© Ice Cube

Forschung

“Ich träume von einer Supernova innerhalb der Milchstraße”

Tief im Eis der Antarktis versuchen Forscher mit dem riesigen “Ice Cube”-Detektor Neutrinos nachzuweisen. Diese fast masselosen Elementarteilchen sind extrem schwierig zu entdecken, da sie kaum mit Materie wechselwirken und elektrisch neutral sind. Ein Neutrino kann die Erde durchqueren, ohne auch nur mit einem einzigen Atom zu interagieren. “Ice Cube” besteht aus tausenden lichtempfindlichen Sensoren, die im Eis eingebettet sind und die extrem seltenen Kollisionen zwischen einem Neutrino und einem Atomkern im Eis durch den entstehenden Lichtblitz registrieren. So entsteht das größte Neutrino-Teleskop der Welt, das hochernergetische Neutrinos nutzen kann, um tief ins Universum zu blicken. Die futurezone hat Francis Halzen, den leitenden Forscher beim Ice-Cube-Projekt, während einer Konferenz für Hochenergiephysik in Wien befragt.

Francis Halzen
Wie funktioniert Ice Cube?
In der Antarktis haben wir 1,5 Kilometer unter dem Eis einen sogenannten Tscherenkow-Detektor gebaut. Der besteht aus einem Kubikkilometer Eis, in den 5160 Photomultiplikatoren (sehr lichtempfindliche Sensoren, Anm. d. Red.) eingelassen sind, die den Lichtblitz bei einer Kollision zwischen einem Neutrino und einem Atomkern im Eis registrieren. Die Photomultiplikatoren werden mit Hilfe von heißem Wasser im Eis versenkt. Das Experiment läuft seit 2010.

Was sind die wichtigsten Aufgaben von Ice Cube?
Ein wichtiger Aspekt ist, kosmische Strahlung für die Untersuchung von Neutrino-Physik zu nutzen, genau wie es auch in Teilchenbeschleunigern am CERN oder dem Fermilab geschieht. Wenn kosmische Strahlung auf die Erdatmosphäre trifft, können atmosphärische Neutrinos entstehen, die wir messen können. Unser Detektor von der Empfindlichkeit her mittlerweile mit den besten Sensoren in den Beschleunigern mithalten.

Gibt es hier Konkurrenz zu CERN und Co?
Wir haben schon Neutrinooszillationen (ein Prozess, bei den eine Art von Neutrino sich spontan in eine andere verwandelt, Anm.) nachgewiesen und zwar bei höheren Energien als die Beschleuniger. Unser Teilchenstrahl ist zwar nicht so dicht wie bei Beschleunigern, dafür ist unser Detektor viel größer. Die heutige Theorie geht davon aus, dass die drei bekannten Neutrino-Arten sich spontan ineinander verwandeln. Es wäre ein Traum, einen Fehler in diesem System aufzuspüren und so neue Physik zu finden.

Wie viele Neutrinos werden mit Ice Cube nachgewiesen?
Wir können etwa 100.000 atmosphärische Neutrinos im Jahr nachweisen, also im Schnitt eines alle sechs Minuten. Diesen Teilchenstrom können wir natürlich nicht beeinflussen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Neutrino im Detektor mit einem Atomkern kollidiert, liegt bei nur eins in einer Million.

Was wird noch erforscht?
Zwei andere wichtige Aufgaben sind die Suche nach Neutrinos, die nicht aus unserer Atmosphäre oder gar von außerhalb unserer Galaxie stammen und die Suche nach dunkler Materie.

Gab es hier schon Erfolge zu verzeichnen?
Wir haben schon Neutrinos nachgewiesen, deren Ursprung aufgrund ihrer Energiesignatur außerhalb unserer Milchstraße liegen muss. Durch Neutrinos können wir praktisch das ganze Universum beobachten. Es gibt Hinweise darauf, dass Neutrinos mit extrem hoher Energie aus denselben Quellen stammen, wie hochenergetische kosmische Strahlung und Gammastrahlen, über deren Ursprung schon seit 120 Jahren gerätselt wird.

Welche Quellen kommen in Frage?
Mögliche Quellen für Neutrinos mit einer Energie von 1000 TeV und Protonen, die die Erdatmosphäre mit bis zu 100.000.000 TeV (zum Vergleich: der größte von Menschenhand erschaffene Beschleuniger, LHC, schafft 13 TeV, Anm.) treffen, müssen von gewaltigen Prozessen beschleunigt werden. Kandidaten sind Systeme mit schwarzen Löchern, kollabierende Sterne oder die aktiven Zentren von Galaxien.

Könnten solche Neutrinos auch künstlichen Ursprungs sein?
Es gibt Science-Fiction-Geschichten, die postulieren das Außerirdische über hochenergetische Neutrinos mit uns kommunizieren wollen. Wenn dem wirklich so wäre, würden wir das Signal sicher entdecken. Das ist bislang nicht passiert. Die Energie, die eine Zivilisation aufbringen müsste, um solche Neutrinos zu erzeugen, ist unvorstellbar.

Wie werden Neutrinos von außerhalb unserer Galaxie aus den Daten herausgefiltert?
Die Neutrinos aus der Atmosphäre sind praktisch die Wolken, durch die wir durschschauen müssen. Wir messen die Energie der Neutrinos. Die aus der Atmosphäre haben nicht mehr als 100 TeV.

Wie wird nach dunkler Materie gesucht?
Wir richten den Detektor auf die Sonne aus, wo sich laut Theorie dunkle Materie sammeln sollte. Wenn die dunkle und normale Materie dort beim Kontakt gegenseitig auslöschen, sollten Neutrinos entstehen, mit einer ganz spezifischen Energiesignatur und damit auch Masse.

Was passiert in den kommenden Jahren?
Es gibt noch viel Potenzial auszuschöpfen. Wir verbessern derzeit unsere Analysetechnik. Zudem soll es neue Instrumente geben, die bessere Messungen erlauben. Wir beginnen auch, den Detektor besser zu verstehen. Das Eis hat einen komplexen Schicht-Aufbau. An den Grenzflächen gibt es Staub, der das Licht streut. Das müssen wir berücksichtigen, um ein Ereignis korrekt zu rekonstruieren. Das ist sehr rechenintensiv.

Was wäre ihr größter Wunsch für Ice Cube?
Mein Traum wäre eine Supernova innerhalb der Milchstraße. Das passiert statistisch gesehen zwei bis dreimal pro Jahrhundert. Bei der letzten, 1978, hatten wir noch kein gutes Equipment und haben nur 20 Neutrinos gemessen. Heute haben wir ein Netzwerk aus Messstationen und könnten viel mehr Information sammeln. Die Neutrinos würden einige Stunden vor dem sichtbaren Licht bei uns eintreffen, weil ein sterbender Stern zuerst für Neutrinos transparent wird. Wir könnten die Lichtteleskope also warnen.

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Markus Keßler

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