einem 7.500-Seelen-Ort unweit der Grenze zu South Carolina. Facebook least zwar Rechenzentrumskapazität, baut mit dem Projekt in North Carolina aber erst sein zweites eigenes Data Center. Errichtet wird das knapp 30.000 Quadratmeter große Gebäude inmitten von 60 Hektar zugekauftem Land. Platz für Wachstum bleibt damit in jedem Fall.
Überzeugende Steuerzuckerl
Bevor Google und Co. ihre Standortentscheidungen trafen, ließen sie die interessierten Regionen erst einmal gegeneinander antreten - ein weit verbreitetes Vorgehen. "Hinter verschlossenen Türen versuchten führende Politiker des Bezirks und Bundesstaates fast ein Jahr lang Microsoft anzulocken", beschreibt der Reporter Graham Cawton in der Lokalzeitung "The Star" einen weiteren Verhandlungsmarathon aus dem letzten Jahr. Den Zuschlag aus Redmond erhielt schließlich ein County in Virginia. Dieses konnte sich mit nicht näher genannten "Leistungsanreizen" in der Höhe von sieben Mio. Dollar und einer Grundsteuerbefreiung für die nächsten 20 Jahre durchsetzen.
Steuerzuckerl
Dass sich konkurrierende Regionen bei Steuerzuckerln überbieten, gehört zur üblichen Strategie. Interessant ist, dass die Rivalität bis auf Bezirksebene reicht: So war das County Cleveland etwa auch um das Apple-Rechenzentrum im Rennen, der Zuschlag ging schließlich an Catawba. Unbestätigten Meldungen zufolge soll Apple in den nächsten zehn Jahren von Bezirk und Bundesstaat "Nachlässe" in der Höhe von 46 Mio. Dollar erhalten.
Dass Google, verteilt auf 30 Jahre, Steuervergünstigungen von 100 Mio. Dollar eingeräumt wurden, erklärt das Wirtschaftsministeriums North Carolinas mit dem Anstieg des lokalen BIP: Dieses soll dank des Projekts in den nächsten zehn Jahren um eine Mrd. Dollar zulegen. Dass Google rund 200 Leuten Jobs verschafft und beim Gehalt den Durchschnittsverdienst des Bezirks um 20.000 Dollar überbietet, ist ebenso höchst willkommen.
Die steuerliche Großzügigkeit wird aber längst nicht von allen begrüßt, immer wieder stimmen Lokalpolitiker dagegen. Dabei führen sie gerne das Beispiel von Dell ins Treffen: der PC-Anbieter schloss sein Werk in North Carolina nach nur vier Jahren, nachdem der Bundesstaat dem Unternehmen 280 Mio. Dollar an Steuervergünstigungen zugesagt und ein Straßennetz zur Fabrik angelegt hatte.
Billiger Strom
Die abgewanderte Textilindustrie hinterließ in North Carolina eine dichte Infrastruktur, um energieintensive Produktionsstätten mit Strom zu versorgen. So sollen zum Beispiel beim Facebook-Deal zwei bestehende Hochspannungsleitungen einer früheren Fabrik mitentscheidend für die Standortentscheidung gewesen sein. Hinzu kommen die Preise des örtlichen Energieversorgers Duke Power. Dieser verrechnet gerade einmal halb so viel für eine Kilowattstunde wie die Konkurrenz in Kalifornien.
Die, die leer ausgegangen sind, darunter das County Cleveland, üben sich in Selbstkritik. Ein Bewohner spricht in einem Kommentar zu einem Zeitungsartikel die heruntergekommenen Ortsviertel in einigen Städten der Region an und dass diese nicht gerade einladend auf Unternehmen wirken würden. "Reißt den Mist nieder. Überlegt euch eine Vision für die Zukunft", schreibt er. Dass viele Haushalte unweit der neuen Rechenzentren nicht einmal an ein Breitbandnetz angebunden sind, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
(Alexandra Riegler)
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