David Gross
David Gross
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Interview

"Die Natur klammert sich zu sehr an ihre Geheimnisse"

Die Physik sucht schon seit langem nach einer großen vereinheitlichten Theorie, die in der Lage ist, das Universum zu beschreiben. In den vergangenen Jahren konnten zwar viele bestehende Theorien bestätigt werden, etwa durch den experimentellen Nachweis des Higgs-Bosons am Teilchenbeschleuniger LHC. Die Suche nach neuen grundlegenden Ansätzen gestaltet sich aber schwierig.

David Gross, der 2004 für seine Arbeiten zur Theorie der Starken Wechselwirkung mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, hat auf Einladung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und des IST einen Vortrag mit dem Titel “The Frontiers of Fundamental Physics” gehalten. In einer Sackgasse sieht der String-Theoretiker seine Disziplin nicht. Er glaubt, dass es möglich ist, die vier fundamentalen Kräfte der Physik zu vereinheitlichen und erhofft sich in den kommenden Jahren wertvolle Hinweise von Experimenten, etwa am LHC.

Es wurde zuletzt öfters behauptet, dass die Physik in einer Sackgasse steckt. Sehen Sie das auch so?
David Gross:
Ich glaube nicht. Es gibt immer Herausforderungen in der Wissenschaft. In der Physik sind einige der derzeitigen Probleme eine Folge unserer Erfolgsgeschichte. Viele Fragen, die früher motivierende Faktoren waren, sind beantwortet und die neuen Fragen scheinen oft unmöglich. Ich glaube, dass wir trotzdem Wege finden werden, sie zu beantworten. Wir müssen wissen, was dunkle Materie ist oder wie wir die Gravitation mit den anderen Kräften vereinen können. Direkt bevor neue Entdeckungen gemacht werden, scheinen die Dinge immer am schwierigsten.

Glauben Sie, dass es eine unüberwindbare Grenze geben könnte beim Versuch die Natur zu verstehen?
Ich weiß es nicht. Bislang gibt es keinen Hinweis darauf. Ich sehe keinen Anlass für Pessimismus, auch wenn ich nicht abstreite, dass die niedrig hängenden Früchte natürlich zuerst gepflückt werden. Viele der interessantesten Fragen sind extrem schwer experimentell anzugehen und benötigen große Projekte. Ob wir in den kommenden paar hundert Jahren an eine grundlegende Grenze der Erkenntnis stoßen, weiß niemand. Aber was wir in den vergangenen hundert Jahren erreicht haben, ist erstaunlich und ich sehe keinen Hinweis darauf, dass der exponentielle Fortschritt sich verlangsamt.

Es könnte also eine ökonomische Limitation für die Erkenntnissuche geben, aufgrund der nötigen Großprojekte?
Ja, soziale, politische und ökonomische Faktoren spielen eine Rolle. Wir sollten aber bedenken, dass wir als Gesellschaften weniger Geld in die Wissenschaft stecken als zu Keplers Zeiten. Keplers Gönner habe zwei Prozent ihres Staatshaushalts in sein Observatorium investiert. Unsere Gesellschaften investieren verhältnismäßig wenig in Grundlagenforschung.

In welchem Teilgebiet der Physik sehen Sie die gute Chance für einen Durchbruch?
Es gibt verschiedene Arten von Durchbrüchen. Die interessantesten werden derzeit auf experimenteller Seite erwartet. Seit Jahren hoffen wir, dass wir mit Versuchen in jene Energiebereiche vorstoßen können, in denen uns große Entdeckungen erwarten. Das ist noch nicht passiert, deshalb sind die Leute besorgt oder gar enttäuscht. Wir hoffen jetzt vor allem auf die zweite Halbzeit am LHC.

Stimmt es sie als Stringtheoretiker nachdenklich, dass der LHC bisher keine Anzeichen für Extradimensionen oder Supersymmetrie gefunden hat?
An ein Auffinden von Extradimensionen habe ich nie geglaubt. Supersymmetrie hätte ich aber gerne schon früher gesehen. Das kann aber noch kommen.

Sind die einfacheren Supersymmetriemodelle nicht mittlerweile entkräftet?
Nein, nein, nein. Es kommt oft in der Physik vor, dass Erwartungen revidiert werden müssen. Die erwarteten Massen für das Higgs-Boson und das Top-Quark wurden ständig nach oben korrigiert, bevor sie gemessen wurden. Das könnte auch für die Supersymmetrie-Teilchen gelten. Wir werden es - zumindest für den aktuell zugänglichen Energiebereich - bald erfahren. Das Risiko, dass gar nichts auftaucht, gehört auch zum Spiel dazu. So funktioniert Forschung. Theoretische Fortschritte können ohnehin jederzeit passieren. Dazu braucht es nur neue Ideen von brillanten jungen Menschen.

