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Test

Windows 8.1 ausprobiert: Gelungene Täuschung

Dass Steve Ballmer bei der

von den Tausenden Entwicklern im Saal ausgerechnet für die Rückkehr des Windows-Start-Buttons sowie für den Direkt-Boot auf den altbekannten Desktop-Modus den größten Applaus erntete, war bemerkenswert. Immerhin handelt es sich bei den Anwesenden der Microsoft-Konferenz ja großteils nicht um überkritische Journalisten oder gehirngewaschene Apple-Jünger.

Optische Täuschung
Die Rückkehr des am Desktop fix verankerten Start-Knopfes (tatsächlich führte auch dieser Umstand schon zu vereinzelten Protesten in Online-Communitys) darf nach zwei Tagen mit dem neuen Betriebssystem als gelungenstes Täuschungsmanöver der Präsentation bezeichnet werden. Denn wie vieles in Windows 8.1 ist der Start-Button nur kosmetischer Natur. Psychologisch vermittelt er Windows-Vertrautheit, obwohl er in Wahrheit absolut nichts mit dem alten Start-Menü zu tun hat.

Wie in Windows 8 schickt er den User einfach auf die neue App-Oberfläche. In Kombination mit den nun möglichen größeren und kleineren Kacheln sowie flexibleren Sortiermöglichkeiten in der Programm-Übersicht ist das allerdings keine Tragödie. Lobenswert ist die neue Möglichkeit, mit dem Start-Button statt auf der Kachelübersicht direkt in der App-Liste landen zu können, in der noch dazu die klassischen Desktop-Apps bei Bedarf vorgereiht werden. Weitere Sortierungsmöglichkeiten sind nach Alphabet, nach installiertem Datum, nach den am meisten verwendeten und der Kategorie. Auf diese Weise sollten auch alte Desktop-Verfechter definitiv schnell zum Ziel kommen.

Trotzreaktion
Warum man Microsoft dennoch Sturheit vorwerfen könnte, ist, dass der Konzern seine User einfach mit aller Gewalt an die neue Bedienung gewöhnen will. So sind diese alternativen und praktischen Einstellungsmöglichkeiten, wie auch das direkte Booten zum besagten Desktop, wenig benutzerfreundlich im „Anpassen“-Menü des alten Desktops unter „Taskleiste und Navigationseigenschaften“ und dem Reiter „Navigation“ versteckt. Für Power-User ist das natürlich keine große Barriere, der großen Windows-Mehrheit dürfte diese Möglichkeit aber leider verborgen bleiben.

Kacheln, Kacheln, Kacheln
Kosmetisch sind auch die bereits angesprochenen Änderungen der Kachelgrößen. Die triviale Veränderung könnte allerdings der vielgeschmähten neuen Benutzeroberfläche tatsächlich zum Durchbruch verhelfen. Indem Programme – egal, ob neu oder alt – in kleinen Icons abgelegt werden können, lässt sich der neue Start-Bildschirm erstmals wieder ähnlich produktiv nutzen, wie einst der Desktop. Die mit Windows 8 eingeführten widget-artigen Liveboxen, die aktuelle Informationen anzeigen, waren immer schon eine willkommene Neuerung, die man etwa bei Mac OS oder auch auf iOS zunehmend vermisst. Mit den kleinen Icon-Boxen können nun ganze Programmgruppen auf kleinem Raum untergebracht werden.

Zusätzlichen Raum erhält man gerade auf kleineren Screens mit guter Auflösung durch die Möglichkeit, die Kacheln zusätzlich zu verkleinern. Ebenfalls neu ist, ähnlich zu Android, das Aufrufen aller vorhandenen Apps mit einem Wisch vom unteren Bildschirmrand nach oben oder einem Mausklick auf den sich einblendenden Pfeil. Dass nur vom User ausgewählte Programme in der tatsächlichen Start-Übersicht landen und nicht mehr automatisch alle installierten, führt zu mehr Übersicht.

Dass der Bildschirm sich nun mit dem Schieber in der Mitte beliebig einteilen lässt, trägt dazu bei, dass man mehrere Programme tatsächlich gerne nebeneinander laufen lässt. Bei größeren Bildschirmen sind so bis zu vier geöffnete Apps nebeneinander möglich. Die ebenfalls kosmetische Neuerung, dass man den alten Desktop und die neue Oberfläche mit dem gleichen Hintergrund versehen kann, ist eine weitere interessante optische Täuschung. Sie trägt wesentlich dazu bei, dass Windows 8.1 stärker als einheitliches Betriebssystem empfunden wird.

Alles Bing
Die größte Veränderung unter der Haube, die zudem noch viel Potenzial bietet, ist die tiefere Integration von Suchtechnologien.

, funktioniert die Suche nun universal über das ganze System hinweg. So lassen sich nicht nur Dokumente, Programme und Einstellungen leicht finden. Die integrierte Bing-Suche ist zudem eine optisch schön aufbereitete Alternative zu herkömmlichen Suchmaschinen, zumal neben bekannten Webressourcen wie Wikipedia, auch Windows-eigene Dienste wie Wetter, die Xbox-Music-App oder der Windows App Store angezapft werden.

Je nachdem, nach wem oder was man sucht, erhält man nun ein tolles Dossier an Informationen und Bildern. Das funktioniert besonders gut bei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – ob man Barack Obama oder Werner Faymann heißt, ist der Microsoft-Suche dabei egal. Werden Städte aufgerufen, bekommt man gleich das Wetter und beliebte Sehenswürdigkeiten mitgeliefert. Bei Künstlern greift die Suche auf die Microsoft-Musik-App zu und stellt ein bild- und informationslastiges Paket zusammen, das definitiv einen Mehrwert zu herkömmlicher Websuche bedeutet. Da Microsoft die Bing-Plattform für Entwickler öffnet, darf man hier auf weitere innovative Möglichkeiten gespannt sein.

