Die Angst vor dem Kontrollverlust bei selbstfahrenden Autos
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Martina Mara leitet den Bereich Robopsychology am Ars Electronica Futurelab. Im Interview erklärt sie, dass die Angst vor dem Kontrollverlust unter anderem eine Generationenfrage sei und sie geht auf die abstrakte Angst vor dem Dominiertwerden durch Technologie ein.
Wenn Sie eine persönliche Einschätzung treffen müssten, wann werden wir Menschen mehrheitlich in selbstfahrenden Autos sitzen?
Martina Mara: Das ist natürlich schwer zu sagen. Grundsätzlich fällt mir auf, dass der Stand der Forschung in Bezug auf autonomes Fahren in der Öffentlichkeit eher unterschätzt wird. Ich denke, dass gerade die Autohersteller technisch schon sehr weit sind in ihrer Entwicklung, und dass die Zeitfrage weniger von der Technik abhängen wird, sondern von anderen Fragen.
Von welchen Fragen sprechen wir da?
Einerseits sind das Akzeptanzfragen, andererseits geht es um den Preis. Und dann gibt es verschiedene Kontextfaktoren – wie die klassische Versicherungsfrage, für die es meines Wissens nach noch keine Antwort gibt: Es muss geklärt werden, wer zahlt, wer ist verantwortlich etc. Natürlich wird es eine sehr lange Phase geben, in der autonome und nicht autonome Fahrzeuge gemeinsam unterwegs sind. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass man die ersten voll autonomen Fahrzeuge im Luxussegment sehen wird und eher dort, wo Menschen es gewohnt sind, anders chauffiert zu werden. Bei Leuten, die sowieso meistens im Taxi bzw. auf der Rückbank sitzen, ist die Umstellung dann nicht so groß.
Erkennen die Menschen überhaupt schon den Nutzen von selbstfahrenden Autos?
Ich denke nicht. Ich würde es etwa sinnvoll finden, wenn Autohersteller solche Autos – gerade zu Beginn – zum Beispiel gezielt und leistbar für Leute mit körperlicher Beeinträchtigung anbieten würden. Roboterautos können etwa für Sehbeeinträchtigte sehr nützlich sein oder für ältere Menschen, die selber nicht mehr so sicher lenken können. Und man hat mehrere Vorteile: Die User selbst profitieren, der Roll-out im Markt lässt sich von diesem Sektor aus starten, und als Nebeneffekt würde man die Benefits damit deutlicher an die Öffentlichkeit kommunizieren. Das findet noch zu wenig statt.
Wie bewerten Sie die Kluft zwischen dem fortgeschrittenen Stand der technischen Entwicklung und der noch geringen Akzeptanz in der Bevölkerung? Wird man damit lange zu kämpfen haben?
Viele Firmen haben ihre Konzepte so gut wie fertig in der Lade, das ist vielen noch nicht so bewusst. Gleichzeitig liefert die Lobby sehr optimistische Prognosen ab, etwa, dass wir in zehn bis 15 Jahren die autonomen Fahrzeuge breit im Einsatz haben werden. Skepsis und Ängste, die dem nun entgegenstehen, sind mitunter auch eine Generationenfrage. Wenn man etwa eine stark männlich dominierte Generation von Fahrern ansieht, für die das Auto und das selbst Lenken noch so etwas wie persönliche Freiheit bedeuteten, vollzieht sich hier sicher ein Wandel.
Wird sich die Rolle des Autos als Statussymbol verändern?
Die Gruppe der angesprochenen Generation an überzeugten Fahrzeuglenkern bzw. jener, die sagen, sie fahren, weil das Fahren an sich Spaß macht, wird schwer zu überzeugen sein. Leute holen sich darüber auch ein Stück weit Selbstbestätigung und sind stolz darauf, wenn sie gut einparken können oder gut Gefahren abschätzen. Hier ändert sich mit dem Generationenwechsel etwas. Früher hatte es einen anderen Stellenwert, sich ein Auto leisten zu können und dieses zu besitzen.