Oft heißt es, die jungen Forscher von heute seien mehr Handwerker als Visionäre. Ist der Nachwuchs bereit für einen Durchbruch?
Sicher sogar. Es gibt eine bestimmte Gruppe junger Leute, die von den großen Fragen der Physik angezogen werden. Das gewährleistet einen ununterbrochenen Strom an hervorragenden Köpfen. Deshalb werden ständig Fortschritte gemacht. Man muss sich nur fünf Jahre zurückversetzen und sich ansehen, wie man über die fundamentalen Fragen und die verfügbaren Methoden gedacht hat. Die Ansätze verändern sich dramatisch schnell.

Ist die String Theorie noch der richtige Weg nach vorne für die Physik?
Die String Theorie hat sich in ihrer fast 60-jährigen Geschichte stark verändert. Es handelt sich nicht wirklich um eine Theorie, sondern um eine Erweiterung des Gefüges, innerhalb dessen wir eine spezifische Theorie oder ein Modell finden wollen, um tatsächlich Vorhersagen machen zu können. String Theorie ist daher ein schlechter Titel. Beim Standardmodell ist es umgekehrt: Es ist kein Modell sondern eine Theorie. Im Bereich der Vereinheitlichung der Kräfte haben wir nichts Vergleichbares. Durch unser besseres Verständnis des ganzen Gerüsts können wir aber Probleme aus verschiedenen Bereichen zueinander in Beziehung setzen.

Wie sieht es mit Fortschritten auf dem Weg zur großen vereinheitlichten Theorie aus?
Der Fortschritt, der vor 30 Jahren gemacht wurde, ist immer noch nicht verarbeitet. Forscher versuchen nach wie vor in diesem Gerüst nach Modellen, aus denen sich das Standardmodell ergibt und die Vorhersagen darüber treffen können, was dahinter liegt. Die Zutaten für eine vereinheitlichte Theorie sind vorhanden. Was wir brauchen, um die richtige Theorie zu finde, wissen wir noch nicht. Ich glaube, dass wir zuerst einige konzeptionelle Fragen beantworten müssen, bevor wir eine Lösung finden. Hinweise aus Experimenten wären hilfreich, weil sie den Weg vorgeben könnten. Bislang fehlen solche Hinweise. Wenn ich eine Beschwerde über die Natur habe, dann dass sie sich zu sehr an ihre Geheimnisse klammert.

Ein weiteres Rätsel gibt die dunkle Materie auf: Welche Teilchen halten Sie für die besten Kandidaten?
Ich glaube, das WIMPS immer noch die besten Kandidaten sind. Sowohl der LHC als auch unterirdische Detektoren dringen derzeit in einen Energiebereich vor, in dem die WIMPS sichtbar werden müssen, wenn sie die Menge und Verteilung dunkler Materie in den Galaxien erklären sollen. Es gibt auch noch andere Kandidaten, wie Axionen. Innerhalb der nächsten zehn Jahre sollten diese Möglichkeiten entweder bestätigt oder ausgeschlossen werden können. Jedenfalls existiert dunkle Materie, wir können ihre Auswirkungen sehen, das Universum muss voll davon sein. Wir werden sie entweder finden oder in eine kleine Krise schlittern. Dann müssen wir zurück ans Reißbrett und vielleicht über Quantengravitation nicht nur im Kleinen sondern auch im Großen nachdenken.

Was erwarten Sie vom möglichen LHC-Signal, über das derzeit spekuliert wird?
Ich will zuerst wissen, ob da etwas ist oder nicht. Meine Kollegen haben versprochen, dass wir noch im Sommer eine Antwort bekommen. Dann haben die LHC-Forscher genug Daten, um zu sagen, es war eine Fluktuation oder um eine Entdeckung zu vermelden. Das ist sehr aufregend.

Haben Sie einen favorisierten Kandidaten?
Nicht wirklich, dafür gibt es zu wenige Informationen. Allgemein hätte ich natürlich gerne etwas, was in ein supersymmetrisches Szenario passt. Aber es gibt viele Möglichkeiten. Es ist interessant zu sehen, dass allein die Möglichkeit, dass etwas Unerwartetes gefunden wurde, zu so vielen Ideen geführt hat. Wenn etwas dran sein sollte, sprengt es sicher den Rahmen des Standardmodells.

Sie glaube also, dass der LHC noch neue Türen öffnen wird?
Alles wird davon abhängen, ob wir in den kommenden zwei Jahren etwas finden. Ich wünsche natürlich, dass sie etwas finden und dass es ergiebig ist und sich leicht auf andere Phänomene ausweiten lässt. Aber meine Wünsche haben wenig damit zu tun, wie die Natur ist. Wir werden sehen. Es bleibt auf jeden Fall spannend.

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Markus Keßler

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