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Genevieve Bell

Intel-Forscherin: "Erwarte stets kaputte Technik"

Warum sind sie als studierte Anthropologin vor 15 Jahren zu Intel gewechselt?
Ich habe das aufkommende Internet beobachtet und mir gedacht, wenn das in dem Tempo weitergeht, wird das eine Riesenveränderung für die Gesellschaft bedeuten. Als Sozialwissenschaftlerin wollte ich mittendrin dabei sein und nicht die Diskussion Technikern überlassen, die in den Technologie-Konzernen damals den Ton angaben.

Aber ist eine Sozialwissenschaftlerin in den kapitalistisch geführten Unternehmen tatsächlich mehr als ein Feigenblatt?
Der Bedarf an Psychologen, Soziologen, aber auch Philosophen in Konzernen ist größer denn je, da sie eine breitere Sicht auf die Gesellschaft ermöglichen und eine Brücke zwischen den Entscheidungsträgern und dem Rest der Welt schlagen können. In vielen Unternehmen sind die Führungskräfte von den tatsächlichen Bedürfnissen der Leute zu weit weg - gerade in den Märkten, wo sie heute erfolgreich sein müssen.

Was frustriert Leute an Technologie am meisten?
Unternehmen reden sich oft auf die Zukunft heraus, anstatt anstehende Probleme zu lösen. Dann heißt es, ja, das Problem der unterschiedlichen Ladegeräte, das wird sich bald lösen. Oder das der Akkulaufzeit. Vor 15 Jahren hieß es bereits, Passwörter sind vermutlich nicht der sicherste Weg im Internet. Heute sagt man uns: Ihr müsst starke Passwörter wählen. Der Punkt ist: Wenn solche Dinge in Zukunft gelöst sein sollen, müssen wir sie jetzt aktiv angehen und eine Lösung entwickeln. Sonst passiert nichts.

In den vergangenen zwei Jahren haben Sie sich intensiv mit Autos beschäftigt und die Gegenstände untersucht, die Leute dort verstauen oder einfach liegen lassen. Was haben Sie alles gefunden?
Man glaubt ja gar nicht, was Leute alles in ihren Autos haben! Zum einen bringen sie viel Technologie ins Auto mit: Bluetooth-Headsets, Ladegeräte, Zubehör, Batterien, Navis. Dazu jede Menge Papier, ironischerweise vor allem ausgedruckte Google Maps Pläne, die mit Telefonnummern vollgekritzelt sind.

Und abseits von technischem Zubehör?
Hier wird es wirklich interessant. In allen Autos in Singapur und Malaysia haben wir im Handschuhfach rote Briefumschläge mit Geld, sogenannte „ang pao“, bzw. die malaysische Entsprechung in Grün gefunden. Neben dem Brauch, am chinesischen Neujahr Geld zu verschenken, dienen diese offenbar als Notfall-Kit für Hochzeiten – falls man vor Ort draufkommt, dass das eigene Geschenk nicht gut genug ist. In Australien wiederum haben die meisten Leute eine Flasche Alkohol im Auto. Nicht etwa, weil meine Landsleute gerne trinken, sondern weil diese als Notfallsgeschenk dient, wenn man spontan wo eingeladen wird. In den USA fanden wir Geschenkskarten, Tixo und Schere zum Verpacken von Mitbringsel.

Welchen Schluss kann ein Technologiekonzern wie Intel daraus ziehen?
Ganz einfach: Dass Autos uns nicht nur von A nach B bringen und dabei unsere physische Sicherheit gewährleisten sollen, sondern, dass sie uns auch sozial absichern. Wenn wir also das Auto der Zukunft mit all den neuen technischen Möglichkeiten konzipieren, müssen wir das berücksichtigen. Smart Cars werden bislang immer nur unter dem Aspekt von Info- und Entertainmentsystemen und Sicherheitsfeatures diskutiert. Die vielen sozialen Aufgaben, die Autos erfüllen, werden dabei übersehen.

War darum auch das iPhone so erfolgreich? Weil die rein technischen Spezifikationen, die auf dem Papier auch nicht anders als bei der Konkurrenz waren, eben nicht alles sind?
Apple hat gerade beim iPhone verstanden, dass das User-Erlebnis im Ganzen wichtiger ist als die technischen Einzelteile. Und wie wichtig Ästhetik ist. Menschen definieren sich ständig über Gegenstände, die sie umgeben und die sie besitzen. Das hat Chefdesigner Jonathan Ive perfekt erkannt und industrielles Design in Richtung User-Interface-Design verschoben.

Inwiefern gibt Apple hier weiterhin den Ton an?
Keine Frage, alle sind Apple gefolgt, wenngleich die Handyhersteller der ersten Stunde wie Nokia, Ericsson oder auch Motorola immer recht gut verstanden haben, dass ein mobiles Gerät auch schön gestaltet sein und sich gut anfühlen muss. Bei traditionellen Computern wie PCs und Notebooks dauerte es länger. Mittlerweile hat die Branche aber kapiert, dass ein ästhetisch ansprechendes Produkt nicht zwangsläufig bedeutet, dass es technisch gesehen weniger leistungsfähig ist. Das Vorurteil hielt sich erstaunlich lange.

