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Vision

Big Data soll Malaria und Polio ausrotten

Datenwissenschaftler schätzen, dass 90 Prozent der verfügbaren Informationen in den vergangenen zwei Jahren entstanden sind. Um das abstrakte Thema Big Data greifbarer zu machen, hat Speicherhersteller EMC zusammen mit dem Fotojournalisten Rick Smolan das Projekt "The Human Face of Big Data" ins Leben gerufen. Während Smolan mit über 100 Journalisten die Menschen und Situationen hinter den digitalen Daten abbildet und in einem Bildband veröffentlichen wird, hat EMC zusammen mit Softwarepartnern ein Datenexperiment gestartet. Mittels  einer Smartphone-App können User 50 teils provokante Fragen über ihr Leben und ihre Wertvorstellungen beantworten und so ihren digitalen Doppelgänger finden.

Bereits über 100.000 Teilnehmer
Neben den ersten Ergebnissen der mittlerweile über 100.000 Teilnehmer, die seit

vor wenigen Tagen mitgemacht haben, wurden in London auch einige konkrete Beispiele präsentiert, wie Big Data zur Bekämpfung von gesellschaftlichen Problemen herangezogen werden kann. Dave Menninger vom Datenanalyse-Unternehmen Greenplum etwa glaubt, dass durch die Kombination von GPS-Userdaten und lokalen Gesundheitsdaten Kinderlähmung (Polio) praktisch ausgerottet werden kann. "Entsprechende Impfpläne scheitern heute oft noch daran, dass gewisse Dörfer und Siedlungen - etwa in Afrika - auf gar keiner Karte aufscheinen. Mit den Handy-GPS-Signalen der Bevölkerung kann man hier einen lückenlosen Impfplan erstellen und Polio praktisch auslöschen", so Menninger.

Ein weitaus komplexeres Unterfangen stellen Krankheiten wie Malaria dar. "Moskitos und deren Fortpflanzung zu kontrollieren, ist äußerst schwierig. Dazu kommt, dass die Dichte an Malaria-Erkrankungen von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, wie Bevölkerungsdichte, Regenfälle und Zugang zu medizinischer Versorgung", erklärt Dave Lundberg, Geschäftsführer des Geolocation-Unternehmens aWhere. Wie Lundberg ausführt, seien interessanterweise meist nicht die natürlichen Gewässer die Hauptverursacher für Moskitoplagen, sondern künstliche, wie etwa aufgelassene Swimmingpools.

Swimmingpools als Brutstätte
Bisher war es praktisch unmöglich, die betroffenen Pools mit den für die Moskitolarven optimalen Wasserbedingungen aufzuspüren. Abhilfe sollen nun Satellitenbilder schaffen, die praktisch in Echtzeit ausgewertet werden können. "Moderne Satelliten liefern eine Vielzahl von Daten. Ein Schnappschuss aus dem All ist ja nicht einfach nur ein Bild, sondern kann genaue Angaben hinsichtlich Zeit, Ort, aber auch Geländebeschaffenheit und anderen Gegebenheiten - wie etwa der Qualität des Wassers liefern", erklärt Lundberg. Wasser, das für Moskitolarven geeignet sei, weise eine ganz bestimmte Signatur auf. Durch die Satellitensensoren, die mehrere Spektralbänder wie etwa Infrarot aufzeichnen, könne man die betroffenen Gewässer leicht ausmachen und entsprechende Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung ergreifen.

Wie Lundberg auf Nachfrage der futurezone erläutert, dauert es derzeit etwa vier Tage, bis die aus dem All geschossenen Bilder von Unternehmen wie aWhere weiterverarbeitet werden können. In Zukunft werde dieser Prozess aber innerhalb von 24 Stunden abgeschlossen sein. Um Situationen wie die aktuelle Malariasituation in einer bestimmten Region überwachen zu können, brauche man aber ohnedies nicht ständig aktuelle Satellitendaten. "Die Satellitenbilder sind ja nur ein Teil des Puzzles, da man auf verschiedene Datenquellen zurückgreifen kann. Wenn ich einmal die potenziell gefährlichen Gewässerstandorte kenne und deren Zustand am Tag X, kann ich durch die Berücksichtigung von aktuellen Wetterdaten und anderen Echtzeitinformationen mir leicht einen Überblick über die Lage verschaffen", so Lundberg im Gespräch mit der futurezone.

Auch für Landwirtschaft relevant
Ähnliche Big-Data-Analysen können laut Lundberg in Afrika und anderen stark von der Landwirtschaft abhängenden Regionen auch eingesetzt werden, um die richtige Getreideart in einer Saison anzubauen bzw. Rückschlüsse zu erhalten, welche Straßen zu Feldern am wenigsten Gefahr laufen, in den kommenden Wochen unpassierbar zu werden. Mittels Mobiltelefon können die Landwirte schließlich abrufen, auf welchem der meist viele Kilometer entfernten Märkte die eigenen Waren gerade gefragt sind. "Werden die verfügbaren Daten richtig ausgewertet, kann dies in vielen Regionen dieser Welt zur Vermeidung von Hungersnöten und einer größeren ökonomischen Stabilität beitragen", ist Lundberg überzeugt.

Dass das Sammeln, Verknüpfen und Auswerten von Daten in der Bevölkerung für Unbehagen sorgt und vielerorts die Alarmglocken schrillen lässt, ist den auf genau diese Tätigkeiten spezialisierten Unternehmen bewusst. "Was das Thema Datensicherheit und Datenschutz angeht, müssen wir so behutsam wie möglich vorgehen. Eine allumfassende Antwort auf die damit verbundenen Fragen hat aber leider noch niemand gefunden", meint Greenplum-Manager Menninger im Gespräch mit der futurezone.

Datenschutz oder Kinderlähmung
In Zukunft werde man wohl des Öfteren vor die schwierige Frage gestellt werden: "Wollen wir einen größtmöglichen Schutz persönlicher Daten bzw. das Sammeln dieser Daten unterbinden oder Kinderlähmung für immer und ewig auslöschen?" Bei aller berechtigten Kritik und Bedenken - Menninger zufolge sollte etwa die Anonymisierung von Daten stark verbessert werden - solle man aber nicht immer nur den Fokus auf die negativen Aspekte der Entwicklung richten, sondern sich zunehmend auch mit dem gesellschaftlichen Verbesserungspotenzial von Big Data auseinandersetzen.

Das von EMC gestartete Datenexperiment, das die Verknüpfung und visuelle Darstellung von anonymisierten Gruppendaten zum Ziel hat, läuft noch bis 20. November. Bis zu diesem Zeitpunkt können Android- und iOS-User den Fragenkatalog beantworten und ihrerseits in den Ergebnissen der Befragung herumstöbern. Während die Android-App bereits seit vergangener Woche verfügbar ist, soll die iOS-App in den kommenden Tagen im App Store zu finden sein. In Kürze werden die ersten Ergebnisblöcke zu einzelnen Fragen auch online durchforstet und kombiniert werden können.

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Martin Jan Stepanek

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Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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