Um den Generationenwechsel allein wird es bei der Frage der Akzeptanz aber nicht gehen?
Nein. Die zweite Sache ist eine weit verbreitete, häufig abstrakte Angst vor intelligenten Maschinen, dem Dominiertwerden durch Technologie oder dem Ersetzen des Menschen. Häufig hört man den Einwand, man könne etwas verlernen, oder Entscheidungen müssten an das Fahrzeug abgegeben werden.
Kann man zusammenfassend sagen, es geht vorwiegend um Kontrollverlust?
Ja, genau. Ähnliches kennt man auch vom Flugverkehr bzw. von Menschen mit Flugangst. Das ist natürlich teilweise irrational begründet, aber hat damit zu tun, sich in gewissen Situationen ausgeliefert zu fühlen. Wir müssen in andere vertrauen, und so wäre das beim autonomen Fahren auch. Hier ist daher die Frage zu stellen, wie man dem entgegenwirken kann. Abseits dieser psychologischen Faktoren gibt es aber auch andere Vorbehalte.
Welche wären das?
Zum Beispiel Angst vor Jobverlust. Leute fragen, was mit Taxifahrern wird oder jenen, die etwas ausliefern. Natürlich geht es auch um Sicherheitsfragen: Was, wenn etwas schiefläuft, das Auto verliert die Datenverbindung, wird gehackt usw.
Sie haben die Aufgabe menschlicher Kompetenzen angesprochen. Ist es eine berechtigte Angst, dass Fähigkeiten verlernt werden?
Ich bin da nicht so kulturpessimistisch. Ich stelle mir eine positive Zukunft mit Robotern so vor, dass sie tun, was sie gut können, und wir Menschen tun, was wir gut können. Wir können zum Beispiel gut miteinander kommunizieren, etwas ausverhandeln, beraten, humorvoll und kreativ sein. Wir sind befähigt, empathisch zu sein, usw. Dafür kann die Maschine dann besser effizient und sicher im Schwarm unterwegs sein. Allein schon durch die Fähigkeit, 360 Grad rundherum überblicken zu können oder sich mit den anderen Autos zu vernetzen.
Ist es überhaupt ein Problem, dass wir manche Dinge dann vielleicht gar nicht mehr beherrschen werden?
Grundsätzlich glaube ich, dass es schnell geht, dass wir gewisse Kompetenzen verlernen. Es wird bald eine Generation geben, die den Führerschein in der jetzigen Form nicht mehr macht. Es war aber in der Menschheitsgeschichte immer so, dass wir Dinge an Maschinen abgegeben haben. Es werden auch keine Bücher mehr handschriftlich kopiert oder Wäsche mit der Hand gewaschen.
Ein weiterer heiß diskutierter Faktor beim autonomen Fahren ist die Moral. Was bringt man einem Computer bei, damit er weiß, wie er in Unfallsituationen entscheiden soll?
Eine endgültige Antwort darauf gibt es noch nicht. Allerdings entscheiden wir Menschen auch auf Basis von Faktoren bzw. Daten, die uns in der Situation zur Verfügung stehen, und wir sind gezwungen schnell zu reagieren. Die Debatte um die Moral Machine geht davon aus, dass wir Menschen immer total komplexe moralische Wertungen vornehmen. Teilweise sind die Entscheidungen aber sogar zufällig. Ich glaube, dass es bei Maschinen letztlich nicht dramatisch anders sein wird, und dass es hoffentlich sehr wenige Fälle geben wird, wo Entscheidungen über Leben und Tod überhaupt nötig sind. Insgesamt ist ja zu erwarten, dass das Verkehrssystem smarter und sicherer wird. Und man überlässt im Endeffekt ja nicht der Maschine die Entscheidung, sondern dem Programmierer oder der Programmiererin.
Dann könnte man wiederum fragen: Welche Menschen bringen den Maschinen welche Dinge bei? Wer definiert in Zukunft die Moral für uns vor?
