Die futurezone besichtigete einen Wohnblock, der durch Geothermie, Photovoltaik und eine neuartige Klimaregulierung durch Flügel mehr Energie erzeugt, als verbraucht wird.
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Das Flattern der Plastikfolien, die den Rohbau einer neuen Hightech-Wohnanlage in Vaduz umschließen, ist ohrenbetäubend. Ein Föhneinbruch hat Anfang November schönes Wetter, aber eben auch starke Windböen, ins Fürstentum Liechtenstein gebracht. Was diese Baustelle, die dereinst zum “Marxer Active Energy Building” werden soll, so imposant macht, ist aber nicht die Geräuschkulisse oder die komplette Ummantelung des Rohbaus mit Plastikfolie und einem Blechdach, sondern die innovative Technik, die hier zum Einsatz kommt. Als erstes ins Auge springen die leeren Etagen - Wände gibt es hier nämlich nicht.
Die einzelnen Stockwerke werden einzig von baumartigen Säulenstrukturen getragen, die sich durch das ganze Gebäude ziehen. Die Struktur verästelt sich dabei, teilweise wachsen die Stränge auch wieder zusammen. So werden die Kräfte, die etwa durch Erdbeben oder starke Winde auftreten, auf die steifen Betonplatten zwischen den Etagen verteilen. Das erlaubt eine sehr flexible Raumeinteilung, die bei Bedarf mit geringem Aufwand fast beliebig verändert werden kann. Fürs erste entstehen in den fünf Etagen des Wohnblocks zwölf Mietwohnungen in verschiedenen Größen.
Naturlösungen
“Ein darwinistischer Algorithmus hat durch die Möglichkeit von Mutationen die minimale Säulenkonfiguration errechnet, über 2300 Generationen hinweg”, erklärt Architekt Anton Falkeis. Die organisch aussehenden, in sich verwundenen Stützen selber sind aus einem Stahlskelett gefertigt, das mit einem speziell entwickelten Beton ummantelt ist, der sehr filigrane, glatte Formen erlaubt. Lediglich vier Typen von solchen Säulen wurden verwendet, zwei A- und zwei V-Form. Entscheidend ist, dass sich die Säulen, die jeweils ein Stockwerk stützen und drei bis vier Tonnen pro Stück wiegen, im nächsten Stockwerk exakt fortsetzen. “Durch die Baumstruktur haben wir wenig Toleranz, die Säulen müssen exakt ineinander übergehen, damit sich Fehler nicht fortsetzen”, sagt Falkeis.
Die Tragestruktur ist aber nicht das einzige neue Konzept, dass beim Bau der neuen Wohnanlage erprobt wird. Die Bauherren, das sind in diesem Fall die Mitglieder der Benkiers-Familie Marxer aus Vaduz, haben sich zum Ziel gesetzt, möglichst nachhaltigen Wohnraum zu entwerfen. Neben Geothermie und einer Positionierung, die möglichst viel Licht ins Haus lässt, setzten die Planer deshalb auf Photovoltaik und neuartige Konzepte zur Temperaturregulierung. Für die Solarpanele, mit denen Energie gewonnen werden soll, wurde eigens ein spezieller hydraulischer Tracker entwickelt, der es den PV-Elementen erlaubt, der Sonne zu folgen und stets den optimalen Einstrahlungswinkel zu bewahren.
Energieautark
Für den Fall eines Föhnsturms, wie es ihn bei der Besichtigung gegeben hat, werden die Panele flach am Dach angelegt, um keine Schäden davonzutragen. “Das Haus wird mehr Energie erzeugen, als es verbrauchen wird”, sagt Falkeis. Deshalb wird das Gebäude auch mit den umliegenden Häusern zu einem lokalen Cluster verbunden, in dem untereinander Wärme, Kälte und Energie getauscht werden kann.
Mehrere solcher flexibler Cluster könnten laut dem Architekten auch die Basis für die Stromnetze der Zukunft sein. Neben der Energie wird soll auch die Wärme im neuen Haus möglichst nachhaltig genutzt werden. Obwohl durch die Grundwasserbohrung bereits eine nachhaltige Lösung für die Temperaturregulierung vorhanden war, haben sich die Verantwortlichen eine weitere Methode zur Klimakontrolle einfallen lassen.
Klimaflügel
Ausklappbare Flügel im Haus können Wärme in sogenannten PCMs (Phase Change Materials) speichern. Im konkreten Fall wird aus Palmöl gewonnenes Paraffin verwendet, das in Hitzeperioden gespeicherte Wärme aus dem Haus abstrahlen und an kalten TagenSonnenwärme für die Nutzung im Haus sammeln kann. Für die Heiz- und die Kühlflügel werden unterschiedliche Paraffinsorten verwendet, jeweils mit geeignetem Schmelzpunkt. Das Material kann bei gleichem Volumen ungefähr fünf mal so viel Wärme speichern wie Wasser.
Im Marxer Building werden nur sieben Flügel eingesetzt, vier zum Heizen und drei zum Kühlen. Mit einer Fläche von 39 Quadratmeter können die automatisch aus- und einklappenden Elemente so nur einen Teil der Klimaregulierung übernehmen. Die Technik soll in Zukunft aber eine klimafreundliche Alternative für die Temperaturanpassung bieten. “Wir wollen immer etwas neues ausprobieren. Geothermie zum Beispiel ist nicht überall einsetzbar und die verfügbare Wärmeenergie im Grundwasser ist begrenzt. Unser System kann praktisch überall eingesetzt werden”, erklärt Falkeis. Montiert sind die Flügel derzeit noch nicht, aber es gibt ein Mock-up, das zu Versuchszwecken in Balzers in Liechtenstein aufgestellt wurde. Der Wind bläst aber auch in diesem Ort sehr stark, weshalb es bei der Besichtigung nicht möglich ist, die Flügel auszufahren.
In Zusammenspiel mit innovativen Dämmkonzepten wird das Haus im Betrieb keinen CO2-Ausstoß verursachen. Zumindest solange der Föhn ein Ausfahren der Flügel und PV-Elemente erlaubt. Fertiggestellt werden soll das Marxer Active Energy Building im Herbst 2015.
Die futurezone hat das Gebäude in Vaduz auf Kosten der Bauherren (Familie Marxer) besichtigt.
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