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Betriebssystem

Windows Phone 8: Gelungene Alternative zu Apple

Wenn es einen Softwarekonzern gibt, der ein glückliches Händchen mit Betriebssystemen hat, dann ist es wohl Microsoft. Seit nahezu drei Jahrzenten dominiert der von Bill Gates und Paul Allen gegründete Konzern den Markt für Desktop-Betriebssysteme und liefert sich mit Windows Server einen offenen Schlagabtausch mit UNIX-Systemen auf dem Server-Markt. Doch ausgerechnet mobile Geräte, der derzeit am stärksten wachsende Markt, blieben bislang beim einst wertvollsten Technologiekonzern auf der Strecke.

Die Windows CE-Plattform, auf der Windows Mobile und Windows Phone 7 basieren, konnte mit den technologischen Fortschritten nicht Schritt halten und verlangte nach einem Neustart. Zwölf Jahre nach der ersten Windows-Mobile-Version wagt Microsoft nun mit Windows Phone 8 einen kompletten Neustart. Dieser ist ähnlich mutig und radikal wie Windows 8, ist dabei aber deutlich besser gelungen. Wie sich der neue Konkurrent von Apple und Google im Alltag schlägt, zeigt der futurezone-Test.

Der Homescreen: Einfach und intuitiv
Windows Phone-Neulinge werden auf den ersten Blick keinen Unterschied zum markanten Vorgänger erkennen können, doch Microsoft hat viele, kleine Detailänderungen vorgenommen, die die Bedienung des Betriebssystems deutlich vereinfachen. Das fällt bereits beim Homescreen auf, der endlich auf die unvorteilhafte schwarze Leiste an der rechten Seite verzichtet, die den Wechsel zwischen App-Liste und Widget-Screen vereinfachen sollte. Mit der neuesten Version hat auch Microsoft eingesehen, dass diese nur eine Platzverschwendung darstellt und hat sie eingespart. Am Ende des Widget-Screens findet sich allerdings als Kompromiss ein Knopf für den schnellen Wechsel auf die App-Liste.

Die Apps sind alphabetisch in der Liste sortiert und nach dem Anfangsbuchstaben in Gruppen geordnet. Per Druck auf den Buchstaben kann rasch zwischen den verschiedenen Gruppen gewechselt werden, auf Wunsch können die App-Namen auch durchsucht werden. Das Verwalten der Apps ist sehr intuitiv, längeres Drücken auf die App klappt ein Auswahlmenü auf, über das die App gelöscht, auf den Widget-Screen gepinnt, an andere Geräte versandt oder im App Store bewertet werden kann.

Apropos Widgets: Diese können nun, falls von der App zur Verfügung gestellt, in drei verschiedenen Größen auf dem Widget-Screen platziert werden. Die Kachelgrößen 1x1, 2x2 sowie 4x2 stehen zur Auswahl und erleichtern die Gestaltung des persönlichen Startbildschirms deutlich. Vor allem die sogenannten Live-Tiles, Widgets die ihre Inhalte laufend aktualisieren, sind ein hübscher Blickfang. Da nun alle Apps und Kontakte als simple 1x1-Kachel platziert werden dürfen, kann der Widget-Screen allerdings zu einer recht langen Ansammlung von gleichfarbigen Kacheln oder Kontaktbildern verkommen. Leider lässt Microsoft das individuelle Definieren der Farbe der Kacheln nicht zu, diese richten sich nach der "Akzentfarbe", die in den Einstellungen verändert werden kann und für alle Kacheln gilt. Lediglich die Xbox- und Office-Apps erstrahlen in anderen Farben.

Noch immer kein Notification Center
Das sogenannte Notification Center hat sich bereits als Standardlösung für die Verwaltung von App-Benachrichtigungen etabliert, neben Android bietet auch iOS ein derartiges Dropdown-Menü an. Microsoft wollte mit Windows Phone 8 eine ähnliche Lösung einführen, durch "zeitliche Probleme" war das allerdings nicht mehr möglich. Dennoch bietet Windows Phone 8 einige neue Ansätze für Benachrichtigungen. So können bis zu fünf verschiedene Apps einen Zähler unter die Datums-Anzeige des Sperrbildschirms setzen. Auch die Live-Tiles bieten einen Zähler und im Fall der Nachrichten-Apps auch eine Vorschau auf die letzte empfangene Nachricht.