Ich sehe eine gute Herangehensweise darin, dass diese Diskussion sehr interdisziplinär angelegt wird. Es sollten ethische und psychologische Fragen eingebunden werden, wenn es um Richtlinien für diese neuen Technologien geht. Es gibt zum Beispiel einen EU-Parlamentsentwurf über ein Robot Law, wo dieser Ansatz schon verfolgt wird.
Beschäftigen sich die Autohersteller aus Ihrer Sicht genügend mit den psychologischen und moralischen Fragen, oder fokussieren sie nur auf ihre technischen Entwicklungen?
Da gibt es unterschiedliche Ebenen. Erstens, wie die Hersteller sich vermarkten. Das machen sie bis dato noch nicht optimal. Denn, wie bereits angesprochen, werden die Benefits, etwa für beeinträchtigte Menschen, nicht besonders hervorgestrichen. Auch die Zeitersparnis wird nicht gut genug kommuniziert – wenn ich nicht lenke, kann ich inzwischen etwas anderes machen. Das Auto könnte sogar zu einer Art sozialem Raum werden. Viel zu wenig wird auch daraufhingewiesen, wie Innenstadtbereiche dadurch von Verkehr fast befreit werden könnten. Denn da geht es auch um die Wechselwirkung mit anderen Dingen und nicht nur das Fahrzeug selbst, etwa die Frage, inwiefern man ein Auto überhaupt noch besitzen muss.
Und abseits der Vermarktung?
Wenn es wirklich um die psychologischen Faktoren und die Mensch-Maschine-Beziehung auf der Straße geht, sehe ich überhaupt noch sehr wenig. Dieser Bereich steckt noch sehr in den Kinderschuhen. Man sieht schon erstes Interesse daran, aber diese Fragen würden jedenfalls mehr Aufmerksamkeit verlangen. Neben Fragen der objektiven Sicherheit geht es nämlich auch um das subjektive Sicherheitsgefühl und ob und wie die Fahrzeuge mit der Außenwelt kommunizieren.
Wie kann man sich diese Kommunikation vorstellen?
Es geht zum Beispiel darum, dass für einen Fußgänger – künftig etwa in shared spaces – ersichtlich ist, ob man von einem solchen Auto erkannt wurde, dass man einschätzen kann, was die nächsten Bewegungen sein werden, ob es einen Richtungswechsel gibt. Gerade in der Einführungsphase wird das ein wesentlicher Punkt sein, um sich mit den autonomen Fahrzeugen nicht sogar gespenstisch zu fühlen. Dazu machen wir bereits erste Experimente mit Drohnen, Bodenrobotern und Testpersonen, wo wir Verkehrsszenarien wie das Queren einer Kreuzung simulieren. Ein vielversprechender Ansatz ist ein proaktives Kommunikationsdesign des autonomen Fahrzeugs, wo zum Beispiel so etwas wie ein Bremsvorgang bereits vorab durch Lichtsignale angekündigt wird.
Gibt es daraus bereits erste Erkenntnisse?
Ja, die Leute im Setting mit proaktiven Lichtsignalen bewerten das Verhalten des Roboters als transparenter und nachvollziehbarer. Und sie sind bei ihren Bewegungen im simulierten Straßenverkehr signifikant schneller und auch sicherer als jene in Settings ohne Lichtsignale. Es dürfte also wichtig sein, dass der Roboter bzw. das Auto bevorstehende Aktionen nach außen kommuniziert, um die Vorhersehbarkeit zu erhöhen. Aber natürlich muss man darauf achten, dass man künftig keine totale Reizüberflutung durch zu grelle oder laute Signalen erzeugt.
Zur Person
Martina Mara leitet den Bereich Robopsychology am Ars Electronica Futurelab. Sie beschäftigt sich damit, wie Roboter – etwa auch autonome Fahrzeuge – in unterschiedlichen Einsatzgebieten künftig aussehen und kommunizieren sollen, damit sich Menschen mit ihnen wohlfühlen. Parallel befasst sich Mara auch mit diversen Fragen der sozialwissenschaftlichen Grundlagenforschung.
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