Smartphones, Tablets, E-Reader, PCs, Notebooks: Mittlerweile verfügt jeder User über eine Vielzahl an technischen Geräten. Sehen Sie ein Killer-Gerät am Horizont, das andere Produktkategorien obsolet machen wird?
Wie auch Heidegger ganz richtig erkannte: Wir Menschen langweilen uns schnell und fürchten uns vor dieser Langeweile. Gleichzeitig wissen wir ganz genau, welches Verhalten in welcher Situation angebracht ist, und agieren als verschiedene Personen, je nachdem, ob wir mit den eigenen Eltern, dem Boss oder Freunden reden. Daher werden wir auch weiterhin verschiedenste Geräte verwenden, die uns in der jeweiligen Situation als passend erscheinen. Dasselbe trifft auch für Eingabemethoden zu: Maus, Touch, Sprache, Gesten. Das wird nicht verschwinden.

Stichwort Sprache: Alle Hersteller feiern Spracherkennung als zukunftsweisende Eingabemethode. In der Realität ist es den Leuten aber meist unangenehm, mit ihrem Handy oder Computer zu reden.  Warum eigentlich?
Sprache ist ein sozial gefährliches Unterfangen, nicht umsonst ist auch bei Freud die Sprache immer auch Ausdruck für das Unterbewusste, für persönliche Wünsche und Begierden, die wir eigentlich für uns behalten wollen. Es ist uns peinlich, wenn wir was Unangebrachtes sagen, wenn wir etwas falsch aussprechen oder uns sonstwie lächerlich machen. Und nun sollen wir auch noch von unseren Geräten gezwungen werden, alles laut auszusprechen. Das ist uns unangenehm.

Das heißt, Sprache wird sich niemals als Eingabemethode durchsetzen?
Es gibt Orte, wo Sprache gut funktioniert: Um auf dem Fernseher etwa eine Internetsuche durchzuführen, ist Spracheingabe allemal besser, als ein Keyboard auf der Couch liegen zu haben. In Autos liegt es auf der Hand, dass der Fahrer eher nicht auf eine Reihe von Displays und virtuellen Knöpfen drücken soll, also auch da ist es sinnvoll. Auf dem Handy wird es sich hingegen nicht durchsetzen.

Die Skepsis gegenüber Spracheingabe ist Ihrer Meinung aber nur psychologischer Natur, und nicht etwa, weil Spracherkennung einfach immer noch sehr fehleranfällig ist?
Studien zeigen, dass unsere Erwartungen an Spracheingabe und –erkennung enorm hoch sind. Erst ab einem Wert von über 99 Prozent Genauigkeit haben wir das Gefühl, dass es gut funktioniert, während man bei der Bedienung mittels Touch und Gesten etwaigen Fehlern und Ungenauigkeiten viel toleranter gegenübersteht.

Und gibt es eine Erklärung dafür?
Unsere Erwartungshaltung an die Spracheingabe ist maßgeblich von 100 Jahren Science Fiction, sei es nun in Filmen, Serien oder Büchern geprägt. Ob Star Trek, Raumpatrouille Orion oder das sprechende Auto K.I.T.T. – die Kommunikation funktioniert immer völlig makellos und basiert auf natürlicher menschlicher Sprache, was bis heute schwer bis unmöglich reproduzierbar ist. Gesten- oder auch touchbasierte Technologie kommt in der Science Fiction bis Minority Report hingegen kaum vor.

Touch-, aber auch Gestensteuerung finden wir also deshalb großartig, weil wir vorher keine wirkliche Vorstellung davon hatten?
Das ist meine Theorie. Man darf nicht unterschätzen, wie stark Science Fiction das technologische Denken beeinflusst. Als Australierin, die in der britischen Fernsehtradition aufgewachsen ist, merke ich das jeden Tag, wenn ich mit meinen US-Kollegen diskutiere. In amerikanischer Science Fiction ist alles neu und glänzt, alles kann ohne Handbuch und Bedienungsanleitung von jedem bedient werden. Bei den Briten funktioniert im Normalfall nichts, alles ist kaputt oder muss mühsam mit Klebband zusammengehalten werden.

Und wie hat das Ihr Technologieverständnis geprägt?

Ich erwarte eigentlich stets, dass Technik nicht funktioniert und kaputt ist – wie die Zeit-Raum-Maschine TARDIS bei Doctor Who, die einen immer an den falschen Ort und in die falsche Zeit schickte. Umso verstörter bin ich über die Neuauflage der Serie. Denn der TARDIS schickt einen nun dorthin, wo man tatsächlich hin will. Wie kann denn das bitteschön möglich sein?

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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