"Tritt Ammoniak ein, stirbt man relativ schnell"
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Die ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti wird in wenigen Wochen zur Internationalen Raumstation aufbrechen. Die Italienerin wird - man mag es im Jahr 2014 kaum glauben - erst die dritte Europäerin im Weltall und die zweite auf der ISS sein. In ihrem privaten Gepäck wird sie drei kleine Kristalle mitführen, in dem geologische Proben aus aller Welt sowie Teile eines Mars-Meteoriten eingeschlossen sind. Die futurezone war dabei, als diese "Tiuterra" genannten Kristalle (Details dazu weiter unten) der Astronautin am Europäischen Astronautenzentrum gemeinsam von Kristall-Hersteller Swarovski und dem Österreichischen Weltraumforum überreicht wurden.
Zu diesem Anlass erhielten wir auch die seltene Gelegenheit zu einem Interview mit Cristoforetti. Die 37-jährige hat vor ihrem Flug einen äußerst dichten Zeitplan. Im Minutentakt wird sie zwischen Journalisten, Fotografen und Filmemachern herumgereicht. Cristoforetti hat Maschinenbau und Aeronautik studiert und ist ausgebildete Kampfflugzeug-Pilotin der italienischen Luftstreitkräfte. Seit 2009 wird sie am European Astronaut Centre (EAC) der ESA in Köln zur Astronautin ausgebildet. Im Juli 2012 wurde sie als Besatzungsmitglied der ISS-Expeditionen 42 und 43 ausgewählt. Ihren Tagesablauf schildert Cristoforetti unter anderem auf Twitter und @AstroSamantha.
"Ich werde Fehler machen"
Am 23. November fliegen Sie zur ISS. Sind Sie schon nervös?Samantha Cristoforetti: Ich habe gar keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich bin sehr beschäftigt, es gibt noch sehr viel zu tun. Es wird umso stressiger, je mehr sich der Flug nähert. Ich freue mich aber unheimlich darauf. Es wird mir immer bewusster, dass ich bereits in drei Monaten im Weltraum bin.
Gibt es etwas, wovor Sie Anst haben? Ich habe natürlich sehr viel Respekt vor der Erfahrung. Ich bin nicht eine, die sagt: "Ach, das wird ja so einfach." So ist es nicht. Mir ist bewusst, dass es Dinge geben kann, die schief laufen. In sechs Monaten wird auch bestimmt etwas passieren, das schief läuft. Ich werde Fehler machen. Keiner arbeitet sechs Monate lang fehlerfrei. Damit muss man leben. Aber spezielle Sachen, vor denen ich Angst habe, gibt es im Moment nicht.
Während der Vorbereitung mussten Sie sich bestimmt mit einer Reihe von Worst-Case-Szenarios auseinandersetzen. Ja, das ist der Hauptteil des Trainings. Was die Raumstation angeht, sind die Szenarien ein Feuer an Bord, ein Druckverlust, ein Ammoniak-Leck. An der Außenseite der ISS wird Ammoniak in Leitungen zur Kühlung verwendet. Es gibt Szenarien, wo dieses Ammoniak in die Raumstation eintritt. Das ist sehr gefährlich. Daran stirbt man relativ schnell. Bei diesen so genannten "Emergency-Szenarien" muss man sehr schnell reagieren.
Dann trainieren wir auch die Ankunft und das Verlassen der Raumstation mit der Sojus-Kapsel intensiv. Der Start, das Andocken und der Wiedereintritt sind gefährliche Phasen, wo sehr große Energien ins Spiel kommen. Diese relativ kurzen Phasen Start und Landung trainiert man ein ganzes Jahr lang. Wir werden mit allen möglichen Systempannen konfrontiert, bei denen wir manuell eingreifen müssen.
High-Level-Kenntnis von allem
Ihren Flickr-Fotos nach zu urteilen, lernt man beim Raumflugtraining alle möglichen Fertigkeiten. Was war das Spannendste daran für Sie? Zumindest zwei Sachen, würde ich sagen. Zum einen das Sojus-Training. Ich bin ja Pilotin und Ingenieurin von Beruf und als Bordingenieurin brauchst du beides. Du musst die Kapsel sehr gut kennen, sogar besser als der Kommandant. Außerdem ist man ein Back-up für diesen, man muss die Maschine genauso wie er manuell steuern können. Zum anderen das Unterwassertraining für die Weltraumspaziergänge. Das war bestimmt das Spannendste, das Schwierigste auf jeden Fall. Deswegen war es wahrscheinlich auch so spannend, weil es eine große Herausforderung war.
