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"Es gibt Grenzen für das, was wir herausfinden können"

Vom Teilchenbeschleuniger LHC der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) erhoffen sich Wissenschaftler experimentelle Daten, die ihnen den Weg zu einer neuen Physik weisen sollen, die über das bestehende Standardmodell hinausgeht. Seit kurzem wird über die mögliche Entdeckung eines neuen Teilchens am Beschleuniger spekuliert. Die kanadische Physikerin Pauline Gagnon hat lange am ATLAS-Experiment des LHC gearbeitet und wird im August bei den Alpbacher Technologiegesprächen, die von der futurezone als Medienpartner begleitet werden, an einer Diskuzssionsrunde mit dem Titel "Der Blick ins Ungewisse und die Verschiebung des Horizonts" teilnehmen. Die futurezone befragt Gagnon, die auch ein Buch über die Forschung am LHC geschrieben hat, im Interview zu möglichen neuen Erkenntnissen und dem Wert der Grundlagenforschung.

futurezone: Was ist die Aufgabe von CERN?
Pauline Gagnon: Wir wollen Antworten darauf finden, wie das Universum zusammengesetzt ist und suchen die kleinsten Bausteine. Das ist wie bei einem Lego-Set. Wir wollen die kleinsten Klötze finden und wissen, wie sie zusammenpassen. Derzeit verstehen wir vielleicht fünf Prozent des Universums. Der Rest ist dunkle Materie und dunkle Energie.

Was macht die Arbeit dort besonders?
Die Werkzeuge, die wir entwickelt haben, sind einzigartig. Dazu wäre sonst niemand in der Lage gewesen. Es braucht tausende der besten Köpfe, um das zu schaffen. Und die gibt es in dieser Konzentration nur am CERN.

Was sagen Sie Leuten, die die hohen Kosten kritisieren?
Wir suchen zwar nach “nutzlosen Teilchen”, denn niemand weiß, was man mit dem Higgs Boson anstellen soll. Aber wir mehren das Wissen der Menschheit. So können wir am Ende ein bisschen weniger dumm ins Bett gehen. Viele Dinge, die am CERN für die Grundlagenforschung erfunden wurden, finden anderswo Anwendungen, etwa in bildgebenden Verfahren für die Medizin. Das beste Beispiel ist das World Wide Web, das am CERN ersonnen und der Menschheit zum Geschenk gemacht wurde. Vor 100 Jahren wurde das Elektron entdeckt und niemand wusste, was damit anzustellen sein könnte. Heute haben wir Elektronik und Telekommunikation. Wir bilden zudem Fachleute aus, die in verschiedensten Branchen landen. Derzeit arbeiten Menschen aus 102 Nationen am CERN. Wir unterstützen also auch den Weltfrieden.

Was passiert derzeit am LHC?
Wir haben das höchste Energieniveau erreicht, mit 13 TeV. Das ist fast doppelt so viel, wie wir vorher hatten und erweitert die Möglichkeiten deutlich. Der Beschleuniger funktioniert gut. Wir haben zuletzt in sechs Wochen mehr Daten gesammelt, als im ganzen vergangenen Jahr. Jetzt können wir Bereiche testen, zu denen noch nie jemand Zugang gehabt hat. Das ist, als könnten wir plötzlich das oberste Fach eines Regals erreichen. Unsere Leitern sind jetzt lang genug, um an die Kekse zu kommen.

Pauline Gagnon
Es gibt Gerüchte um eine mögliche Entdeckung.
Wir haben Anzeichen für etwas Neues. Im Dezember vergangenen Jahres wurde ein Signal entdeckt. Aber wir haben derzeit nur Blick auf eine Ecke des obersten Regalfachs. Jetzt brauchen wir mehr Leitern.

Was ist genau passiert?
Im Dezember haben Atlas und CMS an derselben Stelle etwas entdeckt. Wenn tatsächlich ein neues Teilchen auftaucht, wäre das wichtiger als das Higgs. Derzeit geben die Daten den Blick noch nicht frei, aber wir werden weiter ganz genau hinsehen. Am 3. August gibt es in Chicago eine große Konferenz. Dort wird vermutlich Genaueres bekanntgegeben.

