Industrie 4.0: "Das kann eine Revolution geben"
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Industrie 4.0 ist ein Schlagwort, mit dem im deutschen Sprachraum unter anderem die Vernetzung von Produktionsprozessen und die damit verbundene Effizienzsteigerung verknüpft ist. Detlef Zühlke baut schon seit zehn Jahren an solchen smarten Fabriken. Bei den Technologiegesprächen beim Forum Alpbach diskutiert der Fachmann heuer über die cyber-physischen Systeme, die notwendig sind, um Produktionsprozesse bis ins Detail in Echtzeit steuern zu können.
Sie werden in Alpbach über Cyber-physische Systeme reden. Was ist das überhaupt?
Sie haben ein elektronisches Gerät, eine Steuerung und einen Netzwerkanschluss. Das ist ein sogenanntes “Cyber Physical System”. Durch die Vernetzung ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile, da ergeben sich ganz neue Möglichkeiten.
Warum sind solche Systeme heuer Thema in Alpbach?
Das Konzept ist noch nicht so alt. Früher war eine Netzwerkkarte ein recht großes Gerät, heute habe ich auf meinem Schreibtisch einen kompletten PC, der so groß ist wie drei Stück Würfelzucker und der kostet nur rund 30 Euro. Die Netzwerke werden zudem immer stabiler und erlauben höhere Geschwindigkeiten. Die technischen Voraussetzung sind jetzt da. Wenn wir es schaffen, das umzusetzen, kann das eine Revolution geben.
Wie ist der derzeitige Stand ihrer Forschung auf dem Gebiet?
Wir haben seit zehn Jahren eine “Smart Factory” hier stehen und arbeiten an industriellen Anwendungen. Mittlerweile haben wir Anlagen, in denen wir Montagemodule unterschiedlicher Hersteller durch einen übergreifenden Standard wie Legosteine zu Fertigungsstraßen zusammensetzen können.
Ist das schon Alltagstauglich?
Einige große Firmen haben schon Versuchsanlagen mit der neuen Technik in Betrieb. Dort kommt aber nur Technik jeweils eines Herstellers zum Einsatz. Unser Ansatz ist schwieriger umzusetzen, da es noch nicht alle nötigen Standards gibt. Da gibt es noch einige Dinge zu klären. Etwa die Frage, wer für das Gesamtsystem haftet. Das dauert sicher noch ein bis zwei Jahre.
Große Firmen haben mit gemeinsamen Standards sicher keine Freude.
Konzerne verkaufen lieber ganze Anlagen als einzelne Module. In Deutschland wird die Entwicklung deshalb vom Mittelstand getragen.
Gegen den Widerstand der Konzerne dürfte das Konzept schwierig durchzusetzen sein.
Ich hoffe auf die Politik und die Kunden. Die werden sich nicht von einem großen Hersteller allein abhängig machen wollen, weil dann längerfristig die Preise explodieren würden.
In welchen Situationen können Unternehmen profitieren?
Für Firmen ist das interessant, wenn es viele Produktwechsel gibt. Die Stückzahlen sinken derzeit und die Produkt-Varianten nehmen zu. Heute wird die nötige Flexibilität noch in China gekauft, aber der Zeitdruck steigt. Die Produktion wird in Zukunft wieder näher an die Kunden heranrücken.
Wieso?
Bei einem Handy geht es noch, wenn es einen Monat auf See ist. Aber wenn es um personalisierte Produkte geht, ist das nicht mehr haltbar. Ein bekannter Getränkehersteller hat schon einen Drucker, der individuelle QR-Codes direkt auf Flaschen druckt. Das geht schon in Richtung Personalisierung. Wenn die Technik da ist, werden da noch tolle Ideen kommen.
Wie steht es um die Sicherheit solcher Systeme?
Wenn alles am Internet hängt, ist ein Kontrollverlust durch Hacker eine reale Gefahr. Hier wird derzeit nach Lösungen gesucht.
Wie kann verhindert werden, dass die Komplexität der Systeme unbeherrschbar wird?
Wir wollen den Modularisierungs-Ansatz aus der Informatik in den Maschinenbau bringen. Diese Module sollen Blackboxes sein, was da drin passiert, muss niemanden interessieren. Die Komplexität wird durch Module und Standards beherrschbar.
Ist die enorme Datenmenge überhaupt zu vernünftigen Kosten zu bändigen?
Es war immer klar, dass Industrie 4.0 mit Big Data verbunden ist. Wir haben IBM und SAP als Partner, die sind sehr an den Daten interessiert. Wir mussten bereits unseren Server upgraden, obwohl wir die Daten eigentlich noch wenig nutzen.
Wie wird mit den Daten umgegangen?
Das wird ein zentrales Thema. Technisch und rechtlich sind noch viele Fragen offen. Was etwa, wenn eine Firma nicht will, dass die eigenen Daten ausgelesen werden? Wem gehören die Motordaten - dem Motorenhersteller oder dem Modulbauer? Was wenn ein neuer Player wie Google, das derzeit auch ein Betriebssystem für Kleinsysteme baut, über Nacht Daten aus meinem System schafft? Hier haben wir noch keine Lösungen.
Kann sich eine kleinere Firma so ein komplexes System überhaupt leisten?
Gerade für den Mittelstand kann das schwierig sein, weil das Know-how gar nicht vorhanden ist. Hier werden ganz neue Player entstehen, Start-ups, die solche Probleme für kleinere Firmen lösen. Das ist eine der zentralen, kritischen Fragen, die für einer Verwirklichung der Vision geklärt werden müssen, zusammen mit der Sicherheitsthematik.
In Ihrer Zukunftsvision kommt die Produktion zurück in die Industrieländer. Kommen auch die Jobs zurück?
Die Löhne in China steigen momentan rasant und die Supply-Chain-Länge ist ein begrenzender Faktor. Wenn die Produktion zurückkommt, entstehen auch neue Jobs. Die große Menge an Jobs wird aber nicht entstehen, höchstens im Bereich der Ausrüster, die ihre Anlagen exportieren werden.
Werden Maschinen in der Fabrik der Zukunft Menschen ersetzen?
Ich sehe nicht den KI-Fortschritt, der den Menschen obsolet macht. Menschen finden Bugs und Probleme in den Systemen. Ein Getränkehersteller baut heute 150 Meter lange Anlagen. Da bleiben Dinge hängen, wenn eine Glaslieferungen vielleicht minimal abweicht. Dann brauche ich Menschen, die draufklopfen, damit das Ding wieder läuft. Auch Entscheidungen darüber, wann eine Anlage umgebaut werden soll, werden immer kurzfristiger. Die muss ein Mensch treffen.
Die futurezone ist offizieller Medienpartner der Technologiegespräche beim Forum Alpbach 2015.
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