Können Sie jetzt, nach ihrem Training, sagen, dass Sie mit allen Systemen auf der ISS vertraut sind? Wir sind grundsätzlich mit allem vertraut, aber nicht mit allem gleich tiefgründig. Das ist unmöglich. Die Raumstation ist sehr komplex. Auf dem Boden haben wir Spezialisten für jeden Bereich. Wenn etwas kaputt geht, sagen die uns, was wir machen müssen. Astronauten müssen eine eine High-Level-Kenntnis von allem haben. Sie müssen alle Prozeduren kennen, die sie im Notfall selbstständig machen müssen. Wenn wir etwa den Kontakt zur Bodenstation verlieren, müssen wir die Raumstation in einen sicheren Zustand bringen. Die Kontinuität wissenschaftlicher Experimente gehen dadurch vielleicht verloren, aber zumindest ist alles in Sicherheit gebracht. Wenn der Kontakt mit der Bodenstation wiederhergestellt ist, wird weitergearbeitet.
Wissenschaft, Medizin und Logistik
Was werden Ihre Aufgaben an Bord der ISS sein? In sechs Monaten muss man alles Mögliche machen. Hauptsächlich ist man mit Wissenschaft beschäftigt. Man wartet außerdem die Raumstations-Systeme. Wir machen medizinische Tests, die periodisch durchgeführt werden müssen, um den Gesundheitszustand der Crewmitglieder zu beobachten. Es gibt Logistikaufgaben. Wenn beispielsweise ein Dragon- oder Cygnus-Raumfrachter kommt, müssen wir den mit dem Roboterarm einfangen und andocken. Die wenigsten Raumfrachter docken automatisch an, so wie unser ATV das macht.
Werden Sie auch Außenbordmissionen mitmachen? Weltraumspaziergänge sind im Moment für mich nicht geplant. Wobei die ganze Planung im Moment überarbeitet wird. Es gab zwei Außenbordmissionen im August, die verschoben wurden. Man weiß noch nicht genau, zu welchem Zeitpunkt die durchgeführt werden können. Wenn ich die Möglichkeit hätte, eine Außenbordmission mitzumachen, würde ich mich natürlich sehr freuen. Ich bin dafür trainiert.
Haben Sie alle Crewmitglieder, die Ihnen auf der ISS begegnen werden, im Training kennengelernt? Ja, auf jeden Fall. Ich den zwei Kollegen, mit denen ich zur ISS fliegen werde, habe ich sehr viel Zeit verbracht. In den letzten eineinhalb Jahren haben wir meistens zusammen trainiert. Mit den drei der Mission vorhergehenden Mission und mit den drei danach, wo es Überschneidungen gibt, habe ich ein bisschen weniger trainiert, aber ich habe sie trotzdem relativ oft gesehen.
Der Sternenhimmel im Alpendorf
Was werden Sie denn auf der ISS am meisten vermissen? Alle fragen mich das. Das ist schwer zu sagen, ich werde mich überraschen lassen. Es könnte irgendetwas zum Essen sein, oder Kontakt mit Menschen, oder Spaziergänge in der Natur, eine Dusche. Ich weiß es nicht.
Wann haben Sie das erste Mal gedacht "Ich würde gerne Astronautin werden"? Schon in der Kindheit. Woher das stammt, ist schwer zu sagen, es gibt keine bestimmte Erfahrung, an die ich mich erinnern kann. In der Schule haben wir ein bisschen über den Weltraum gelernt. Ich bin in einem Dorf in den Alpen aufgewachsen, dort war der Himmel sehr schön. Man konnte die Sterne gut sehen, das hat mich immer fasziniert. Und dann gab es noch Science-Fiction-Bücher und -Serien.
Wann wurde die Idee dann konkreter? Ich habe schon in der Schule Russisch gelernt und einen Tauchkurs gemacht.