Der Sperrbildschirm von Windows Phone 8 muss nach wie vor ohne Widgets auskommen, allerdings hat Microsoft eine neue, nette Funktion integriert, die Apps das Tauschen des Hintergrundbildes erlaubt. Das mag belanglos klingen, entpuppt sich aber beispielsweise im Zusammenspiel mit der Xbox Music-App, die den aktuellen Interpreten im Hintergrund abbildet, oder Groupon, das einen Deal in der Nähe anzeigt, als durchaus sinnvoll.

Nachrichten - alles unter einem Dach
Auch wenn App-Benachrichtigungen noch nicht an einem Punkt zusammenlaufen, Nachrichten tun es bereits. In der Nachrichten-App landen alle SMS-, Facebook- und Skype-Nachrichten, lediglich E-Mails bleiben nach wie vor im Posteingang der Mail-App. Ein neues Feature stellt die sogenannten Räume dar. Das sind geschlossene Gruppen, in die Kontakte eingeladen werden können. Dort gibt es neben einem Gruppenchat auch die Möglichkeit Notizen, Fotos und Kalender zu teilen.

Die Gruppenmitglieder müssen sich über ein Microsoft-Konto einloggen und können dann auf die geteilten Informationen zugreifen. Das Feature ist allerdings nur im Zusammenspiel mit mehreren Windows Phone-Nutzern wirklich sinnvoll. Der Gruppenchat kann zwar über den Messenger genutzt und der Kalender über Umwege auch in iOS und Android integriert werden, doch die OneNote- und Foto-Funktion bleiben auf der Strecke. Sollte Microsoft mit Apps für Android und iOS nachziehen, könnte sich "Rooms" zu einem Killer-Feature entwickeln.

Apps - Karten, Musik und Office im Gesamtpaket
Beim Gesamtangebot muss sich Microsoft nicht mehr hinter Apple oder Google verstecken. Mit Xbox Music, der Karten-App sowie den Office-Programmen Word, Excel und Powerpoint liefert der Softwarekonzern Apps für die wichtigsten Anwendungsgebiete mit. Vor allem Xbox Music, das neben dem Musikkauf auch Streaming anbietet, konnte im Test überzeugen. Laut Microsoft umfasst die Musikbibliothek knapp 30 Millionen Titel und tatsächlich finden sich  viele Interpreten auf Xbox Music, die Spotify vermissen lässt. Der Dienst kostet 9,99 Euro pro Monat und ist auch auf Xbox 360 und Windows 8 nutzbar.

Die Karten-App setzt nun erstmals auf allen Windows Phone 8-Geräten auf Kartenmaterial von Nokia. Das ist durch die Übernahme des Kartenspezialisten Navteq sehr präzise und umfangreich, die Satellitenaufnahmen sind hochauflösend und übertreffen im Detailreichtum selbst Google Maps. Lediglich die Aufbereitung von Standortdaten, wie beispielsweise Lokale oder Geschäfte in der Nähe, kann sich nicht mit jener von Google messen. So findet Microsofts App lediglich zwei Einträge für den Suchbegriff Apple in der näheren Umgebung des futurezone-Büros, Google Maps findet hier immerhin neun Einträge.

Auch die mitgelieferte Office-App weiß zu überzeugen, vor allem da sie nicht versucht, den Funktionsumfang der Office-Suite auf ein Smartphone zu übertragen, sondern sich vor allem als Betrachter versteht. Schnelle Änderungen an den Dokumenten können aber dennoch vorgenommen werden, lediglich aufwändige Inhalte wie Diagramme werden nur als Bild angezeigt und dürfen nicht direkt verändert werden.

Fotos - das große Merkmal
Microsoft wirbt nicht ohne Grund damit, dass Windows Phone 8 auf den Nutzer fokussiert sei. Nahezu alle Live-Widgets und Apps sind auf persönliche Inhalte, beispielsweise Fotos aus den Facebook-Alben, ausgerichtet und zeigen diese dem Nutzer laufend an. Den Nutzen dieses "Spiegels", der einem ständig vor die Nase gehalten wird, muss jeder für sich selbst beurteilen. Windows Phone 8 bietet allerdings die Möglichkeit, diese Funktionen auf ein Minimum zu reduzieren. Dennoch hat die Foto-Zentrierung sein Gutes. Die Foto-App stellt die zentrale Anlaufstelle für alle Foto-Aufgaben dar, kompatible Apps können direkt daraus gestartet werden. Auch Fotos aus den Twitter- oder Facebook-Feeds werden in einer eigenen Kategorie angezeigt.