Die mögliche Entdeckung schlägt schon hohe Wellen.
Das kommt, weil wir jahrzehntelang verzweifelt nach etwas neuem gesucht haben. Was eine tatsächliche Entdeckung stark macht ist, dass beide Experimente ohne zu suchen an derselben Stelle ein Signal gefunden haben. Eine Bestätigung wäre ein riesiger Erfolg. Es sind schon jetzt 456 Fachartikel dazu geschrieben worden, alle mit neuen Ideen, die meisten davon plausibel. Die Theoretiker drehen gerade durch und wollen endlich etwas, was ihnen eine neue Richtung aufzeigen könnte, über das Standardmodell hinaus. Das geht nur über experimentelle Daten.

Wie sehen Sie die Chancen?
Ich würde nicht darauf wetten, aber ich bin überzeugt, dass das Signal da ist. Es gibt aber etwas, was mich stutzig macht . Das Signal lässt sich als neuer Partikel erklären, der zu zwei Photonen zerfällt. Das sollten wir aber auch anderswo sehen - tun wir aber nicht. Vielleicht ist das Signal in anderen Energiebereichen aber einfach nicht so stark. Oder es gibt dort ein Photon und ein z-Boson als Zerfallsprodukte. Das alles macht jedenfalls riesigen Spaß.

Was würden Sie sich wünschen?
Ich hoffe auf dunkle Materie, es könnte auch ein supersymmetrisches Teilchen sein. Oder etwas anderes, das über das Standardmodell hinausgeht. Die Antwort wird kommen, noch weiß aber keiner, wie sie lauten wird. Alle hoffen, mit ihren Theorien richtig zu liegen. Ich habe eine Zusammenstellung auf meinem Blog gemacht. Es kann alles oder das Gegenteil sein.

Es ist auch möglich, dass da gar nichts ist?
Es könnte auch nur eine Fluktuation sein. Das wäre dann ziemlich gemein von der Natur, sie in beiden Signalen zu schicken. Die Wahrscheinlichkeit, etwas zu finden, ist aber höher als je zuvor. Vor allem Supersymmetrie und dunkle Materie sind heiße Kandidaten. Wir hoffen, dass wir etwas finden. Alle wissen, dass es noch mehr zu entdecken gibt.

Ist die Hoffnung auf Bestätigung der Supersymmetrie nicht schon stark gedämpft?
Alle haben 2008 beim LHC-Start gedacht, dass wir Supersymmetrie entdecken werden. Jetzt sind wir weit in unbekanntem Terrain unterwegs. Wir haben bald einen riesiger Datenhaufen, mit dem wir auch sehr selten auftretenden Phänomenen auf die Spur kommen sollten.

Was, wenn nichts mehr auftaucht?
Eine Garantie, dass wir etwas finden werden, gibt es nicht. Wenn wir bis 2025 nichts finden, wird Geld uns limitieren. Leute reden aber schon vom nächsten Detektor. Vielleicht erlauben uns effizientere Beschleuniger billigere Experimente. Ein neuer Beschleuniger wird aber immer teuer sein.

Gibt es eine Grenze dessen, was wir über die Funktionsweise der Natur erfahren können?
Wahrscheinlich gibt es eine harte Grenze für das, was wir herausfinden können. Wenn wir in einem meta-stabilen Universum leben, wird es vielleicht zerfallen, bevor wir es erforschen können. Oder wir haben ein Multiversum, mit Billionen von Universen und Konstanten. Aber solange wir forschen, ist der Himmel die Grenze, wir müssen uns nur trauen. Wenn wir uns nicht gegenseitig umbringen, haben wir eine Chance. Das Warum wird nie beantwortet werden. Das ist nicht Aufgabe der Wissenschaft. Viele denken auch, dass wir nie über den Urknall hinausgehen können. Es gibt also Grenzen. Ein zyklisches Universum könnten wir vielleicht auch nie ergründen.

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Markus Keßler

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