Bereits mit dem Ziel, Astronautin zu werden? Ziel ist vielleicht zu viel gesagt. Aber mit einem Blick auf diese Möglichkeit auf jeden Fall.
Gar nicht so wenige Frauen
Warum glauben Sie, gibt es so wenige Frauen in der Raumfahrt? Also insgesamt sind es gar nicht so wenige.
Rund zehn Prozent aller Raumfahrer sind weiblich. Das schließt ja Russland mit ein, wo ein anderes Frauenbild als bei uns herrscht. Im Westen und insbesondere seit den 80er-Jahren gab es im Westen gar nicht so wenige Frauen. Frauen haben zumindest schon alles gemacht und alles bewiesen. Damit lastet auf mir kein Druck mehr, etwas als Frau beweisen zu müssen.
Nach Ihnen, also mit der Mission 44 wird die Sängerin und Weltraumtouristin Sarah Brightman an Bord der ISS kommen. Wird es da eine Überschneidung mit Ihrem Aufenthalt geben? Nein, die kommt erst später.
Sie werden also kein Live-Konzert im All miterleben. Nein, nur vom Boden nehme ich an.
Mars als Ausweg für die Menschheit
Würden Sie gerne zum Mars fliegen? Ich würde mich freuen, so eine Gelegenheit zu erhalten. Ob es während der Zeit meiner professionellen Tätigkeit überhaupt soweit kommt, dass ein Marsflug stattfindet, weiß ich nicht. Aber wenn das der Fall sein sollte, würde ich mich natürlich freuen, wenn ich einen Beitrag leisten kann.
Ist es eine Frage für Sie, ob die Menschheit überhaupt auf den Mars fliegen sollte? Für mich ist das ein selbstverständliches Ziel, dass die Menschheit sich ausbreitet, dass wir irgendwann lernen, auf einem fremden Planeten zu überleben. Wenn man langfristig denkt, ist es als Menschheit relativ gefährlich, nur auf einem Planeten zu leben.
Dass es auf einem Planeten nicht allzu sicher ist, merkt man auch gerade an einer Vielzahl bewaffneter Konflikte. Spielt die Krise zwischen Russland und der Ukraine irgendeine Rolle für ihren ISS-Flug? Nicht, dass ich wüsste.
Der Tiuterra-Kristall
Das Projekt Tiuterra ging aus einer Aktion während der World Space Week 2013 hervor. Das Österreichische Weltraumforum (ÖWF) rief damals zur Einsendung von Gesteinsproben aus aller Welt auf. Fragmente von insgesamt 33 Gesteinsproben, die unter anderem aus China, Mexiko, Kanada, Neuseeland und der Antarktis stammen, wurden gemeinsam mit Fragmenten eines in Marokko gefundenen Mars-Meteoriten kombiniert, um sie in Kristallen zu vereinen.
Diese Aufgabe wurde vom Kristall-Spezialisten Swarovski übernommen. Im Tiroler Ort Wattens wurden die Gesteinsproben in 100 Kristalle eingeschlossen, welche die Vereinigung von Mars und Erde symbolisieren sollen. Um die Materialien mit Kristallglas zu umgeben, musste ein neues Verfahren entwickelt werden. Die 100 Tiuterra-Kristalle sollen nun unter anderem an die Personen verteilt werden, die während der World Space Week 2013 Gesteinsproben eingesendet haben.
Zwei Mal Wiedereintritt
Die restlichen Exemplare der limitierten Kristall-Edition werden an Personen verteilt, die sich durch ihre Verdienste rund um die Erforschung des Weltalls einen Namen gemacht haben. Einen Tiuterra-Kristall wird etwa SpaceX-Gründer Elon Musk erhalten.
Drei besonders kleine Versionen des Tiuterra-Kristalls wird Samantha Cristoferetti während ihrer Weltraummission mit sich führen. Einen darf sie sich behalten, die beiden anderen werden später im Rahmen einer Wanderausstellung zu besichtigen sein. Die in den Kristallen beherbergten Marsmeteorit-Bruchstücke werden dann zwei Mal während ihrer Existenz in die Erdatmosphäre eingedrungen sein.
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