In der eigentlichen Kamera-App geizt Microsoft unglücklicherweise mit Einstellmöglichkeiten, lediglich grundlegende Dinge wie Auflösung, Weißabgleich oder ISO-Zahl sind anpassbar. Gut gelöst ist hingegen die Integration der sogenannten Lens-Apps. Diese neue Funktion ermöglicht die Nutzung von Dritthersteller-Apps direkt aus der Kamera-App heraus. Das funktioniert beispielsweise mit der vorinstallierten Bing Scan-App, die das Scannen von QR-Codes oder Texterkennung bietet. Auch CNN bietet mit iReport eine direkte Upload-Funktion für seinen neuen Crowdsourcing-Dienst an. Während im englischsprachigen Store deutlich mehr Apps mit der Lens-Funktion zur Verfügung stehen (Photosynth, Blink, FXSuite, PhotoStrip), finden sich im österreichischen Store lediglich FidMe (ein Visitenkartenscanner) sowie CamWow (Fotofilter) .

Synchronisation - alles in der Cloud
Windows Phone 8 bringt zwar einen Massenspeichermodus mit, dieser ist allerdings auf den Speicher der microSD-Karte beschränkt, sofern ein entsprechender Slot vorhanden ist. Das trifft im Grunde genommen auch auf alle Windows Phones der neuen Generation zu - mit Ausnahme der beiden Topmodelle HTC 8X und dem Nokia Lumia 920. Das ist doppelt ärgerlich, da das offizielle Synchronisierungs-Tool von Microsoft, das für Windows und Mac verfügbar ist, nur Musik-, Video- und Fotodateien unterstützt.

Microsoft ist offenbar der Meinung, dass alle anderen Dateiformate ebenso gut über den Clouddienst Skydrive geteilt werden können. Dieser ist in der kostenlosen Version auf sieben Gigabyte beschränkt; kann jedoch gegen ein Entgelt beliebig erweitert werden. Auf Wunsch sichert Windows Phone 8 sogar das komplette System in der Cloud. Das umfasst neben den installierten Apps und den Einstellungen auch SMS-Nachrichten. Lokale Backups, wie sie beispielsweise iTunes bei der Synchronisation erstellt, können mit der offiziellen Windows Phone-App nicht angefertigt werden.

Apps - das große Problem
So gut das von Microsoft gelieferte Paket sein mag, möchte man es mit anderen Apps erweitern, stößt man schnell auf Probleme. Der App Store kann bei weitem nicht mit dem von Apple und Google mithalten, auch wenn er mittlerweile knapp 120.000 Apps zählt. Auch diese Zahl darf nur mit Vorsicht genossen werden, denn viele Apps erinnern an die Anfangszeiten der Smartphones, da sich dahinter lediglich simple RSS-Reader oder eine mobile Webseite verstecken, die mit einen hübschen Logo versehen wurden.

Einige Apps werden außerdem im österreichischen Store nicht zum Download angeboten oder sind noch nicht mit Windows Phone 8 kompatibel. Das Paradebeispiel hier ist Spotify, das zwar bereits die Arbeiten an einer Windows Phone 8-App angekündigt hat, in der Zwischenzeit aber einige Kunden an Xbox Music verlieren dürfte. Einige andere große Apps sind wiederum inhaltlich dermaßen eingeschränkt, dass sie in Österreich nur schwer nutzbar sind. eBay bietet beispielsweise eine hervorragende App, die allerdings nur Inhalte aus den zehn größten Märkten anzeigt und so für österreichische Nutzer weitestgehend sinnlos ist. Derartige Dinge mögen wohl nicht in Microsofts Händen liegen, sind aber essentiell für den Erfolg oder Misserfolg der Windows Phone-Plattform.