IE11, App Store, Music App
Neben den recht umfangreichen Neuerungen am Internet Explorer 11, die bereits in einem Vorgängerartikel

, hat Microsoft auch bei einigen weiteren Programmen Hand angelegt. Völlig neu präsentiert sich der App Store, der nun nicht mit Beschreibungen der Apps und einer detaillierten Übersicht aufwartet, die sich am oberen Bildschirmrand einblenden lässt. Leicht verändert ist auch die nun vertikal statt horizontal ausgerichtete Xbox Music App. Die Inhalte und weiterführende Aufbereitung von Künstler-Seiten und Alben sind im Wesentlichen aber gleich geblieben.

Cloud-Dienst Skydrive
Eine weitere größere Änderung betrifft Microsofts Online-Dienst Skydrive, der durch das Ausrollen der Cloud-optimierten Office-Version an Wichtigkeit gewonnen hat. In Windows 8.1 ist Skydrive nun ähnlich wie Bing tiefer in das System integriert. Alle Dateien, Einstellungen, Apps etc. können standardmäßig in der Skydrive gespeichert werden, der kostenlose Speicherplatz ist auf 7 Gigabyte beschränkt. Ähnlich wie bei Apples iCloud werden auch Dateien – etwa riesige Foto-Kollektionen – auf einem Gerät angezeigt, selbst wenn sie nur in der Wolke verfügbar sind.

Schön gelöst ist die Voransicht. So speichert Skydrive das Thumbnail lokal ab, was ein großer Vorteil ist, wenn man auf einem Tablet ein bestimmtes Foto aufrufen möchte. Was die Einstellungen und Apps betrifft, funktionierte dies im futurezone-Hands-on nur bedingt. Zwar wurde die Anordnung des Startscreens übernommen, weitere heruntergeladene Desktop- aber auch Modern-UI-Apps fehlten. Synchronisiert wurden allerdings gespeicherte Tabs oder auch noch nicht gelesene Nachrichtenartikel. Die Frage bleibt natürlich, inwieweit man dem US-Konzern Microsoft alle seine persönlichen Daten anvertrauen will. Die gleiche Frage stellt sich aber bei jedem Cloud-Anbieter.

Kamera-App, Leseliste, Sperrbildschirm
Weitere kleinere Neuigkeiten sind, dass die Kamera-App nun über eine Panoramafunktion verfügt, die im Test passabel, aber nicht fehlerfrei aufgenommene Fotos zusammenflickte. Für Power-User und News-Junkies interessant ist eine App namens „Reading List“. Die Leseliste ist so etwas wie „Read it later“. Stößt man im Web auf einen interessanten Artikel kann dieser in die Liste befördert werden. Die Aufmachung ist wie bei allen anderen neuen Apps ansprechend gelöst. Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass ausgewählte Apps nun direkt aus dem Sperrbildschirm bedient werden können – etwa um einen Skype-Anruf anzunehmen. Das ist ein Feature, das aus der Smartphone-Welt ja bereits bestens bekannt ist.

Fazit und Ausblick
Keine Frage, der Druck auf Microsoft war und ist angesichts eingebrochener PC- und Laptop-Verkäufe groß. So gaben in den vergangenen Monaten wiederholt Analysten, aber auch enttäuschte Hersteller dezidiert Windows 8 Schuld an den sinkenden Verkaufszahlen. Vom Boom im Tablet- und Smartphone-Segment, für das Microsoft das touch-optimierte neue Betriebssystem eigentlich gestaltet hatte, profitierten bisher nur Apple und einige wenige Hersteller mit Android-Geräten wie Samsung.

Microsoft angesichts der jüngsten Rückschläge abzuschreiben, wäre aber töricht. Microsoft tut das, was es immer am besten konnte: Einen etablierten Markt mit allen verfügbaren Mitteln von hinten aufzurollen. Zwar schafft Windows 8.1 nicht alle selbst verschuldeten Unzulänglichkeiten und Bedienprobleme aus der Welt. Mit dem recht kurzfristig erfolgten Update zeigt der Konzern allerdings, dass es vom beschrittenen Weg zu einer neuen Computer-Ära nicht abweichen will.  Nicht klassische PCs oder Notebooks werden die kommenden Jahre dominieren, sondern eine Reihe von touchfähigen Geräten, seien es nun Tablets, 2-in-1-Geräte wie Tablet-Laptop-Hybride oder auch Smartphones.

Zu tun gibt es aber noch vieles: Immer noch hinkt Microsoft beim App-Angebot für die neue Oberfläche seinen Konkurrenten Apple und Google hinterher. Zumindest Facebook hat sich nun bereit erklärt, endlich auch die Microsoft-Plattform mit einer eigenen App zu bedienen. Die Benutzung des Betriebssystems könnte noch intuitiver und kundenfreundlicher sein. So bleibt es abzuwarten, ob sich Unternehmen jetzt einen Umstieg inklusive Einschulungen von Mitarbeitern antun wollen. Mit Windows 8.1 hat Microsoft zumindest Schritte in die richtige Richtung gemacht. Ob der grundsätzlich eingeschlagene Weg aber auch der tatsächlich richtige ist, wird sich erst in einigen Jahren zeigen.

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Wagemutige können Windows 8.1 auf der Microsoft-Seite herunterladen und installieren. Vorsicht ist geboten, da das Zurücksetzen ohne Datenverlust auf eine bereits installierte Windows-Version nicht gewährleistet werden kann.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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