Dennoch gibt es auch einige positive Beispiele. Die App von Evernote, einem Online-Notizbuch, ist hervorragend und macht vor allem der Microsoft-eigenen Notiz-App OneNote Konkurrenz. Das beste Beispiel aus Österreich ist wohl die Apo-App, die nahe gelegene Apotheken und deren Öffnungszeiten anzeigt. Die von Microsoft produzierte Facebook-App lässt hingegen zu wünschen übrig. So hübsch gestaltet sie auch sein mag, im Vergleich mit der Android- und iOS-Version ist sie furchtbar träge und wurde nicht ohne Grund nicht standardmäßig mit Windows Phone 8 ausgeliefert. Im App Store finden sich allerdings bereits zahlreiche Alternativen wie Facebook Touch oder Facebook Viewer, die auf der mobilen Webseite basieren und ihre Arbeit deutlich besser erledigen.

Ab in die Kinderecke und weg mit der Brieftasche
Windows Phone 8 kommt mit zwei recht unscheinbaren neuen Funktionen. Die Kinderecke erlaubt das Einrichten eines kinderfreundlichen Homescreens, auf dem die Kinder lediglich Zugriff auf vordefinierte Apps und Medieninhalte bekommen. Für den vollen Zugriff muss ein vierstelliger PIN eingegeben werden. Auch sehr gut gelungen ist die sogenannte Brieftasche, in der Zahlungsinformationen von Kredit-, Bankomatkarten oder Zahlungsdienstleistern wie PayPal gespeichert werden können.

Diese Daten können ebenso mit einer PIN gesichert werden und dienen meist nur der Bezahlung über den Windows App Store oder bei Online-Anbietern über den Browser. Die App soll ähnlich wie Google Wallet die Bezahlung über den NFC-Chip erlauben, im Test ließ sich diese Funktion allerdings noch nicht nutzen. Die Nutzung beschränkte sich hier noch auf "Tap and Send", über das, ähnlich wie bei Android Beam, Daten mit Hilfe von NFC übertragen werden können. Auch die Deals-Abteilung in der Brieftaschen-App war noch leer. Dort sollen in Zukunft günstige Angebote in der näheren Umgebung oder aus Webshops angezeigt werden.

Internet Explorer 10 - sechs auf einen Streich
Mit Windows Phone 8 sollte erstmals auch ein moderner mobiler Browser Einzug halten. Der Internet Explorer 10 erfüllt diese Aufgabe aber nur teilweise. So kann der auf der Trident Rendering Engine basierende Browser lediglich sechs Tabs auf einmal anzeigen - im Vergleich mit Google Chrome oder Apples Safari ist das recht mager. Den Acid3-Test besteht er zwar mit Bravour, beim ersten Besuch auf der Google-Startseite fühlt man sich jedoch in die Anfangszeiten des Internets zurückversetzt. Absurderweise erkennen viele Webseiten die mobile Version des Internet Explorer 10 als hoffnungslos veralteten Browser und verursachen sogar Darstellungsfehler.

Glücklicherweise lässt sich der User Agent in den Einstellungen von mobil auf Desktop ändern, wodurch sich nahezu alle Darstellungsprobleme beheben ließen. Microsoft hat dem mobilen IE 10 einige Features des großen Bruders spendiert, unter anderem die (standardmäßig aktivierte) Do Not Track-Option sowie den SmartScreen-Filter, der vor "gefährlichen" Webseiten warnen soll.

Fazit
Microsoft hat mit Windows Phone 8 einen mutigen Schritt gewagt und ein deutlich besseres Produkt als Windows 8 abgeliefert. Im Gegensatz zum Desktop-Betriebssystem wird das neue System ohnehin nur auf Geräten mit Touchscreen eingesetzt, wodurch sich das Bedienkonzept voll entfalten kann. Vor allem Apple-Nutzer, die das iPhone für seine unkomplizierte Bedienung schätzen, sollten einen Blick auf Windows Phone 8 werfen. Das System ist flott und intuitiv zu bedienen und erledigt die grundlegenden Aufgaben hervorragend. Größtes Manko ist und wird wohl auch in Zukunft das magere Ökosystem bleiben - Musik ausgenommen. Obwohl der Windows Phone App Store laut Microsoft bereits 120.000 Apps zählt, stoßen erfahrene Apple- und Android-Nutzer schnell an Grenzen. Da die Hürden für die Entwicklung von Windows Phone 8-Apps nun erheblich niedriger sind, wird diese Zahl in naher Zukunft in die Höhe schnellen.

Einen ausführlichen Test des HTC Windows Phone 8X

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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